Linker Aktivist über Schlager: „Es geht darum, sich als arbeitende Klasse zu feiern“
Erstmals gibt es am Samstag in Hamburg einen Alternativen Schlagermove. Die Musik hat utopisches Potenzial, sagt Ansgar Ridder von „Wer hat, der gibt“.
taz: Herr Ridder, die extreme Rechte sitzt in Parlamenten, Europa schottet sich ab, die Welt brennt. Jetzt sollen Linke Schlager hören und dazu tanzen?
Ansgar Ridder: Ja! Schlager hat utopisches Potenzial. Er besingt das schöne Leben. Es geht oft um Freizeit und Liebe, Sachen, die nicht gerade Arbeit sind. Dieses Dolce Vita wird gerade massiv angegriffen, vor allem von der sogenannten Volkspartei CDU. Wir sollen länger und mehr arbeiten, weniger Urlaub und mehr Überstunden machen. Das Leben fängt nicht mehr mit 66 an, sondern mit 70 plus. Das will der Schlager gerade nicht.
taz: Aber viele Schlager sind auch heteronormativ, heimattümelig, hier und da rassistisch.
Ridder: Ja, stimmt, aber wir wollen zeigen, dass Schlager viel mehr ist als das. Es gibt stabile Schlagerstars wie Roland Kaiser, der sich gegen die AfD ausgesprochen hat. Einige Schlagerstars werden in der queeren Community gefeiert wie Marianne Rosenberg. Die Tochter eines Auschwitz-Überlebenden setzt sich für die Rechte von Sinti und Roma ein. Und im Schlager werden auch oft Klassenthemen verhandelt.
taz: Trotzdem hat die Junge Union Berlin vor einigen Jahren zu „Schlager gegen links“ eingeladen.
Ridder: Wusste ich gar nicht. Egal. Schlager gehört allen. Wir nehmen ihn der CDU weg!
taz: Nach Hamburg kommen seit 1997 jedes Jahr im Juli Hunderttausende Besucher*innen zum originalen Schlagermove. Das ist deutschlandweit die größte Schlagerparade. Warum machen Sie da nicht einfach mit?
Ridder: Wir waren da! Wir haben auch nichts gegen Leute, die dahingehen. Wir wollen nur eine andere Veranstaltung machen, nicht so kommerziell, ohne Werbung, mit politischem Ausdruck und außerhalb von St. Pauli. Deswegen laden wir in diesem Jahr zum ersten Mal zum Alternativen Schlagermove.
taz: Die Route verläuft durch Villenviertel ganz im Hamburger Westen. Warum?
Ridder: Zum normalen Schlagermove in Hamburg fahren viele Leute von außerhalb in die Innenstadt. Wir dachten, wir drehen das mal um. Außerdem ist das Motto „Wir lieben das Leben ohne Milliardäre“. Wir finden, die Kritik ist in den sehr reichen Vierteln ganz gut aufgehoben.
taz: In den Elbvororten Blankenese und Nienstedten wohnen die Menschen mit den höchsten mittleren Einkommen in Hamburg, weit über dem städtischen Durchschnitt.
Ridder: Das sieht man gut in Hochkamp, wo wir starten. Das ist ein Villenviertel aus der Gründerzeit, das zu Nienstedten gehört. Vor Kurzem haben Anwohner*innen da eine geplante Unterkunft für Geflüchtete verhindert, um ihre Ruhe zu haben. Dazu haben sie sich auf eine Sonderklausel aus dem 19. Jahrhundert berufen, die festlegt, dass Eigentümer*innen in Hochkamp nur repräsentative Villen bauen dürfen.
taz: Was denken Sie, wie werden die Anwohner*innen reagieren?
Ridder: Mmh, jeder ist willkommen.
Der Alternative Schlagermove startet Samstag, 26.7., um 14 Uhr an der S-Bahn-Station „Hochkamp“ in Hamburg.
taz: Was raten Sie interessierten Menschen zum Alternativen Schlagermove mitzubringen?
Ridder: Auf jeden Fall gute Laune. Vorher sollte man sich mit seinen Leuten ein bisschen textsicher machen. Dazu werden wir eine Playlist auf Spotify raushauen. Ansonsten können Menschen sich gern verkleiden und politische Botschaften auf Schildern mitbringen, aber auch was Leckeres zu trinken. Das Ganze wird Demo-Charakter haben, aber vor allem geht es darum, das Leben zu feiern und sich selber als arbeitende Klasse.
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