Leif Randts neuer Roman: Melancholie im Whirlpool

Wie Kreativität sich in Abstumpfung verwandelt: In "Schimmernder Dunst über CobyCounty" treibt Leif Randt die Kultur der bourgeoisen Boheme auf die Spitze.

Mit "CobyCounty" hat Leif Randt einen schönen Albtraum vorgelegt. Bild: imago/gezett

CobyCounty sollte man sich vorstellen wie ein Monte Carlo für die Kreativindustrie. Der kleine Stadtstaat liegt am Meer, irgendwo fernab und doch im Zentrum der westlichen Welt. Es herrschen dort keine existenziellen Sorgen, auch wenn Geld nicht die Währung ist, mit der Distinktionsunterschiede markiert werden.

Wer nicht schreibt, Musik macht oder in der Erlebnisgastronomie tätig ist, der hat an der CobyCounty School of Arts and Economics studiert, "Kunstgeschichte seit 1995" etwa oder "Neues internationales Literaturmarketing".

So wie der 26-jährige Icherzähler in Leif Randts Roman "Schimmernder Dunst über CobyCounty": "Heute haben wir Jobs, die vielleicht in keiner anderen Stadt der Welt so gut bezahlt sein könnten. Als Agent für junge Literatur sind meine Klienten teilweise noch minderjährig, ich streiche in ihren Texten Fehler an und verhandle später mit Verlagen über Vorschüsse und Royalties. Die Texte meiner Teenagerautoren sind voll sprachlicher Wucht, und sie zeigen uns älteren Jugendlichen, wie sich das Leben der jüngeren Jugendlichen heute anfühlt."

Tatsächlich scheint in CobyCounty die Generationenfrage in rascherer Folge gestellt zu werden, ohne dass das sehr konfliktreiche Auswirkungen hätte. Man lebt in Milieus, die sich durch minimal abweichende Codes unterscheiden.

Die beliebteste Jahreszeit in CobyCounty, jene, die auch den Ruhm des Ortes begründet, ist der sehr warme, fast schon heiße Frühling. Dann strömen "gut aussehende", "talentierte" Freiberufler in dieses Paradies der Sorglosigkeit und Kontingenz und bereichern eine über Wochen sich hinziehende Partysaison. Das Leben in CobyCounty ist das Leben in einer Luftblase.

Es ist die Utopie einer glitzernden, multiethnischen und doch homogenen Miniwelt, in der auch die verschiedenen Generationen verständnisvoll miteinander umgehen, man schon mal mit seiner ehemaligen VWL-Professorin bei einer Party gemeinsam in einen Whirlpool steigt und selbst Liebeskummer sich anfühlt wie ein kleiner Sonnenbrand, den man spätestens in zwei Tagen wieder verschmerzt haben wird.

Und dass Leif Randts Held mit Namen Wim Endersson ein Melancholiker ist und zum Grübeln neigt, ohne sich davon sonderlich aus der Fassung bringen zu lassen, passt in diese Glashaus-Szenerie.

Nun mehren sich aber auch in CobyCounty die Anzeichen, dass etwas aus den Bahnen gerät. Jede Wunschvorstellung, wenn sie sich tatsächlich einmal verwirklicht, hat das Zeug, zur Farce zu mutieren, in eine negative Utopie umzukippen. Wie Leif Randt stilistisch brillant und vollkommen stringent eine Sprache für diesen Unort CobyCounty findet, ist bemerkenswert.

In einem einfachen, sehr suggestiven Ton, aber mit vielen Anspielungen auf unsere kulturellen Erfahrungskontexte schafft er es, immer nur vorsichtig das Überdrehte und Übersteigerte zu streifen, niemals in eine plumpe Satire abzurutschen. Er nimmt die Idylle, die er schildert, mit all ihren Komponenten und Absurditäten ernst, erzählt sie aus ihrer eigenen Logik heraus und erzielt dadurch eine immense Genauigkeit. Präzise lässt er auch kleine Unruhefaktoren in diese hermetische Welt einbrechen.

