Linker Wahlkampf in den Niederlanden: Früher Zyniker, heute Optimist

GroenLinks setzt mit linker Sozial- und Flüchtlingspolitik gegen den Islamfeind Geert Wilders. Parteikandidat Zihni Özdil erzählt, wie das funktionieren soll.

Zihni Özdil

„Ich stehe für Chancengleichheit“, sagt Zihni Özdil Foto: Eric Veld

APELDOORN taz | Was er von GroenLinks hält? Das Gesicht des Mannes nimmt einen irritierten Ausdruck an. Er beäugt aus dem Türrahmen heraus die beiden Männer in den grünen Jacken vor seinem Haus. Nur drei Worte braucht er, um seine Abneigung auszudrücken: „Misplaatste Robin Hoods.“ Robin Hoods, die fehl am Platz sind. Es ist eines der ersten Einfamilienhäuser, die das GroenLinks-Team an diesem kalten und grauen Samstag ansteuert. Welgelegen in der ostniederländischen Stadt Apeldoorn gilt als Wohngegend mit einer aufgeschlossenen Einwohnerschaft. Es gibt Ausnahmen. Der Mann schließt die Tür, ohne sich auf eine Diskussion einzulassen.

Zihni Özdil, 35, ficht das nicht an. Austeilen und einstecken, das kennt er als Kolumnist und streitbarer Diskutant, und an einer wortgewandten Abfuhr kann er sich sogar erfreuen. Ohnehin hat er gute Laune, denn vor den Parlamentswahlen am 15. März liegt GroenLinks mit erwarteten 11 Prozent der Wählerstimmen gut im Rennen, als einzige progressive Partei. Özdil, der sich eben im Vorgarten einer Parteifreundin zwischen Krokussen und Schneeglöckchen in die knallgrüne Jacke der Partei geworfen hat, rangiert als Neuling auf Listenplatz 8.

Fröhliche Gesichter auch im Rest des Teams: Ariane van Burg, die Vorsitzende der Apeldoorner Stadtratsfraktion, Kathalijne Buitenweg, die Zweite auf der Kandidatenliste, und nicht zuletzt viele Freiwillige. „Mehr als 6.000 haben wir, und jeden Tag kommen im Schnitt 50 neue dazu“, erzählt Kampagnenstratege Leon Boelens, der eigens nach Apeldoorn gekommen ist. Erstmals, sagt er, klappert die Partei dieses Jahr in 50 Städten die Haustüren ab. „Die Niederlande sind sehr polarisiert. So zeigen wir, dass wir mit allen ins Gespräch kommen wollen.“

Polarisiert ist das Land tatsächlich, und die rechten Parteien bestimmen den Wahlkampf: die Law-and-Order-­orien­tierten Liberalen (VVD) und die kulturkämpfenden Patrioten von Geert Wilders'PVV. Die Sozialdemokraten kommen nicht dagegen an; ihnen hängt nach, dass sie an der Sparregierung mit den Liberalen teilnahmen, erklärt der Amsterdamer Politologe Jean Tillie. Und die Sozialisten gelten als zu aktivistisch und deswegen als nicht regierungsfähig. „GroenLinks dagegen zieht die an, die sozial-ökonomisch links, für Europa und eine kulante Flüchtlingspolitik sind.“

Die Partei: GroenLinks entstand 1990 aus einer Fusion von vier kleineren linken Parteien: Kommunisten (CPN), Pazifistische Sozialisten (PSP) sowie die progressiv-christlichen Parteien PPR und EVP. Ihr bestes Ergebnis erzielte GroenLinks 1998 mit 11 von 150 Parlamentssitzen. Bei den letzten Wahlen erzielte GroenLinks nur 4 Sitze. 2017 könnten sie 17 Sitze schaffen.

Die Klientel: GroenLinks-Wähler sind vergleichbar mit denen der Grünen: weltoffen, proeuropäisch, progressiv, mit urbanem Einschlag und aus der Mittelschicht .

Der Kandidat: Zihni Özdil, 35, kam als Kleinkind aus der Türkei in die Niederlande. Er lehrt an der Erasmus-Universität in Rotterdam. In seinen Kolumnen für das NRC Handelsblad kritisiert er den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft ebenso wie konservative Migrantenvertretungen.

Scharf formulierte Ansichten

Erschöpfung ist Zihni ­Özdil an jenem Samstagmorgen nicht anzumerken, obwohl doch mehrere Wochen anstrengender Wahlkampf, eine Woche Unterricht an der Uni und allabendliche Diskussionsveranstaltungen hinter ihm liegen. Ihm macht das alles Spaß, „ich beziehe meine Energie daher!“, sagt Özdil. Der Zug nach Apeldoorn ist ihm vor der Nase weggefahren, im Handumdrehen hat er ein Taxi organisiert. „Morgen Chef, das wird eine schöne Fahrt für dich“, grüßt er den Fahrer. Dann ruft er die Kollegen in Apeldoorn an. Es könnte später werden.

Während das Taxi sich auf der linken Spur der Autobahn hält, erzählt Özdil seine Geschichte. Der Enkel eines türkischen Gastarbeiters war mit Anfang 30 schon ein bekannter Publizist, der sich mit Verve in die Debatten mengt. Und so freundlich er im Umgang ist, so scharf formuliert er seine Ansichten. Er attackiert den Rassismus der alteingesessenen Niederländer ebenso wie konservative Migrantenvereinigungen, die in ihren monokulturellen Nischen bleiben.

