Linke Aktivisten in Potsdam: Der Kampf mit der Vergangenheit

In Berlin ist der Protest gegen Gentrifizierung zentral, in Potsdam spielt er keine Rolle. Dort engagieren sich Linke gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche.

Das Objekt des Streits: die Garnisonkirche, hier die vergitterte rekonstruierte Wetterfahne in Potsdam. Bild: dpa

Wohnungsmangel, steigende Mieten, hohe Wasserpreise und Einschnitte in der freien Kulturszene – in Brandenburgs Landeshauptstadt erschwert vieles den Alltag von Menschen, die über kein hohes Einkommen verfügen. Protestpotenzial und Ansatzpunkte für Kritik aus der linken Szene gäbe es reichlich. Doch die letzte Demonstration gegen steigende Mieten ist beinahe ein Jahr her. Wird um die Zukunft der Stadt gestritten, dann dreht sich seit geraumer Zeit alles um eine Kirche, deren Ruine vor fast 50 Jahren in die Luft gejagt wurde. Es geht um den Wiederaufbau der Garnisonkirche: Am 21. März 1933 gaben sich dort der neue Reichskanzler Adolf Hitler und der Reichspräsident Paul von Hindenburg die Hand.

Das Foto des Handschlags ist weltbekannt. Dieses Gebäude, das im Krieg teilweise zerstört und 1968 auf Anordnung der SED gesprengt wurde, wiederaufzubauen, wie es viele Anhänger einer historischen Rekonstruktion Potsdams fordern, „wäre ein falsches Signal“, sagt Simon Wohlfahrt von der Initiative gegen den Wiederaufbau. Und Jenny Pöller, Fraktionschefin der linksalternativen Wählergruppe Die Andere im Stadtparlament, betont: „Die Garnisonkirche steht symbolisch für die Schieflage in Potsdam.“

Denn wer Probleme nicht mit dem Geldbeutel lösen kann, so Pöller, erhoffe sich von der Stadt eben eher billige Mieten als die Kopien alter Barockgebäude. Der Widerstand gegen den Nachbau eigne sich, um die Unzufriedenheit mit der Entwicklung Potsdams auf den Punkt zu bringen. Frühere Forderung nach einem Mietenstopp bei der kommunalen Wohnungsgesellschaft oder kostenlosem Nahverkehr habe man dennoch nicht aufgegeben.

Kraft für eine Kampagne

Allerdings reicht die Kraft nicht aus, um mehrere Kampagnen gleichzeitig zu fahren, berichtet ein Szenemitglied. Zudem könne man die etablierten Parteien mit einem Bürgerbegehren im Jahr der Landtagswahl gut – und wie sich gerade zeigte: erfolgreich – piesacken. Am Montag teilte der städtische Wahlleiter mit, dass 14.285 gültige Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen die Wiederaufbau der Garnisonkirche gesammelt wurden, 13.500 Stimmen waren notwendig.

Laut dem Wortlaut des Begehrens soll die Stadt alle rechtlich möglichen Schritte unternehmen, um die Stiftung für den Wiederaufbau der gesprengten Barockkirche aufzulösen. Mitte kommender Woche stimmen die Stadtverordneten über diese Forderung ab. Die Mehrheit um SPD, CDU und Grüne hat sich bereits dagegen ausgesprochen. Bleibt es dabei, gibt es wohl parallel zur Landtagswahl am 14. September einen Bürgerentscheid. „Im Kern geht es um ein Ja oder Nein zum Wiederaufbau“, so Initiativensprecher Wohlfahrt.

Für viele Befürworter des Kirchenaufbaus, die inzwischen auch ungebetenen Zuspruch von der NPD bekommen, heilt erst die Rekonstrution des 88 Meter hohen Kirchturms die drei Wochen vor Kriegsende zerbombte Stadt. Außerdem geht es um viele Millionen Steuergelder. Nachdem die Diskussion über die Kirche jahrelang kaum vom Fleck gekommen war, weil für das mindestens 100 Millionen Euro teure Projekt nicht annähernd genug Spenden zusammenkamen, rückte im vergangenen Jahr plötzlich die schwarz-gelbe Bundesregierung 12 Millionen Euro heraus. Damit könnte der Turmbau begonnen werden. Das Projekt habe nationale Bedeutung, hieß es plötzlich.