CarlaZwei ist der Ersatz

Wie in Thomas Glavinic Roman "Das Leben der Wünsche" (2009) eine verunglückende Seilbahn eine Serie unheilvoller Ereignisse in Gang setzt, so ist bei Leif Randt ein Hochbahnunfall das erste Menetekel. Natürlich wird hier jeder gerettet. Und doch scheint etwas anders zu sein als zu anderen Frühlingsanfängen.

Wims Freund Wesley verschwindet für einige Wochen aus der Stadt - eine sehr ungewöhnliche Handlung für Bewohner von CobyCounty, die niemals die Notwendigkeit verspüren, ihren kulturkapitalistischen Garten Eden zu verlassen. Freundin Carla gibt Wim den Laufpass, und nach einer kurzen Zeit der Orientierungslosigkeit findet er Ersatz in einem anderen Mädchen gleichen Namens, das er CarlaZwei nennt.

Auch das eine Irritation. Ein paar Villen brennen, und zudem kündigt sich ein bedrohliches Unwetter an, das gar zur Evakuierung des Küstenortes führt.

Leif Randt erzählt von CobyCounty als einem Gegenort, aber er erzählt zugleich von unserer Gegenwart: Nichts ist so fremd, nichts so unwahrscheinlich, dass wir es uns nicht vorstellen könnten. Ansatzweise gibt es das alles an bestimmten Orten dieser Welt, die sich strikt abgrenzen von den Randbezirken, von den Armenhäusern und Zulieferern für den Reichtum.

Glatte Oberflächen

Randt treibt in seinem literarischen Spiel die Kultur der bourgeoisen Boheme auf die Spitze: Er zeigt, wie Kreativität sich unter den Verhältnissen der absoluten Saturiertheit in Abstumpfung verwandelt.

In CobyCounty herrscht das Gleichmaß; es gibt keinen wirklichen Schmerz, es gibt keine Euphorie. Wo die Katastrophe sich andeutet, erscheint sie lediglich als willkommene Abwechslung zum täglichen Müßiggang und Konsumhedonismus. Selbst das Unglück prallt an der glatten Oberfläche ab.

CobyCounty ist eine Gedankenblase, die an Kinderparadiese aus Zeichentrickserien erinnert. Nicht umsonst sind die gefeierten Autoren von CobyCounty - ein kleiner Seitenhieb auf den Hegemann-Hype - allesamt Teenager.

Ernst-Willner-Preis

Hubert Winkels, Juror beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, bei dem der 27-jährige Randt in diesem Jahr mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet wurde, sprach von einer "Dystopie im Gewand einer Utopie". Tatsächlich stößt einen diese Lebenswelt ebenso ab, wie sie einen fasziniert. Nur der Tod müsste hier noch abgeschafft werden.

Spannend ist die Perspektive des melancholischen Skeptikers Wim, der sich nie auch nur einen Schritt aus dem schimmernden Dunstkreis CobyCountys herausbewegt hat und doch, wie etwa die Helden in Christian Krachts Büchern, viel zu klug ist für diese Oberflächenwelt, sie durchschaut, ohne daraus Konsequenzen ziehen zu können. ",Ich glaube, der Sturm ist an uns vorbeigezogen', sagt CarlaZwei mit ruhiger Stimme, und für einen Moment denke ich, dass sie diesen Satz nur metaphorisch meinen kann."

Der schöne Albtraum endet nicht. Leif Randt lässt CobyCounty, das er auf wunderbare Weise vor dem Leser erstehen lässt, nicht zusammenstürzen - es ist ein Ort, den er nur metaphorisch meinen kann.

Leif Randt: "Schimmernder Dunst über CobyCounty". Berlin Verlag, Berlin 2011, 191 Seiten, 18,90 Euro

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