Linken-Kandidatin über Arroganz großer Parteien: „Männer drängeln sich nach vorne“

Pia Zimmermann kandidiert erneut für den Bundestag. Die Linke über die Quotenregel und wieso sie Fußballerinnen in den Bundestag einlud

Die erste weibliche Spitzenkandidatin der Linken in Niedersachsen: Pia Zimmermann Foto: Christian Wyrwa

taz: Frau Zimmermann, warum haben Sie eine Fußballmannschaft in den Bundestag eingeladen?

Pia Zimmermann: Ich fand es unglaublich, dass die Frauen des VfL Wolfsburg Meister werden und das nicht feiern durften. Das muss man sich mal umgekehrt vorstellen: Die Männer dürfen nicht feiern, weil die Frauen noch in der Relegation stecken? Unvorstellbar. Da wollte ich ein Zeichen setzen.

Wann kommen die Fußballerinnen?

Leider hat es bisher nicht geklappt, weil viele in den Urlaub gefahren sind, nachdem sie erfahren haben, dass sie nicht feiern dürfen.

60, die Bundestagsabgeordnete der Linken kandidiert als niedersächsische Spitzenkandidatin auf Listenplatz 1 für die Wiederwahl. Bis 2013 war sie Landtagsabgeordnete in Hannover. Sie lebt in Wolfsburg und hat als Sozialpädagogin in einer Langzeiteinrichtung für Menschen mit Behinderung gearbeitet.

Sind Sie Fan der Mannschaft?

Ja, auf jeden Fall. Ich war schon oft mit meiner Enkelin im Stadion und habe selbst als Jugendliche Fußball im Verein gespielt.

Ist das eine typische Ungleichbehandlung in unserer Gesellschaft?

Ja. Frauen verdienen weniger, haben die schlechteren Jobs und Arbeitszeiten, sind mehr von Altersarmut bedroht. Frauen sind im Wesentlichen diejenigen, die die Sorge- und Pflegearbeit verrichten müssen und die Kinder erziehen. Das ist eine große Ungerechtigkeit.

Sind Sie selbst auch zu Hause geblieben, um sich um Ihre drei Kinder zu kümmern?

Bei meinem dritten Kind bin ich für ein Jahr in Erziehungsurlaub gegangen. Bei den anderen beiden habe ich es nicht gemacht, weil ich studiert habe. Ich war aber eine Zeit lang arbeitslos.

Warum das?

Das war unfreiwillig. Ich habe mich viel beworben und hatte auch viele Bewerbungsgespräche und bin fast immer in die letzte Runde gekommen. Aber damals haben die Arbeitge­berInnen schon gegoogelt und dann stand bei mir PDS. Das hat sich für mich angefühlt wie ein Berufsverbot.

Waren die Personaler abgeschreckt?

Das ist jetzt nicht mehr so dramatisch in der Linken, aber die PDS war schon ein Ausschlusskriterium. Ich habe keine feste berufliche Perspektive mehr als Sozialpädagogin bekommen. Ich bin dann putzen gegangen.

Und in Ihrer politischen Arbeit?

Da konnte ich mich durch die konsequenten Quotierungsregeln in unserer Partei mit meinen Fachthemen durchsetzen. Das Reden alleine bringt nichts. Die Männer würden sich immer wieder in die erste Reihe stellen. Bei Wahlen ist es bei der Linken so, dass auf allen ungeraden Listenplätzen eine Frau kandidiert.

Wie kommt es dann, dass Sie die erste weibliche Spitzenkandidatin der Linken in Niedersachsen sind?

Weil sich auch bei uns die Männer nach vorne drängeln. Wir Linken sind ja keine besondere Spezies.

Wollen Sie etwas anders machen als Ihre männlichen Kollegen?

Ich meine schon, dass es einen Unterschied gibt zwischen Frauen und Männern. Männer kämpfen öfter mit harten Bandagen und stellen sich selbst in den Mittelpunkt. Bei Frauen ist es meiner Erfahrung nach eher so, dass sie Teamplayer sind. Ich glaube, das tut uns gut.

Ist das nicht wieder ein Stereotyp?

