Lesung von Debbie Harry in Hamburg: Monster, Gurken, Maulfaulheit

Eine Lesung in die Hamburger „Fabrik“: US-Popstar Debbie Harry kommt zur Veröffentlichung der deutschen Ausgabe ihrer Autobiografie „Face It“.

Debbie Harry auf einer Bühne

Debbie Harry stellt ihre Autobiografie vor Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Vielleicht lag es an Markus Lanz. Eine Aufzeichnung für dessen bunte ZDF-Talkrunde hatte Deb­bie Harry am Nachmittag über sich ergehen lassen müssen, das wurde bei ihrer einzigen Lesung in Deutschland kolportiert. Fast eine Stunde musste sie also in einem TV-Studio Gesprächen auf Deutsch zuhören, bis sich Lanz schließlich dazu herabließ, sie gewohnt lanzig nach ihren Drogen­erfahrungen zu befragen; und danach, wie es war, als Kind adoptiert worden zu sein.

Bis dahin war Debbie Harry noch einigermaßen auskunftsfreudig, wie man bei der Ausstrahlung feststellen konnte. Am Dienstagabend, bei der ausverkauften Lesung aus ihrer Autobiografie „Face It“ in der Hamburger Fabrik, ist jedoch die Luft raus. Harry, mit 74 genauso großartig aussehend wie früher – stolzes Puppengesicht unter strohblonder Mähne, „Stop fucking the planet“-Stola, Plateau­sneakers –, sitzt auf der Bühne zwischen Moderator Thorsten Groß und Mieze, Sängerin der Berliner Popband Mia, und ist maulfaul.

Ob sie sich langweilt, weil die Lesung mit einer von Mieze auf Deutsch vorgetragenen Passage beginnt? Ob sie Freund und Ex-Bandkollege Chris Stein vermisst, der die Promotour vorzeitig abgebrochen hatte? Oder ob sie einfach keine Lust hat, mit einem Mann über den Sexappeal und Feminismus von Blondie zu sprechen – man weiß es nicht.

Nicht nur hübsche Deko

Groß kriegt kaum etwas heraus aus ihr, dabei hat Harry in ihrem mit persönlichen Fotos und Porträts ausgestatteten Buch abendfüllend ihr Leben abgehandelt: Von der Mutter und Adoptivmutter schreibt sie, vom Aufbruch nach New York, den Begegnungen mit den Kunsthelden der 1970er, dem Lower-East-Side-Leben zwischen Nachtschichten als Kellnerin und dem Wunsch, selbst auf der Bühne zu stehen, nicht nur hübsche Deko zu sein. Vom Erfolg.

Debbie Harry sieht fabelhaft aus. Angesichts der Fragen hat sie bald die Faxen dicke

Jene Diskrepanz, die Blondie stets innewohnte – auf der einen Seite weibliches Empo­wer­ment mit sexpositiver Punk-Attitude, „sogar als Pin-up war ich Punk“, schreibt sie; auf der anderen Seite ebenjene Pin-up-Außenwahrnehmung, jene auf sie projizierte (männliche) Lust –, ist Teil ihres Glow. Am Dienstagabend schnurrt das Thema jedoch zusammen zu einem wiederum von der Gastleserin auf Deutsch vorgetragenen Kapitel, in dem Harry von David Bowies Schwanz redet.

Diese am meisten in den Rezensionen und Interviews zitierte Episode lässt einen noch ratloser zurück: Dass Iggy Pop und Bowie bei Debbie Harry Koks schnorrten und zum Konsumieren mit ihr in einen Backstageraum gingen. Dort habe Bowie seine Gurke herausgeholt, „as if I were the official cock checker“. Sie konstatiert: „Es war ein Prachtexemplar.“ Und schreibt weiter, dass sie Iggys Gurke eigentlich auch gern gesehen hätte.

Oder doch Amüsement?

Es ist ein Ausschnitt, über den man einige Diskurse führen könnte: Fing es als Belästigung an und endete in Amüsiertheit? Oder wollte sie Bowies Gurke eh sehen, so wie alle Bowie-Fans? Berechtigt diese Annahme einen Popstar, die Gurke buchstäblich nach Lust und Laune herauszuholen und hinzuhalten? Das Sujet ist komplex. Und eventuell nicht das Richtige für ein Gespräch mit Thorsten Groß auf einer Bühne.

Ein kurzes Kapitel liest sie schließlich selbst – es beschreibt eine Begegnung mit Miles Davis, der im Restaurant Max’s Kansas City, in dem sie kellnerte, schweigend in der Ecke saß. Aber dennoch einen tiefen Eindruck hinterließ. Harrys Ausführungen, so scheint es, bestehen vor allem aus Erinnerungen, und weniger aus Gedanken. Sie schreibt, was sie sah und erlebte, nicht, was sie fühlte und welche Schlüsse sie zog.

Ein eigenes Gedicht liest sie vor, mit dem Titel „The bitten boy“, es ist schön, leidenschaftlich und poetisch, es geht um verlorene Gedanken und Fieberfantasien, um das Monster, das den Gebissenen von innen auffrisst. Das wohlgesonnene Publikum, das ihren Missmut nicht versteht, klatscht begeistert. Doch danach hat die Frau, die Pop und Punk cooler kreuzen konnte als je jemand vor und nach ihr, die Künstlerin, die Warhol porträtiert, die Frau mit dem Glasherz und dem Lippenstift definitiv die Faxen dicke, eilt von der Bühne, wird vom Moderator zurückgeholt – es gab ein Missverständnis über die Länge der Veranstaltung.

So sitzt sie noch weitere 15 Minuten da, mit spitzem Mund, bleibt aber reserviert. Debbie Harry muss oft husten. Vielleicht ist sie einfach nur erkältet.

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