Linke im MMA und Muay Thai: Kämpfen im Widerspruch
Der Kampfsportboom hat längst auch linke Subkulturen erreicht. Doch viele Linke ringen mit ihrer Rolle in einem marktförmigen System.
„Ich will mich selbst noch im Spiegel anschauen können“, sagt Jonny. Ein täglicher Widerspruch für die professionelle Muay-Thai-Kämpferin, die sich politisch links verortet und unter dem Namen Jonny kämpft. Vor zehn Jahren in der Leipziger linken Kampfsportszene war an eine Profikarriere kaum zu denken: zu wenig Frauen, zu wenig Kämpfe, zu wenig Strukturen. Und dort, wo es sie gab, dominierten rechte, autoritäre und frauenverachtende Akteure.
Doch Jonny zog ihre Linie durch im thailändischen Vollkontaktkampfsport, bei dem Ellenbogen, Knie, Fäuste und Kicks eingesetzt werden. Mit Neonazis oder Sexisten in den Ring zu steigen, kam für sie nie infrage – auch wenn lukrative Angebote winkten. „Wenn du da nicht mitspielst, hast du es zehnmal schwerer.“ Heute kämpft sie als Profi im thailändischen Phuket. Ein Muay Thai Gym dort bot ihr ein Sponsoring an und sie ergriff die Chance. Als erste österreichische Frau kämpft sie im legendären Lumpinee Boxing Stadium.
Im Gegensatz zu ihrem Boss seien ihr Titel aber weniger wichtig als qualitative Kämpfe, Trainings und nachhaltiges Lernen, sagt sie. Trotzdem gewinnt sie Kämpfe – und Respekt. „Das Gym hier ist nicht politisch links, aber die Leute haben das Herz am richtigen Fleck“, sagt sie. Anders als bei manchen linken Lifestylestudios in Deutschland, wo in der Realität nicht viel von Labels wie Solidarität und Antisexismus übrig bleibe. Da gehe es schon mehr um Coolness und unter sich bleiben.
Zwischen Ideal und Business kämpft Jonny jeden Tag aufs Neue. Für weibliche Kampfsportlerinnen sei der Ring vor allem eine Bühne, schildert sie. Heteronorme Körperideale spielten eine viel zu große Rolle bei der Leistungsbewertung von Frauen. Sie hat jedenfalls den Eindruck, aufgrund von Äußerlichkeiten – zu denen auch ihre politischen Tattoos gehören – von den Kampfrichtern und dem Publikum nicht favorisiert zu werden. Um Gewicht zu machen, muss sie vor Kämpfen hungern und entwässern.
„Ein scheiß Widerspruch“
„Das ist ungesund und fördert Essstörungen. Es ist ein scheiß Widerspruch, aber als Profi muss man da durch.“ Dass viele linke Amateursportler und -sportlerinnen freiwillig Gewicht machen, versteht sie nicht. Da übernähme man blind die Maßstäbe des kapitalisierten Profisports: Leistungsdruck, Vermarktung, Konkurrenzdenken. „Es ist euer Hobby – wofür quält ihr euch so?“, fragt Jonny. Die innerlinke Debatte ist genau für diese Selbstreflexion nötig.
Auch Jesse-Björn lebt in Widersprüchen. Der Mixed-Martial-Arts- und Muay-Thai-Kämpfer aus der Berliner Bewegungslinken erinnert sich an einen sehr befremdlichen Momente: In Abu Dhabi stand er plötzlich als Coach mit Deutschlandtrikot am Ring – in einem Land, das Kampfsport für seine autoritäre Politik instrumentalisiert. „Das war sehr weit weg von dem, was ich eigentlich richtig finde.“ Über 50 Profikämpfe hat er bestritten, doch sein Sport widert ihn oft an: als Popkultur, als Bühne für Machtfantasien und als Einnahmequelle für menschenfeindliche Akteure.
Kein Mittel für politische Agitation
Weder mit AfDlern, Antisemiten, Islamisten noch anderen Freunden autoritärer Ideologien, die sich nicht ohne Grund für die gewalttätigen Elemente von Kampfsport begeistern, möchte er etwas zu tun haben. Der Profikämpfer analysiert: Kampfsport sei kein Mittel für politische Agitation und kein gutes Instrument, um Gesellschaftskritik zu betreiben. Das sei ein Missverständnis im linken Kampfsport.
Trotzdem hat er viel zur Professionalisierung der linken Kampfsportszene beigetragen – und steckt mittendrin. Dieses Jahr stand er in Rom gegen Saenchai, den Superstar des Muay Thai, im Ring. „Wenn ich was mache, dann versuche ich es richtig und nicht halbherzig“, sagt er. So klar ist auch sein politisches Rückgrat. Er boykottierte Neonazis im Ring und setzte sich gegen Studioleitungen durch. Ein Neonazi-Kämpfer verlor dank ihm seinen UFC-Vertrag. Dafür bekam er Drohungen – und eine manipulierte Onlinebilanz, die seinem Ruf schaden sollte. „Politik ist immer Machtkampf“, und diesen müsse man dann auch führen.
Individuelle Kraftquelle
Spannender als die häufige Frage: „Wie umgehen mit Rechten?“ findet er aber eine profunde emanzipatorische Sportkritik: „Rechts“ seien ja nicht nur gewisse Akteure, sondern die Kultur, Organisation, Vermarktung, Körperfixiertheit und eben auch die autoritären Bedürfnisse. Trotzdem könne Kampfsport, auch professionell betrieben, eine individuelle Kraftquelle sein. Menschen mit Ohnmachtserfahrungen erlebten hier Selbstwirksamkeit. In Genderfragen habe die linke Szene da tatsächlich Fortschritte bewirkt – Frauen sind sichtbarer, Trainerinnen selbstverständlich. Doch sobald ökonomischer Druck ins Spiel kommt, geraten vage Ideale ins Wanken, beobachtet Jesse-Björn. Ist man eine Politgruppe, die zusammen Sport macht, oder eine Sportgruppe, die sich als links versteht?
Klar ist: Der Kampfsportboom hat linke Subkulturen längst erreicht. In den letzten zehn Jahren trainieren immer mehr Linke vor allem Muay Thai und MMA und werden in einschlägigen Kampfsportgyms und -events immer professioneller. Doch die Frage bleibt, wie man diese Entwicklung gestaltet, ohne sich in einem unmenschlichen System zu verlieren. Jesse-Björn hat da mehr Fragen als Antworten, und auch Jonny handelt die Widersprüche jeden Tag aufs Neue aus. Vielleicht ist es genau dieses Denken, Reflektieren und Diskutieren, was den linken Kampfsport ausmacht, nicht die Lösung komplexer gesellschaftlicher Dialektik.
Beide bleiben sich treu, so gut es eben geht. Und trotz aller Entfremdung gehören sie doch zur linken Kampfsportszene. Jonny geht das Herz auf, wenn sie im Gymbetrieb auf eine Person trifft, die ihre emanzipatorische Haltung im Kampfsport teilt und mitlebt.
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