Literaturnobelpreis für László Krasznaho: Literarische Kunst als Feld des Widerstands
László Krasznahorkais frühe Romane sind düster – seine neueren lichter. Der Nobelpreisträger für Literatur vertritt ein konsequentes Außenseitertum.
László Krasznahorkais früher Ruhm beruht auf seinen tief düsteren ersten Romanen. Hier sind „Satanstango“ und „Die Melancholie des Widerstands“ hervorzuheben. In diesen Werken sind Körper, Raum und Erzählung zentrale Elemente.
Die Natur ist dräuend und unentrinnbar; die Figuren erleben ihre desolate soziale Situation als unveränderliches Schicksal, dessen treibende Kräfte außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Die gängigen Interpretationen der politischen Umwälzungen in Osteuropa im Jahr 1989 stellt der ungarische Autor grundsätzlich in Frage. Bereits in den 1980 Jahren schrieb er über Verfall und Armut. Nach 1989 übt er scharfe Kritik an der Übernahme des Neokapitalismus.
Eine entscheidende Wende markieren dann aber die lichteren, späteren Bücher, in denen Krasznahorkai seine Weltsicht und Geschichtsbetrachtung durch Reisen und die Thematisierung der Kunst erweitert. Ein zentrales Werk dieser Phase ist „Baron Wenckheims Rückkehr“ (2016).
Dieser Roman schlägt eine Brücke: Er kehrt in die ungarische Provinz zurück und nimmt die melancholischen Töne des Frühwerks wieder auf, doch er tut dies mit einer erzählerischen Reife, die den philosophischen Fokus auf die Würde des Scheiterns und die erlösende Kraft der Musik legt.
Die Bücher László Krasznahorkais erscheinen auf Deutsch im Fischer Verlag.
Monster, Zombies, Toren
„Satanstango“ (1985) entfaltete albtraumhafte Erzählungen in unheilvollen Behausungen, bevölkert von Monstern, Zombies oder narrenhaften, heiligen Toren. Die trostlose Atmosphäre ist dabei aufgeladen mit einer kafkaesken Vieldeutigkeit und einem magischen Realismus.
In „Die Melancholie des Widerstands“ (1989) wird die Ankunft eines Zirkus, der den ausgestopften Körper des größten Wals der Welt zur Schau stellt, zum Auslöser des Chaos. Inmitten der Unruhe steht János Valuska, der einfältige Heilige. Sein Gegenpart, der Musiklehrer Herr Eszter, muss angesichts des „Wohltemperierten Klaviers“ feststellen, dass seine musikalischen Erfahrungen mit der Harmonie der Welt möglicherweise Trugbilder waren.
„Krieg und Krieg“ (1999) ist schließlich das Ergebnis jahrelanger, gründlicher Vorbereitung. Die Grundhandlung folgt dem exzentrischen Archivar György Korin, der die Illusion einer ewigen, geeinten Welt verliert. Seine prophetische Aufgabe befreit ihn: Er reist nach New York und stellt ein gefundenes Manuskript ins Netz, da er den virtuellen Raum als unsterbliche, rein intellektuelle Matrix für die ewige Existenz des Dokuments ansieht.
Krasznahorkais Erzählband „Die Welt voran“ (2013) bringt diese Entwicklung zu einem melancholischen Abschluss: Die Welt geht in einer Richtung weiter, die nicht mit menschlichen Maßstäben vereinbar ist, wodurch die Unmöglichkeit ausgedrückt wird, noch Einheit mit der Welt aufrechtzuerhalten.
Anarchistische Haltung
Der jüngere Roman „Herscht 07769“ (2021), in einem einzigen Satz kunstvoll geschrieben, setzt diesen Gedanken fort, indem er die universelle Angst des Autors vor dem Scheitern in die deutsche Provinz Thüringen verlagert. Die Hauptfigur, der naive Bodybuilder Florian Herscht, der für Neonazis arbeitet, ist eine moderne Inkarnation des „einfältigen Heiligen“ János Valuska. Herscht ist davon überzeugt, dass die Asymmetrie von Materie und Antimaterie das sofortige Ende der Welt bedeutet und schreibt verzweifelte, unbeantwortete Warnbriefe an Kanzlerin Angela Merkel.
Dieser Roman ist ein prägnantes Beispiel für die anarchistische Haltung Krasznahorkais: Die Apokalypse ist hier und jetzt, nicht ein zukünftiges Ereignis. Der Protagonist versucht vergeblich, die „Mächtigen“ zu warnen, was die völlige Ignoranz der Autorität gegenüber der existenziellen Not der einfachen Menschen aufzeigt.
Der Zeitpunkt der Ehrung mit dem Nobelpreis ist auch politisch relevant. László Krasznahorkai gilt als prominenter Kritiker der autoritären Regierung von Viktor Orbán in Ungarn. In „Herscht 07769“ schildert er das Eindringen von Neonazis in eine thüringische Kleinstadt. Das Buch ist im Grunde ein großer zeitgenössischer deutscher Roman, der die soziale Unruhe des Landes auf den Punkt bringt.
Die relativ klare Satire aktueller Politik in „Herscht 07769“ stellt allerdings eine Schwächung für das ansonsten komplexe Œuvre dar. Die wahre Stärke dieses Autors liegt vielmehr in seiner metafiktionalen, zeitlosen Auseinandersetzung mit Geschichte und Mythos – oft unter Einbeziehung des Autors selbst (etwa durch Figuren namens Krasznahorkai). Die direkte Übernahme spezifischer politischer Missstände für die literarische Bühne verlässt die „große lyrische Schönheit“ und die subtile, epische Tiefe, für die er mit dem Nobelpreis geehrt wird.
An falsche Hoffnungen klammern
Für Krasznahorkai ist die Kunst ein Feld des Widerstands und des konsequenten Außenseitertums, da wir keine brauchbaren Konzepte für die sogenannte „Realität“ besitzen. Seine Texte dramatisieren einen Ausnahmezustand, in dem die Figuren sich an falsche Hoffnungen klammern. Dieses Scheitern ist das eigentliche Thema seines Gesamtwerks. Er präsentiert die Welt der aktuellen Gewinner, in der die von ihnen konstruierte, bedrohliche Geschichte für die Verlierer zur unvermeidlichen Erfahrung wird.
Dieser Kampf um die Deutungshoheit wird oft als permanenter Kriegszustand metaphorisiert. Zwar versuchen messianische Bilder der Katastrophe entgegenzuwirken, doch Krasznahorkai säkularisiert diese theologischen Visionen durch Ironie und Reflexion. Erlösung und Katastrophe materialisieren sich in einem unendlichen „Jetzt“. Die formale Instabilität seiner Texte ermöglicht es Lesern, die allgegenwärtige Zerstörung nicht nur als Profanierung der Theologie, sondern auch als Theologisierung der Realität zu deuten.
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