Leichtatheltik-Vize über Doping: "Ein schmaler Grat zum Zirkus"

DLV-Vizepräsident Eike Emrich ist nicht unzufrieden mit den deutschen Leichtathleten, fordert ein Ende der Medaillenzählerei und wundert sich über so viele hurtige Insulaner.

Auch die deutsche Staffel lief hinterher statt vorne mit. Bild: dpa

taz: Herr Emrich, hatten sie in Peking Spaß, sich die Leichtathletik-Wettbewerbe anzusehen?

Eike Emrich: Ja und nein. Einzelne Wettbewerbe waren hervorragend, Speerwerfen der Frauen war wunderbar, weil es am Ende einen absoluten Duellcharakter hatte. Nein bei 100-Meter-Zeiten, die zumindest ehrfürchtiges Staunen hervorrufen und einen Verdacht mitschwingen lassen. Was mich daran auch gestört hat, war die enorme Missachtung von Fairplay-Prinzipien. Wenn man demonstrativ das Gas heraus nimmt vor dem Ziel, und mit einem Dominanzritual ohnegleichen die Konkurrenten herabwürdigt - das hat kein Gegner verdient.

Ist diese Kritik am Verhalten des jamaikanischen Sprinters Usain Bolt nicht Ausdruck der Hilflosigkeit, weil mögliches Doping nur ein Verdacht ist?

Was wir kritisieren können ist, dass wir über die mangelnden Trainingskontrollen in den einzelnen Ländern wenig wissen. Insofern gibt es keine Chancengleichheit. Die Dopingbekämpfung ist weltweit nicht standardisiert. Das ist eine Sachaussage. Alles andere ist Generalverdacht. Wenn sich aber analog zu den Olympischen Spielen die wir schon erlebt haben in einigen Monaten oder Jahren durch Enthüllungen herausstellen sollte, dass wir davon ausgegangen sind, ein Produkt hoher Qualität, nämlich dopingfreien und regelgetreuen Sport, zu sehen, wir im Nachhinein aber feststellen, dass das ein Produkt niederer Qualität, nämlich dopingbelastet und nicht regelgetreu, war - dann wird das enorme Folgen für die Reputation der Olympischen Spiele haben. Dann ist der schmale Grat in der Spitze überschritten zum Zirkus. Wobei ich Zirkus für nichts Negatives halte, es ist nur kein Sport mehr.

Besteht denn die Möglichkeit, dass Athleten wie Bolt oder Michael Phelps sauber sind?

Die Möglichkeit besteht durchaus. Es ist immer denkbar, dass ein Jahrhundert- oder gar Jahrtausendtalent vorliegt und dazu noch ungeheuer kluges Training kommt. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist allerdings, dass in einer Population von 2,7 Millionen Insulanern so viele Medaillengewinner zu finden sein sollten, wie sich hier aus Jamaika gezeigt haben. Das Ereignisrisiko eines hoch begabten Menschen, der das Potenzial hat, Olympiasieger zu werden, wird in der Literatur mit einem pro einer Million angegeben. Auch Phelps ist sicherlich ein Ausnahmetalent, ich würde ihm zunächst kein Doping unterstellen. Er ist ungeheuer belastbar. Psychisch sehr stabil, sehr athletisch. Aber Sie können es nie ausschließen.

Wir glauben nicht mehr an Ausnahmeathleten, das ist doch traurig.

Vielleicht liegt gerade darin der künftige Unterhaltungswert. Doping bietet ja Anlass zu geselliger Konversation. Ist er gedopt oder nicht? Gibt es clevere und weniger clevere Doper? Gibt es nicht gedopte Sieger? Jedermann kann sich an den Gesprächen beteiligen. Und Jedermann hat die Chance, seine eigene, mangelnde sportliche Leistungsfähigkeit beim Zuschauen vor dem Fernseher zu entschuldigen: Er ist ja nicht gedopt.

Immerhin manche Athleten wie Sprinter Tobias Unger und Geherin Melanie Seeger äußerten ihre Zweifel öffentlich.

Natürlich stellen sich die Athleten die Frage, warum es diese Unterschiede im Dopingkontrollsystem gibt. Sie erleben das als Belastung. Die Logik lautet ja: Jeder stellt sich besser, wenn keiner dopt, denn dann bleibt er gesund. Wenn aber einer dopt, zwingt er die anderen, wenn sie gewinnen wollen, auch zu dopen. Der saubere Sportler ist zwar moralisch überlegen, aber faktisch der Dumme. Es wäre die Aufgabe aller Beteiligten in allen Entscheidungspositionen weltweit, mit aller Rigorosität dopingfreien, oder zumindest dopingreduzierten Sport durchzusetzen.