„Das Wort ‚Scheißtürke‘ hat für mich fast etwas Nostalgisches“, ist so ein typischer Özdil-Satz über seine Jugend in Rotterdam. Bei vielen niederländischen Türken ist der Erdoğan-Kritiker nicht sehr beliebt, auch weil er in Talkshows Bier trinkt. Als Student hat Özdil bereits mit GroenLinks sympathisiert, doch „ich fand“, sagt er rückblickend, „dass die progressiven Parteien in die falsche Richtung gingen: die Sozialdemokraten in den 1990ern mit ihrem Dritten Weg, und dann auch GroenLinks.“ Zu neoliberal.

Es geht nicht um Identität und Moscheen

Ende 2014 wird Özdil aus seiner abgeklärten Desillusioniertheit gerissen. Er sieht im Fernsehen, wie der französische Ökonom Thomas Piketty mit dem niederländischen Parlament diskutiert. Eingeladen hatte ihn „so ein junger Typ von GroenLinks“. Was Özdil von diesem hört, überzeugt ihn: „Endlich war da jemand, der nicht mehr mitlaufen wollte mit diesem Diskurs der Rechten. Jemand, der sagte: Es geht nicht um Identität und Moscheen, sondern um ökonomische Ungleichheit. Das war der erste Moment, in dem mein Zynismus zu schwinden begann.“

Der „junge Typ“ heißt Jesse Klaver und ist heute Spitzenkandidat von GroenLinks. Inzwischen ist er 30 Jahre alt, verfügt über ein Charisma wie Justin Trudeau und ist bekannt für seinen Einsatz gegen steuerumgehende Multinationals. Die Tageszeitung Trouw schreibt, dass Klaver wesentlich zum Aufstieg seiner Partei beigetragen hat. Hinzu kommt eine Kampagne, die stark auf Onlinemedien setzt und sich an denjenigen von Oba­ma, Bernie Sanders und Podemos orientiert. Vielleicht vermittelt ihr Wahlkampf auch einfach eine Botschaft der Hoffnung in dunklen Zeiten, die sich positiv von den Schreckensszenarien der anderen Parteien abhebt.

Während Özdil in Apeldoorn durch den kalten Wind von einem freistehenden Einfamilienhaus zum nächsten geht, dort auf erfreute GroenLinks-Wähler, knurrige Konservative und vor allem viele Unentschlossene trifft, versucht er, den Aufschwung seiner Partei einzuordnen. Eine nationale Angelegenheit ist dieser nicht, glaubt er: „Der Sanders-Effekt ist nicht zu unterschätzen, der die Demokraten nach links gerückt hat. Vor Piketty sprach Occupy die soziale Ungleichheit an. Und Trumps Sieg bringt jetzt die schweigende Mehrheit auf die Beine.“

Miit wem würde GroenLinks am liebsten regieren?

Zwischen zwei Hausbesuchen taucht das Kamerateam eines lokalen TV-Senders auf.

Wofür stehen Sie persönlich? – „Chancengleichheit für alle in unserem Land.“

Was bedeutet das Wahlkampfmotto „Zeit für Veränderung“? – „Es geht um die Frage, wie wir unser Land einrichten. Die Wirtschaft soll der Gesellschaft dienen, nicht umgekehrt!“

Und mit wem würde GroenLinks am liebsten regieren? – „Mit einem progressiven Kabinett. Eine Partei haben wir ausgeschlossen: Wilders'PVV, weil sie dermaßen weit von uns entfernt liegt.“

An halboffenen Türen politische Inhalte zu verhandeln und zu verwandeln, ist selbst für einen erfahrenen Rhetoriker wie Özdil nicht immer einfach. Immerhin entsteht durch seine Standardfrage, welche Themen den Apeldoornern am Herzen liegen, eine ziemlich treffende Skizze: Wer Sicherheit anführt, wählt die neoliberale VVD; für wen Bildung mehr zählt, die liberalen Democraten66. GroenLinks-Sympathisanten führen vor allem die Umwelt an. Was naheliegt, hat die Partei doch gemeinsam mit den Sozialdemokraten einen Entwurf für ein ambitioniertes Klima-Gesetz ausgearbeitet.

Als alle Flugblätter in Apeldoorn verteilt sind, zieht Özdil ein Fazit: Spaß mache ihm diese Arbeit immer, doch am Wochenende zuvor, wo er im Norden des Landes unterwegs war, sei die Zustimmung größer gewesen. Diesmal verpasst er den Zug nicht, und auf der Rückfahrt nach Amsterdam wünscht ihm eine junge Frau mit Kopftuch, die von einem Besuch bei ihren Eltern zurückkehrt, Glück.

Zwei Tage später muss Özdil auf seinem Weg ins Parlament eine Pause einlegen. Eigentlich sollte er am Abend an der Universität in Leiden mit Studierenden diskutieren. Eine schwere Erkältung hält ihn zu Hause: „Gestern hatte ich TV-Aufnahmen ohne Winterjacke“, simst er. Ein wenig Ruhe kann nicht schaden. Am Wochenende steht wieder eine Debatte an, mit Jungpolitikern zum Thema „Millennials und Politik“. Und danach kann man die Tage bis zur Wahl an den Händen zählen. Zihni­­ ­Özdil, früher Zyniker und heute Optimist, ist bereit.

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