Lkw's auf der Bundesstraße: Zum Frühstück 30 Brummis

Seit Einführung der Mautpflicht donnern hunderte Lkw tags wie nachts durch das ehemals ruhige Kapern. Die anstehende Mauterhöhung wird jetzt von den Ländern in Frage gestellt.

Lassen die Kaffetassen auf dem Frühstückstisch scheppern: Lkw's. Bild: dpa

Der Verkehrsausschuss des Bundesrates hat die Verständigung auf eine Erhöhung der Lkw-Maut nach Angaben aus Kreisen der Länder wieder in Frage gestellt. Nach einem Beschluss des federführenden Ausschusses von vergangener Woche solle die Maut-Erhöhung in den nächsten Jahren niedriger ausfallen als zuletzt zwischen Bund und Ländern vereinbart, sagten Bundesrats-Vertreter am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. Insgesamt beliefe sich das Minus für 2009 und 2010 auf 60 Millionen Euro.

Bei der Verkehrsministerkonferenz in Dessau Anfang Oktober hatten Bund und Länder noch eine Verständigung verkündet: Danach sollte die vom Bund beschlossene Maut-Erhöhung, die 2009 rund 850 Millionen Euro mehr in die Kasse bringen sollte, geändert werden: Für schwere Lkw der Schadstoffklasse 3, die die Masse der Flotte in Deutschland ausmachen, sollte die Maut-Erhöhung um 2 Cent niedriger pro Kilometer ausfallen als zunächst geplant. Diese Dämpfung wurde auf zwei Jahre befristet.

Dafür sollte aber bei allen anderen Lkw die Erhöhung noch um 0,1 Prozent verstärkt werden - und zwar auf Dauer, was langfristig dem Bund sogar zusätzliche Einnahmen gebracht hätte. Diese letzte Regelung kippte den Angaben zufolge der Ausschuss in seiner Sitzung und begrenzte die zusätzliche Erhöhung um 0,1 Prozent ebenfalls auf zwei Jahre. Die Beschlüsse des Treffens in Dessau seien unterschiedlich interpretiert worden, hieß es.

In Dessau hatten Länder-Verkehrsminister und Bundesminister Wolfgang Tiefensee (SPD) noch erklärt, der Weg sei nun frei für die erforderliche Zustimmung des Bundesrates. Die entsprechende Verordnung soll am 7. November behandelt werden. Die Entscheidung zur Maut-Erhöhung ab 2009 und dem Beschluss des Verkehrsausschusses liegt dann bei den Ministerpräsidenten. RTR

"Zwölf". "Dreizehn". "Vierzehn". Anita Schneider zählt laut mit. Sie sitzt mit ihrem Mann Horst in der Küche beim Frühstück. Wenige Meter weiter, draußen auf der Straße, brummt es. Das Dröhnen rollt heran, zügig, und als es direkt vor ihrem Haus ankommt, tanzen die Kaffeetassen auf dem Tisch. "Fünfzehn", sagt Anita Schneider. Zum fünfzehnten Mal in einer halben Stunde donnert an ihrem Haus ein Lkw vorbei, mit Anhänger und überhöhter Geschwindigkeit. Am Ende des Frühstücks werden dreißig Transporter bei den Schneiders vorbeigefahren sein, in einer Stunde an einem gewöhnlichen Freitagmorgen.

Die Schneiders, Anita, 52, und Horst, 60, wohnen in Kapern im Wendland. Bis 2004 war das niedersächsische Dorf ein malerisches und ruhiges Örtchen. Es hat knapp 200 Einwohner, selten sieht man jemanden draußen. Auf der Bundesstraße B 493, die durchs Dorf durchgeht, war nie viel Verkehr. Malerisch ist das Dorf immer noch, doch mit der Ruhe ist es seit 1. Januar 2005 vorbei. Da wurde in Deutschland die Lkw-Maut eingeführt: Großfahrzeuge im Güterverkehr mit mehr als zwölf Tonnen müssen eine Gebühr bezahlen, sobald sie auf eine Autobahn rollen, für jeden gefahrenen Kilometer durchschnittlich 12 Cent.

