Lebensmittelhygiene: Sommer im Kühlregal

Wegen Kühlungsproblemen schließt die Supermarktkette Netto sechs ihrer Filialen in Bremen. Trotzdem gesteht der Discounter nur "vereinzelte Probleme" ein. Gesundheitsbehörde kündigt härteren Kurs an.

15 Grad im Kühlregal: Netto macht's möglich. Bild: taz

BREMEN taz | "Wegen Umbau zum 27. 6. geschlossen" steht auf einem Schild, das man an den Türen Bremer Netto-Filialen derzeit häufig sieht. Wann sie wieder öffnen, wird den Kunden nicht mitgeteilt. Doch der Zusammenhang mit Problemen bei der Kühlung der Netto-Frischprodukte ist offensichtlich - zumal sie in Bremen nun öffentlich diskutiert werden.

Als die taz am Montag über ein "Laues Lüftchen im Kühlregal" berichtete, machten sich auch die ReporterInnen von Radio Bremen auf den Weg in die Filialen und führten Kunden-Interviews an den Kühlregalen. Noch am selben Tag schlossen fünf Bremer Netto-Märkte.

Offiziell handelt es sich um "Instandhaltungsmaßnahmen". "In diesem Zusammenhang optimieren wir auch das Kühlsegment", teilt eine Netto-Sprecherin mit - um gleich wieder ins Konditional zu wechseln: "Sollten in Einzelfällen Mängel festgestellt werden, wird Netto diese schnellstens beheben."

Bereits vor einem Jahr - und im Indikativ - stellten die Bremer Lebensmittelüberwacher in einem internen Vermerk fest, dass in 14 von 18 kontrollierten Netto-Filialen "gravierende Mängel in der Produktkühlung" bestanden. Statt bei sieben Grad lagerten Garnelen bei 19 und Eiersalate bei 17,5 Grad Celsius. Sülzen hätten sich verflüssigt und Schokolade "eine cremige Konsistenz" aufgewiesen. Zudem stellten Prüfer "gravierende Unterschiede" zwischen den Messdaten der geeichten Amts-Thermometer und den der Netto-Thermometer fest - zu Ungunsten einer effektiven Kühlungskontrolle.

Allerdings weisen selbst die Netto-Thermometer mitunter auf bedenkliche Zustände hin. Bei einer spontanen Stichprobe der taz vergangenen Freitag in einem zentralen Bremer Netto stand die Anzeige im Kühlregal auf 15 Grad. Per Stichthermometer stellte ein Netto-Mitarbeiter fest, dass etwa der Quark seine Soll-Temperatur deutlich überschritten hatte - ließ den Verkauf jedoch weiter laufen.

Netto-Sprecherin Christina Stylianou erklärte dazu, ein "phasenweises" Auftreten höherer Temperaturen könne "durchaus in Ordnung" sein. Ähnlich einer Heizung würde das System durch Temperaturfühler gesteuert, die unterschiedlich große Anstrengungen der Kühlaggregate auslösten.

Gertraud Huisinga von der Bremer Verbraucherzentrale hält diese Phasen-Theorie für abenteuerlich. Mit verkeimten Lebensmitteln sei nicht zu spaßen, Kunden sollten die Ämter verstärkt auf von ihnen beobachtete Unterbrechungen der Kühlkette hinweisen. Auch die verzögerte Verräumung angelieferter Kühlware sei eine Fehlerquelle, sagt Huisinga.

Die Bremer Gesundheitsbehörde will nun "restriktiver" gegen Netto vorgehen, sagt Sprecherin Petra Kodré. Bei erneuten Verfehlungen gebe es Ordnungswidrigkeits-Verfahren. Bislang setzten die Kontrolleure auf fachliche Beratung der Märkte - und mussten dabei viel Geduld haben. Die Netto-Zentrale ließ die Behördenbriefe mit detailliert dokumentierten Verstößen aus dem Sommer 2010 neun Monate unbeantwortet - um dann in original Netto-Deutsch festzustellen: "Unsere täglichen Bemühungen wird das Einhalten der Temperatur sein, um den Endverbraucher keine gesundheitlichen Gefahren auszusetzen."

Kodré sieht ihre Kontrolleure durch enge gesetzliche Vorgaben gebunden - nicht einmal in ihrem Jahresbericht durften die Lebensmittelkontrolleure Netto namentlich nennen. Mittlerweile machen sich die Verbraucherschutz-Minister für mehr Transparenz stark. Ende des Jahres sollen zunächst die Ergebnisse der Hygiene-Checks in Kneipen veröffentlicht werden, dann auch der Lebensmittel-Branche.

Behörde und Verbraucher-Zentrale sind sich einig, dass eine kritische Öffentlichkeit letztlich mehr bewirke als Bußgelder - die seien "in vielen Fällen ohnehin zu niedrig", sagt Huisinga. Allerdings muss bezweifelt werden, dass die Salmonellen-Angst der Konsumenten im Zweifelsfall größer ist als der Bedarf nach schnellen, billigen Einkaufsmöglichkeiten: Gegen die gestern erfolgte Schließung eines sechsten Netto-Marktes in Bremen-Huchting regt sich bereits Widerstand - von Verbraucherseite. Insbesondere den älteren Menschen aus der Nachbarschaft fehle es jetzt an Versorgungsmöglichkeiten, beklagten sich Anwohner bei der Gesundheitsbehörde.

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