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Linke GrabenkämpfeMut zur Zustimmung

„Kopflinke“ wie „Bauchlinke“ haben viele Strömungen. Die stärkste Fraktion im Netz aber ist die Abgrenzungslinke.​ Warum es so schwer ist, anderen recht zu geben.

Gut, dass endlich wieder Menschen gegen den Druck von rechts demonstrieren: „Wir sind die Töchter“-Kundgebung in Berlin, 21. Oktober Foto: Carsten Thesing/imago

I ch schätze Menschen, die die eigene Bewegung skeptisch beobachten, analysieren und hinterfragen. Doch inzwischen nimmt die kritische Betrachtung mehr Raum ein als das Selbermachen und die Unterstützung für Positionen, die man teilt: Problematisierung und Abgrenzung dominieren. Das Verhältnis von Ma­che­r*in­nen zu Kri­ti­ke­r*in­nen kippt.

Statt seine Stadtbild-Aussage zurückzunehmen, hat Merz danach lieber Frauen für seinen Rassismus instrumentalisiert. Dagegen gingen Frauen (nicht nur weiße) auf die Straße. Ich gebe zu: Ich bin genervt von dieser Fokusverschiebung. Doch gleichzeitig bin ich erleichtert, dass endlich wieder Menschen gegen den Druck von rechts demonstrieren.

Ich selbst habe mich dann weiter mit der Perspektive von Mi­gran­t*in­nen und PoC beschäftigt und einen Radiobeitrag vorbereitet – über deren satirische Reaktionen auf Tiktok. Denn die Aufmerksamkeit gehört den Betroffenen, und ich teile das, von dem ich finde, dass die Öffentlichkeit es sehen soll. Damit habe ich mich jedoch alleine gefühlt. Denn um mich herum verbrachten immer mehr Leute ihre Zeit damit, „Töchter“ zu kritisieren, statt Stimmen von Betroffenen zu verstärken oder antirassistische Demos zu organisieren.

Affirmatives ist suspekt

Der Drang, andere zu belehren, scheint größer als der, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen oder die Aufmerksamkeit auf Betroffene zu lenken: Negativbeispiele ziehen besser. Verneinung bekommt am meisten Zustimmung. Ich merke das an Reaktionen auf eigene Beiträge. „Gut, dass du das problematisierst“, ist eine häufigere Reaktion als „Diese Aktion feiere ich auch!“. Affirmatives ist suspekt. Es könnte irgendwo darunter etwas Problematisches liegen.

Gibt es generell mehr Kri­ti­ke­r*in­nen als Macher*innen? Denn während Instagram motzte, haben meine Zusammenhänge außerhalb des Internets einfach weitergearbeitet.

Viele suchen gerade nach einem Weg, der Gesamtscheiße am besten zu begegnen

Einige Netzdebatten und Zerwürfnisse sind für Ak­ti­vis­t*in­nen und Organizer, die Menschen in Städten und Dörfern zusammenbringen wollen und die sich in Vereinen, Selbstorganisationen oder in der Lokalpolitik engagieren, kaum der Rede wert. Nicht nur, weil die Zeit fehlt, sondern auch, weil es aus der Praxis ein Verständnis dafür gibt, dass viele gerade auf der Suche nach einem Weg sind, um der Gesamtscheiße am besten zu begegnen.

Alle suchen nach Strategien, Verbündeten und etwas, das ihnen Kraft gibt, weiterzumachen. Kampagnen oder Aktionen, mit denen man nicht mitgehen kann, werden dann eher als etwas diskutiert, das in diesem oder jenem Aspekt nicht funktioniert. Aber man schaut sich das Potenzial an.

Ich selbst bin dadurch großzügiger geworden gegenüber all den Versuchen um mich herum. Und ich habe gelernt: Wenn ich ins direkte Gespräch gehe, ist die Antwort meistens, dass andere Ak­ti­vis­t*in­nen selbst nicht hundertprozentig zufrieden sind mit dem, was sie da tun. Sie wollten nur handeln, bevor sie nichts machen.

Es lohnt sich, mehr Zeit aufzuwenden, selbst Protest zu organisieren und sich nicht an Haltungen und Praktiken anderer abzuarbeiten. Ich habe mir vorgenommen, mehr Raum zu schaffen und Reichweite zu generieren für Engagement, das ich unterstützenswert finde.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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