Bevor die Maut eingeführt wurde, gab es jede Menge Diskussionen. Spediteure klagten über die zusätzlichen Kosten, Transportverbände erwarteten reihenweise Firmenpleiten. Jetzt aber, fast vier Jahre später, ist klar: Die Angst war übertrieben. Das Bundesamt für Güterverkehr schreibt schon 2005 in einem Sonderbericht, dass sich die Mautkosten "auf die Ertragslage der Spediteure neutral" auswirken. Warum? Die Mehrkosten werden einfach auf die Produktpreise umgelegt. Aber es gibt noch eine andere Art, die Maut zu umgehen: runter von den Autobahnen, rauf auf die Bundes- und Landstraßen.

Die B 493 von Lüchow nach Schnackenburg ist so eine Straße, sagen die Leute in Kapern. Sie reden von den Großtransportern nur noch als den Mautflüchtlingen. Und die machen ihnen das Leben jetzt zur Hölle.

Die Schneiders schütteln den Kopf. Was, die Maut soll gut sein für die Umwelt? So schreibt es das Bundesverkehrsministerium auf seiner Startseite im Internet. Unter "gut für die Umwelt" stellen sich die Schneiders etwas anderes vor. Zum Beispiel den Güterverkehr umzuleiten von der Straße auf die Bahn und aufs Wasser. Das macht das Bundesverkehrsministerium zwar, aber die Schneiders merken davon nichts. Sie merken nur, dass sie auch nachts keine Ruhe haben. "Die fahren oft in Kolonne, drei, vier hintereinander", sagt Horst Schneider. Er ist Rentner und froh darüber, dass er nicht mehr arbeiten muss. Er wäre einfach zu müde. Es gibt Nächte, da schreckt Anita Schneider vom Lkw-Bollern hoch, danach hört die Hausfrau das Klirren der Gläser in den Schränken. Am 1. Januar 2009 soll die Maut noch einmal erhöht werden (siehe Kasten). "Dann wirds noch schlimmer", fürchten die Schneiders.

Der gesamte Güterverkehr ist nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums in den vergangenen drei Jahren um 3,5 Prozent gestiegen. Fuhren schwere Transporter 2005 fast 12 Milliarden Kilometer auf Maut-Straßen, waren es 2008 schon mehr als 14 Milliarden. Ende 2007 gab es 610.000 mautpflichtige Fahrzeuge, über 9 Milliarden Maut-Euro hat das Haus von Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) inzwischen eingenommen. Mit dem Geld sollen Schienen- und Wasserwege ausgebaut werden, vor allem aber Bundes- und Landstraßen.

Anita Schneider schlüpft in ihre Clogs und läuft vors Gartentor. Dort steht ein großer Schuttcontainer. Die Schneiders sanieren seit dem Sommer ihr Haus: neues Dach, neue Wände, ein weiteres Zimmer. Das Haus der Schneiders steht in einer Kurve, die Baufirma hat extra Warnschilder aufgestellt: Achtung Baustelle! Hier müssten alle Autos langsamer fahren. "Aber die brettern genauso durch wie sonst", sagt Anita Schneider. Tempo 80 ist für die Lkw normal, manchmal sind es sogar 100.

Einmal hat Anita Schneider die Polizei gerufen, die sollte die Geschwindigkeiten messen. Die Polizei hat sich zweimal am Dorfeingang postiert und geblitzt. Das Ergebnis: Elf Autos sind zu schnell gefahren. "Alles Pkw, keine Lkw", sagt die Polizei. Die Schneiders wundert das nicht, sie wissen, wie eine gute Fernfahrerkommunikation aussieht. "Ein Lkw kommt hier lang, entdeckt die Kontrolle und ruft über Funk seine Kollegen an", sagt Horst Schneider. "Dann fahren die langsamer oder nehmen einen anderen Weg."

Anita Schneider hebt Bauschutt vor ihrem Gartentor auf und wirft ihn in den Container. Ein Lkw rollt heran, Anita Schneider sagt etwas, sie schreit fast und ist trotzdem nicht zu verstehen. Der Lkw rauscht vorbei, er reißt die Frau fast mit. "Das ist lebensgefährlich", sagt Anita Schneider. Andere Kaperner schicken ihre Kinder aus Angst vor Unfällen nicht mehr vors Haus, Radfahren dürfen die Kinder nur auf dem Hof.

