Lehrer über Hamburger Schulversuch: „Waldorf ist unwissenschaftlich“

In Hamburg sollen Waldorflehrer an eine staatliche Schule gehen. Diese Pädagogik hält der Initatior einer Petition für gefähliche Esoterik.

Esoterik? Freie Energie? Diese ehemaligen Waldorfschüler haben auf jeden Fall schon ihren „Äther- und Astralleib“ erreicht. Bild: dpa

taz: Herr Sebastiani, Sie haben eine Onlinepetition gegen einen Hamburger Schulversuch gestartet, bei dem Waldorflehrer bald an einer staatlichen Grundschule unterrichten sollen. Warum?

André Sebastiani: Weil mich dieser Schulversuch wirklich empört. Meinetwegen kann man die Waldorfpädagogik in einer Privatschule machen. Wenn sich Eltern bewusst dafür entscheiden, respektiere ich das. In Hamburg wäre es ja anders.

Wenn man im Bezirk wohnt und sich keine großen Gedanken macht, wird das Kind in der Regel automatisch der nächstgelegenen staatlichen Schule zugewiesen. Und das könnte bald eben eine Waldorfschule sein.

Mit dieser Kooperation möchte die Hansestadt Hamburg eine Privatschule verhindern, damit in einem Brennpunkt-Viertel nicht noch mehr Bürgereltern den Staatsschulen den Rücken kehren. Das ist doch eine löbliche Idee!

Finde ich auch. Aber man sollte lieber die staatliche Schule attraktiver machen. Mit Waldorf löst man keine sozialen Probleme.

Warum nicht?

,Jahrgang 1977, ist Grundschullehrer in Bremen und Mitglied der „Gesellschaft zur Untersuchung von Parawissenschaften“, für die er die Onlinepetition initiiert hat.

Weil das anthroposophische Menschenbild, das Leitbild einer jeden Waldorfschule, sehr problematisch ist. Nach anthroposophischer Vorstellung ist man, wenn man mit sechs Jahren in die Schule kommt, noch kein vollständiger Mensch.

Man ist dann nur physischer Leib und in den folgenden Jahrsiebten entwickelt man dann angeblich einen Äther- und Astralleib. Das ist eine wissenschaftlich völlig unhaltbare Entwicklungslehre.

Waldorfschüler berichten, dass die Esoterikbegriffe im Unterricht eigentlich keine Rolle spielen.

Das müssen sie auch nicht unbedingt. Aber im Hintergrund schwingt die Anthroposophie immer mit. Aus der Jahrsiebtelehre etwa wird in der Praxis abgeleitet, dass ein Kind in der ersten Klasse vor dem Zahnwechsel nicht Lesen und Schreiben lernen sollte. Und Studien zeigen, dass sich 90 Prozent der Waldorflehrer stark mit der Anthroposophie identifizieren.

Ist Ihre Onlinepetition in der Wortwahl nicht trotzdem etwas martialisch ausgefallen? Sie sprechen von einer „gefährlichen Ideologie“, die „antiaufklärerisches“ Gedankengut vermittle.

Im schlimmsten Fall ist es aber genau so. Waldorfpädagogik ist gefährliche Esoterik, nichts daran ist objektiv. Ich habe Physik-Hefte von Waldorfschülern gesehen, in denen plötzlich von „freier Energie“ die Rede ist. Ein völlig unwissenschaftliches Konzept. In anderen Heften wird Atlantis als Wiege der Menschheit dargestellt.

Hamburg will in dem Schulversuch diejenigen Teile der Waldorfpädagogik übernehmen, die gut funktionieren. Viel Kunst und Musik und keine Noten. Da spricht doch nichts dagegen.

Natürlich nicht. Aber für all das brauche ich keine Waldorfpädagogik. Die staatliche Schule, an der ich unterrichte, ist ebenfalls notenfrei. Meine Befürchtung ist, dass es nicht bei ein paar guten pädagogischen Elementen bleibt, sondern man sich die ganze unsinnige Weltanschauung dahinter mit in die Schule holt.

Der Bund der Freien Waldorfschulen hat in einer ersten Mitteilung zum Schulversuch „Waldorf light“ ausgeschlossen. Inzwischen haben sie die Mitteilung interessanterweise von ihrer Homepage gelöscht.

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