Ist das ein Vorwurf an den Leichtathletik-Weltverband IAAF?

Zumindest ist es eine Aufforderung, über die Systematik des Kampfes gegen Doping weltweit innerhalb der IAAF nachzudenken, diesen Kampf zu verstärken und Chancengleichheit herzustellen. Die IAAF ist natürlich bipolar. Sie ist einerseits interessiert an Rekorden, an Leistungen, die schier unglaublich sind. Andererseits muss sie auch an der Glaubwürdigkeit dieser Leistungen interessiert sein. Im Auswägen dieser beiden Dinge zeigt sich das Unvereinbare der Strategien in der Organisation. Das ist die Situation.

Wenn deutsche Athleten sich kritisch äußern, heißt es: Die sind zu schlecht, also müssen sie behaupten, die anderen seien gedopt.

Es schwingt immer eine latente Entschuldigung mit, eine Neutralisierung der eigenen, in der Öffentlichkeit manchmal als unzureichend empfundenen Leistung. Für mich ist das eine Frage des Maßstabs. Für mich treten unsere eigenen Athleten an, um ihre persönlichen Bestmarken zu verschieben. Wenn ihnen das gelingt, oder sei in die Nähe dieser Bestmarken kommen, haben sie allen Respekt verdient. Ich glaube, dass wir in der Öffentlichkeit durch die Betonung von Erfolg statt Leistung völlig den Maßstab für Leistung verlieren und ihr nicht mehr mit dem nötigen Respekt begegnen.

Also müssen wir aufhören, Medaillen zu zählen.

Das wäre die natürliche Konsequenz. Es ist doch absurd, zu glauben, dass die Zahl der Medaillen in olympischen Wettbewerben Ausdruck der Leistungsfähigkeit einer Nation auf anderen Gebieten sei.

Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Ich würde der deutschen Leichtathletik eine Zwei bis Drei geben. Wir hatten viel versprechende junge Athleten am Start, andere haben eine persönliche Bestleistung aufgestellt, und einige sind im Bereich ihrer Möglichkeiten geblieben. Es gab auch einige Enttäuschungen, das kann passieren. Aber wir haben eine Mannschaft, die ihre Leistung in ganz großen Teilen bestätigt hat. Mehr ist mit unseren Mitteln nicht möglich.

Ist das, was zur Spitze fehlt, Doping?

Das würde ich so nicht formulieren. Was zu Spitze fehlt, ist auch die letzte Ausschöpfung der Reserven im Training. Aber das setzt soziale Absicherung voraus. Der Mechanismus ist ganz einfach: Wir entwickeln mit Hilfe der Vereine einen jungen Athleten und er wird populär. Jetzt nähern sich Sekundärverwerter, Manager und andere. Das führt zu vielerlei Verpflichtungen, der Athlet gerät unter Termindruck. Seine Konzentration geht vom Training weg. Das führt bei nicht wenigen Athleten dazu, dass sich die Leistung in der zweiten Periode nicht so weiterentwickelt, wie wir es uns wünschen. Dem Manager ist das relativ egal, weil wir inzwischen neue junge Athleten entwickeln, die er dann übernimmt.

Sie brauchen also mehr Geld.

Die Geldausstattung des DLV ist sowieso verglichen mit vielen anderen Nationen unzureichend. Darin wohnt ja eine ganz eigene Logik: 2004 war der DLV schlecht, zwei Medaillen. Was folgt, ist eine Reduzierung der materiellen Mittel. Mit noch weniger Mitteln sollen wir dann wieder besser werden.

Mit ein Mal Bronze aus Peking wird die finanzielle Lage des DLV nicht besser werden.

Wir würden uns schon über 30.000 Euro freuen, um Staffeln auf die Leichtathletik-WM 2009 Berlin vorzubereiten. Ich will nicht missverstanden werden, ich finde das völlig in Ordnung: Aber allein mit den Kosten des Hotelaufenthalts der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei einer WM würden wir schon weiter kommen. Man meint immer in der Öffentlichkeit, da werden Millionen und Abermillionen investiert in den Sport, aber tatsächlich ist die direkte materielle Förderung schlicht unzureichend. Dann muss man auch öffentlich akzeptieren, wenn kein besseres Ergebnis erzielt wird.

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