Linke Fanclubs an der Basis: Wenn der Vorstand seine Anhänger mobbt
Es war einmal ein Traditionsverein: Beim 1. SC Göttingen 05 kriselt es heftig. Der Verein spricht von „politischer Instrumentalisierung“.
Die glorreichen Zeiten des 1. SC Göttingen 05 sind längst vorbei. 1966 und 1967 scheiterte das Männerteam der Göttinger als Zweiter der Regionalliga Nord in der Qualifikation zur Bundesliga-Aufstiegsrunde. Ein Jahr später hätte es mit dem Aufstieg fast geklappt. Zu den Spielen gegen Hertha BSC, Rot-Weiss Essen, Bayern Hof und dem von Fritz Walter trainierten SV Alsenborn strömten bis zu 18.000 Zuschauer ins Göttinger Jahnstadion. 1974 waren die 05er immerhin noch Gründungsmitglied der 2. Fußballbundesliga. Nach zwischenzeitlicher Insolvenz, Vereinsauflösung, Neustart in der Kreisklasse und mehreren Umbenennungen kickt „05“ heute vor ein paar hundert Besuchern in der sechstklassigen Landesliga Braunschweig.
Erstklassig blieben nur die Fans, sie hielten dem Verein auch in den unteren Spielklassen mehrheitlich die Treue und machen die Heimspiele mit lauten Gesängen und bunter Choreo stets zu einem Stadionerlebnis. Zugleich engagieren sie sich gegen Rassismus und Antisemitismus. 2005 wurde ihr Dachverband, die Supporters Crew 05 Göttingen, mit dem Julius-Hirsch-Preis des Deutschen Fußballbundes ausgezeichnet. Der DFB würdigte damit den Einsatz der Fans zur Erinnerung an den jüdischen Fußballer und Kaufmann Ludolf Katz. Der war 1934 nach fast 15-jähriger Mitgliedschaft vom Verein Göttingen 05 ausgeschlossen worden.
Die Fans beseitigen regelmäßig auch Müll und Dreck am Mahnmal der Göttinger Synagoge. Sie greifen nach eigenen Angaben ein, „wenn sich Menschen zum Feiern unter den Gedenktafeln der von den Nazis verschleppten und getöteten Göttinger Juden versammeln“. Zudem organisierten die Supporters eine Veranstaltung zu Homosexualität und Fußball und eine Ausstellung über Rassismus in den Stadien.
Lange Zeit genoss der Klub die wohlwollende Berichtserstattung über die Fans, die es mit ihren Aktionen bis ins britische Fernsehen schafften. Seit einigen Wochen aber kracht es gewaltig zwischen Anhängern und Vereinsführung. Beim Spiel gegen den SSV Vorsfelde am 24. August präsentierten Fans mehrere kritische Papptafeln. „‚Unerwünscht‘ und trotzdem da: Göttingen 05 Antifa“ stand da. Oder: „13 Jahre bei jedem Spiel, 13 Jahre alles für diesen Verein! Plötzlich externe Gruppe?“. Im Block der Ultras hing ein Transparent mit der Forderung „Vorstand raus!“ an der Balustrade.
Scheinbarer Schutz
Der Vorstand gibt die jeweils vor den Heimspielen auch online erscheinende Vereinspostille 05-Kurier heraus. In der ersten Ausgabe der laufenden Saison war ein Beitrag erschienen, den viele Fans als Angriff auf die linke Fankultur verstanden. Unter der Überschrift „Schutz unserer Vereinsneutralität – Warum politische Radikalisierung bei uns keinen Platz hat“ hieß es darin etwa: „Leider versuchen derzeit externe Gruppen, unseren Verein für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Sie möchten die Neutralität unseres Vereins untergraben und 05 als Plattform für ihre Ideologien nutzen – und so in alle Bereiche unserer Gemeinschaft eindringen.“ Eine Nachfrage beim Vorstand bestätigt die Vermutung, dass diesem vor allem die politische Orientierung der Fans ein Dorn im Auge ist: „Ein kleiner Teil der Fanszene … ist selbst organisiert und politisch stark motiviert.“ Dies stelle die politische Neutralität des Vereins infrage.
Die Göttinger Ultra-Gruppe „Rasensportguerilla“ reagierte darauf mit Unverständnis. „Als wären politische Positionen und klare Haltung nicht das, was sich die Fanszene 05 seit Jahren auf ihre Fahnen schreibt“, heißt es in einem Statement: „Das, wofür man weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist, oder das, womit man sich vereinsseitig immer dann gerne schmückt, wenn Amts- oder Würdenträger Preise für zivilgesellschaftliches Engagement oder Antidiskriminierung verleihen.“ Die Aussage, dass eine Gruppe die Neutralität des Vereins untergrabe, passe auch nicht zu dem, was der Vereinsvorstand selbst kommuniziere, konstatiert die „Rasensportguerilla“. „Dass sich unser Verein auf der letzten Mitgliederversammlung selbst den Kampf gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung auf unseren Vorstoß in die Satzung geschrieben hat, was mit überwältigender Mehrheit der Mitglieder angenommen wurde, wird dabei unterschlagen.“
Neutral banal
Ein möglicher Aspekt, warum die Vereinsspitze gerade jetzt so vehement auf „politische Neutralität“ pocht, sind die angespannten Finanzen. Die beiden großen wirtschaftlichen Player der Stadt, der Pharma- und Laborzulieferer Sartorius und die Sparkasse, fokussieren ihr Sponsoring auf den Basketball. 05 und die anderen Fußballclubs müssen beim Werben um knapper werdende Unterstützung durch Mittelstand und Handwerk hart miteinander konkurrieren.
Scharfe Kritik gibt es unterdessen auch am Umgang der Vereinsspitze mit Ehrenamtlichen. Über Jahre hätten Fans, Mitglieder und Unterstützer mit Leidenschaft, Kreativität und unzähligen ehrenamtlichen Stunden eine außergewöhnliche Vereins- und Stadionkultur geschaffen, schreiben die „Supporters“. Seit Monaten werde dies jedoch von Teilen des Vorstands untergraben, es mangele „an Wertschätzung, Respekt und gepflegtem Umgangston“.
Zuletzt sei keine Beteiligung am Vereinsgeschehen möglich gewesen, ohne dass der Vorstand in das bestehende Angebot „hineinregiert“ habe. Viele Ehrenamtliche haben ihr Engagement denn auch beendet oder heruntergefahren.
Bei den letzten Heimspielen fehlte der von Fans betriebene zweite Getränkestand ebenso die aus Fan-Kreisen rekrutierte Ordner-Crew und das bei den Zuschauern beliebte 05-Tippspiel.
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