Für die Gegner der Kirche wurden dadurch ungute Erinnerungen wach: Auch den Wiederaufbau des Stadtschlosses hatten sich die Freunde des barocken Potsdams inständig gewünscht – nur bezahlen konnte es niemand. Doch dann ließ TV-Moderator und Neu-Potsdamer Günther Jauch 2002 das Schlossportal auf eigene Kosten aufstellen. Später willigte das Land ein, an der Stelle einen neuen Landtag zu bauen, und Softwaremilliardär Hasso Plattner, ebenfalls ein bekannter Gönner der Stadt, ließ mehr als 20 Millionen Euro springen, damit das Parlament von außen auch so aussieht wie das alte Preußenschloss.

Das Anfang des Jahres eröffnete Gebäude – das fast so viele Touristen anlockt wie Sansoucci – dient nun als Argument zum Abriss von DDR-Bauten in der Nachbarschaft. Das wiederum stößt auf Widerstand: „Wir möchten weder eine Spielwiese für rechts-konservative Militärs, noch eine kleinkarierte grüne Gartenzwergidylle in der Innenstadt“, sagt Die-Andere-Fraktionschefin Pöller. Seit Jahren arbeite man gegen den Rückbau der Stadt zur barocken Puppenstube.

Mit dem erfolgreichen Bürgerbegehren ist man dabei einen guten Schritt vorangekommen, wie auch die nervösen Reaktionen zeigen. So sprach der stellvertretende SPD-Fraktionschef von einem Missbrauch des Instruments des Bürgerbegehrens. Und hinter den Kulissen wird über Verfahrenstricks gesprochen, damit nicht am Tag der Landtagswahl abgestimmt wird. An diesem Termin wäre das Quorum von 25 Prozent leichter zu schaffen.

Ein Sieg bei der Abstimmung würde einen erneuten Schub bedeuten für die linksalternative Szene. Die Wählergruppe Die Andere, die auch das Bürgerbegehren unterstützte, hatte schon bei der Kommunalwahl Ende Mai deutlich hinzugewonnen: Gut 6.000 Potsdamer stimmten für sie. Potsdams Linke-Chef Sascha Krämer sieht Die Andere als belebende Konkurrenz. „Wir bilden den fortschrittlichen Block gegen das bürgerlich-konservative Lager“, sagt Krämer.

Rechte fast verschwunden

Die Wählerschaft der Anderen speist sich auch aus der ehemals großen Hausbesetzerszene und ihren Unterstützern. Anfang der 1990er Jahre gab es in Potsdam die meisten besetzten Häuser auf dem Gebiet der einstigen DDR. Die aktive Antifa hat dazu beigetragen, dass Rechtsextreme in der Stadt in der letzten Zeit kaum noch in Erscheinung treten. Der Verfassungsschutz schätzt, dass es in Potsdam noch 90 Linksextreme gibt.

Und vielleicht wird sich die linke Szene bald doch noch mit der Entwicklung von Wohnungen und Mieten beschäftigen – zumindest was sie selbst betrifft. Die Zukunft der neun alternativen Wohnprojekte ist fraglich. Die städtische Immobiliengesellschaft möchte die Pachtzinsen für die überwiegend seit den 90er Jahren besetzten Häuser erhöhen. Über die Verhandlungen sprechen beide Seiten nicht öffentlich. Klar ist aber, dass die Bewohner mit Verweis auf Kosten für die Instandhaltung nicht mehr zahlen wollen. Linke-Chef Krämer bringt sich schon in Position: „Die Wohnprojekte sind aktiver Widerstand gegen rechtsextreme Ideologie“, sagte er. Die Stadt müsse sie fördern.

Doch die Stadtverwaltung verhandelt stattdessen mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten über einen Grundstückstausch. Betroffen davon könnte ein alternatives Wohnprojekt am Babelsberger Park sein. Das Gebäude an der Havel ist ein Treffpunkt der linken Szene.

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