Linke hadern mit Europa: Die Dissidentin

Die Ansichten der Europapolitikerin Sylvia-Yvonne Kaufmann sind der Linkspartei zu EU-freundlich. Beim Bundesparteitag bekommt sie deswegen keinen Listenplatz.

Sylvia-Yvonne Kaufmann eckt in der eigenen Partei an, weil ihre Positionen Lafontaine zu differenziert sind. Bild: dpa

Ein Mann setzt zu einem Vortrag an. Über die EU, die Neoliberalismus und Militarismus den Weg ebnet, und den EU-Vertrag, der das Grundgesetz aushöhlt. Der Mann ist etwa 70. Was er sagt, ist typisch für das Bild, das die Linkspartei von der EU zeichnet. Brüssel gilt dort als Chiffre für Ausbeutung, Umweltzerstörung, Krieg und soziale Spaltung. So steht es in dem Europawahlprogramm der Linkspartei, das am nächsten Samstag in Essen verabschiedet wird.

Vom 28.2. bis 1.3. hält die Linke ihren Europa-Parteitag in Essen ab. Im Vorfeld gab es einigen Wirbel um die Nominierung profilierter EU-Politiker der Partei. So hat der Bundesausschuss der Partei die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann nicht wieder nominiert. Gleiches gilt für André Brie. Kaufmann hatte als einzige Frau aus Deutschland am Lissabon-Vertrag mitgewirkt und unter anderem dafür das Bundesverdienstkreuz bekommen. Sie strebt nun eine Kampfkandidatur für einen Platz auf der Bundesliste an. Bisky wurde vom Bundesausschuss auf Platz eins der Liste gewählt.

Auf dem Podium der spärlich besuchten Veranstaltung über die EU in Berlin sitzt Sylvia-Yvonne Kaufmann, Europaabgeordnete der Linkspartei. Und widerspricht ihrem grauhaarigen Genossen. Der Lissabonner Vertrag sei "der fortschrittlichste, den es je gab", sagt sie. "Ich halte den EU-Vertrag nicht für grundgesetzwidrig." Gysi & Co haben genau deswegen gerade Klage in Karlsruhe gegen den EU-Vertrag eingereicht.

Seit neun Jahren vertritt Kaufmann die PDS und Linkspartei in Straßburg. Damit soll nun Schluss sein. Auf dem Listenvorschlag der Linkspartei taucht ihr Namen nicht auf - ebenso wenig wie der des Reformers André Brie. Lothar Bisky, Spitzenkandidat für die Euroapawahl, wollte Brie und Kaufmann halten. Doch er scheiterte, so heißt es in der Partei, an Oskar Lafontaines Veto. Denn Lafontaine fährt einen scharfen Anti-EU-Kurs - Pragmatiker stören da.

In Berlin versucht Kaufmann den Altgenossen geduldig zu erklären, dass nationalistisch getönte Anti-EU-Affekte kurzsichtig sind. "Wenn mich", sagt sie später in einem Café, "Genossen an der Basis einladen, sagen sie am Ende oft: Yvonne, du hast ja recht." Kaufmann trat Mitte der 70er-Jahre in die SED ein. Sie ist Japanologin - ein in der DDR ziemlich exotisches Fach, in dem es ideologisch lockerer zuging. 1990 stritt sie für die Erneuerung der SED zur PDS. Stets war sie eine treue Genossin: erst in der SED, dann in der PDS. Beim Parteitag in Münster 2000 wollte die Parteispitze an der prinzipiellen Ablehnung aller militärischen Kampfeinsätze auch mit UN-Mandat rütteln, um die Partei manövrierfähiger zu machen. Damals hielt Kaufmann unter Tränen die entscheidende Rede - für einen gesinnungsfesten Pazifismus. Münster war ein Fiasko für alle, die die PDS öffnen wollten. Und Sylvia-Yvonne Kaufmann ein Schreckgespenst für die Realos. Manche Reformer fürchteten sogar, dass sie zur Galionsfigur von Kommunistischer Plattform und marxistischem Forum würde.

Den Fundis gilt sie längst als Verräterin. Jetzt ist sie das, was Heiner Geißler für die CDU ist: fest verwurzelt im Milieu der Partei und meilenweit entfernt von deren Linie. Eine Dissidentin, die überzeugt ist, dass ihre Partei europapolitisch auf dem falschen Kurs ist. Sie hat diese Kritik in einem Buch beschrieben: "Populäre Missverständnisse und linke Irrtümer zum Vertrag von Lissabon".

Kaufmann sieht bei sich eine gerade Linie von Münster bis heute. Pazifistin, sagt sie, "bin ich heute wie damals, die EU als Militärmacht lehne ich ab." Doch sie hat sich verändert. Vor allem durch den Konvent, der den ersten EU-Vertragsentwurf aushandelte. Dort war sie die einzige deutsche Frau. Dort begriff sie, dass man im Dschungel der EU etwas ändern kann - wenn man sich nicht einmauert. Daniel Cohn-Bendit, Chef der grünen Fraktion im Europaparlament, attestiert Kaufmann "eine faszinierende Entwicklung". Das "offene Spiel im Europaparlament und die historische Arbeit im Konvent", so Cohn-Bendit , "haben sie verändert. Das ist eine ansteckende Erfahrung."

Kaufmann sagt im Gespräch manche Sätze zweimal, auch dreimal. Etwa, dass es falsch ist, den EU-Vertrag pauschal abzulehnen, weil er Chancen für linke Politik eröffnet. Dass die Europäische Bürgerinitiative, die sie vorantreibt, die Beteiligungschancen der Bürger wirklich erhöht. Dass die Linkspartei einen Fehler macht, wenn sie ihre Oppositionshaltung aus dem Bundestag eins zu eins auf Europa projiziert. Sie wiederholt die Argumente, weil sie das Gefühl hat, dass sie ihren Genossen dies immer wieder sagen muss.

Kaufmann ist eine Einzelkämpferin geworden. Vor sechs Jahren war die Lage noch anders. Damals, im Juli 2003, stimmte Kaufmann im EU-Konvent für den EU-Verfassungsentwurf - unterstützt von der PDS-Parteispitze. Die PDS kritisierte zwar scharf die Aufrüstung der EU, lobte aber die demokratischen und sozialen Verbesserungen des Vertrags. Doch lange hielt diese Linie nicht. 2002 war die Ostpartei im Bundestag an der Fünfprozenthürde gescheitert. Für die Europawahl 2004 brauchte man ein klares Feindbild. Fortan bekämpfte die PDS energisch die EU-Verfassung. Seit der Fusion mit der noch weit EU-skeptischeren WASG scheint die Ablehnung der EU-Verfassung in Stein gemeißelt zu sein.

Der Reformflügel - das Forum demokratischer Sozialismus FdS - warnt zwar tapfer vor "antieuropäischen Ressentiments". Doch genau so liest sich das lange umstrittene Europawahlprogramm, beim dem sich offenbar die EU-Skeptiker um Sahra Wagenknecht und Wolfgang Gehrcke durchgesetzt haben. Der FdS-Kandidat Dominik Heilig wurde auf einen aussichtslosen hinteren Platz des Listenvorschlags verbannt. Die Reformer haben die Schlacht um den EU-Kurs anscheinend verloren.

Auf dem Parteitag in Essen werden Kaufmann und Brie trotzdem antreten. Mehr als Außenseiterchance haben sie wohl nicht. Ihr Parteivorsitzender Lothar Bisky sagt: "Die Linke ist für Europa. Alle Bemühungen, uns in eine antieuropäische Ecke zu stellen, sind vergebens. Das wird die Botschaft von Essen sein."

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