Ja. Das heißt auch nicht, dass es nicht auch Frauen gibt, die sich durchboxen. Aber ich finde, man darf als Frau Frau bleiben, auch in Männerdomänen.

Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Ich bin in eine Arbeiterfamilie hineingeboren worden und meine Eltern haben damals geguckt, dass mein Bruder und ich zu einer Jugendorganisation gingen. Ich glaube nicht, dass sie wussten, was genau die Falken waren …

Die Falken waren die Sozialistische Jugend Deutschlands.

Mit acht Jahren bin ich das erste Mal mit ins Zeltlager gefahren. Es gab ganze Zeltdörfer mit eigenen Namen. Wir haben BürgermeisterInnen und ParlamentarierInnen gewählt, die das Dorfleben mitbestimmt haben. Da lernt man natürlich, für die eigenen und die gemeinsamen Interessen einzutreten. Mit 16 bin ich dann in die SPD eingetreten.

Und wieder ausgetreten.

Ja, da kam der Nato-Doppelbeschluss. Für mich ist Frieden das Wichtigste, keine Kriegseinsätze, keine Waffenlieferungen. Das zieht sich durch mein ganzes Leben.

Woher kommt das?

Das hat etwas mit der Biografie meines Vaters zu tun. Seine Schwester ist im Faschismus im Euthanasieprogramm umgebracht worden. Das hat mein Vater sein ganzes Leben lang mit sich herumgeschleppt. Ich habe mich viel mit dieser Geschichte befasst und bin Antifaschistin durch und durch. Im Gegensatz zur SPD war das soziale Programm der PDS dann genau das, was mir nahelag.

Jetzt vertreten Sie die Linke. Doch warum sollte man eine Partei wählen, mit der sowieso niemand regieren will?

Also ob mit uns keiner regieren will, da warten wir mal die Bundestagswahlen ab. Und warum man die Linke wählen soll, ist doch klar: Die neoliberale Politik der letzten Jahre hat den Menschen nicht geholfen, sondern die Armen zahlreicher und die Reichen reicher gemacht. Wenn es die Linke nicht mehr im Parlament gibt, wird keiner mehr den Finger in die Wunde legen.

Also sind Sie ein Korrektiv?

Mindestens ein Korrektiv.

Waren Sie manchmal frustriert, wenn Sie als Pflegeexpertin Ideen in den Bundestag eingebracht haben und diese abgeschmettert wurden?

Das war eigentlich immer so. Gerade wenn die KollegInnen von der SPD und von CDU/CSU in einer Arroganz sondergleichen einen mit Anträgen so auflaufen lassen, kann das wirklich frustrierend sein. Trotzdem gelingt es uns, Themen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Sie kämpfen für Verbesserungen für Pfleger und Patienten. Haben Sie selbst Angst davor, einmal pflegebedürftig zu werden?

Klar. Ich finde das eine gruselige Vorstellung, weil Pflege in unserer Gesellschaft leider nichts mit sozialer Teilhabe zu tun hat. Manchmal heißt es noch nicht einmal: warm, satt und sauber. Es kann vorkommen, dass PatientInnen aus Zeitdruck nicht richtig gewaschen werden oder unzureichend zu essen bekommen – und wenn, dann Schokoladenpudding, weil der besser flutscht. Das sind krasse Zustände.

Was müsste sich ändern?

Wichtig sind mehr Personal und mehr Geld. Denn wenn sich etwas für die KollegInnen zum Positiven verändert, ändert sich auch etwas an der Situation der BewohnerInnen.

Warum wollen Sie mit 60 Jahren nochmal in den Bundestag? Hat Ihre Partei keinen Nachwuchs?

Natürlich haben wir geeigneten Nachwuchs. Auf Platz vier steht bei uns auf der Landesliste ein junger Mann …

… Victor Perli ist 35 Jahre alt.

Ja. Wir kämpfen dafür, dass er mit in den Bundestag einzieht. Aber warum sollte ich aufhören, mich auch im Bundestag für einen Politikwechsel einzusetzen, nur weil ich 60 Jahre alt bin? Ich bin eine Kämpfernatur. Und es gibt immer noch viel zu tun.

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