Lutz Haas ist viel unterwegs, er ist der Leiter des Bürgeramtes in Gartow. Die Gemeinde liegt fünf Kilometer von Kapern entfernt, auch an der B 493. Auf seinen Touren hört sich Lutz Haas an, welche Probleme die Leute haben. Jetzt klagen sie fast nur noch über den zunehmendem Verkehr. Lutz Haas sammelt das, was die Leute erzählen, in Aktenordnern, die Mappe mit der Aufschrift Lkw-Maut wird immer dicker. "Es ist nicht nur lauter geworden, sondern auch schmutziger", sagt der Bürgerbeauftragte: Gartow ist ein wichtiger Ort für den Tourismus im Öko-Wendland und noch malerischer als Kapern, hier steht ein Fachwerkhaus neben dem anderen. Lutz Haas: "Durch die Erschütterungen reißen die Wände."

In der Dorfmitte kreuzen sich die B 493 und die L 276. Immer öfter kommen sich zwei Schwertransporter entgegen, sie müssen umeinander herumfahren, aber die Straßen sind dafür zu schmal. "Die Lkw machen die Straßenränder kaputt", sagt Lutz Haas. Seine Recherchen und die Beschwerden der Leute schickt Lutz Haas an Stellen, die das Dilemma ändern sollen, zum Beispiel ans Landesverkehrsministerium und an die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr. Das Ministerium fühlt sich nicht zuständig und schiebt das Problem weg an die Landesstraßenbehörde. Die wehrt ab. "Bundesstraßen sind dazu da, den überregionalen Verkehr aufzunehmen", sagt Uwe Stein, Mitarbeiter für Verkehrsrecht des Amtes in Lüneburg. Sein Chef, sagt Uwe Stein, spreche von einem "Mythos Mautflucht", an den Klagen der Bürger sei nichts dran. Über solche Antworten ärgert sich Lutz Haas, er merkt ja, dass es anders ist. Aber er ist hartnäckig, er will, dass sich was tut. Einmal hat die Landesstraßenbehörde auf einen Brief von ihm mit Zahlen geantwortet: 227 Schwerlaster sollen an einem Tag im Jahr 2000 über die B 493 gerauscht sein, 2005 waren es angeblich weniger, nämlich nur 172. "Diese Zahlen glaubt hier keiner", sagt Lutz Haas.

Pia Zimmermann, 52, hat sich in Kapern ein Wochenendhaus gekauft. Die Immobilie liegt vier Häuser neben den Schneiders. "Die Wände haben schon Risse", sagt Pia Zimmermann. Studien zeigen, dass ein 40-Tonner die Straßendecke 60.000-mal stärker belastet als ein Pkw. Zimmermann ist Abgeordnete im Niedersächsischen Landtag in Hannover, als Politikerin könnte sie etwas tun gegen das Problem. Aber ihre Partei, Die Linke, hat der Maut und der neuen Erhöhung zugestimmt. Auch sonst ist die Maut nicht das wichtigste Thema für die junge Partei in Niedersachsen, sie hat sie "nicht in der Pipeline".

Was könnte Gemeinden wie Kapern und Gartow helfen? Die Grünen denken über Tempo 30 in allen Ortschaften und über Tempo 50 auf Hauptverkehrsstraßen nach. Aber mit Tempo 30 allein wäre es in Gartow und Kapern nicht getan. Die Schneiders sehen das ja jeden Tag, an das Ortslimit 50 hält sich jetzt auch fast kein Lkw. Sie haben eine andere Idee. "Verkehrsinseln wären gut", sagt Anita Schneider. "Ja", sagt Pia Zimmermann: "Dadurch werden die Lkw gezwungen, langsam zu fahren." Lutz Haas sieht das auch so, aber als Bürgerbeauftragter weiß er, dass Verkehrsinseln auf Bundesstraßen fast nie genehmigt werden. Und dass die Gemeinden sowieso kein Geld dafür haben. Er sagt: "Die Inseln kosten schnell mal 20.000 Euro."

Man könnte auch die "Mautausweichstrecken bemauten", schlägt Christian Budde vor, Pressesprecher des Niedersächsischen Landesverkehrsministeriums. "Theoretisch ist das möglich", sagt Budde. Aber praktisch sind Mautausweichstrecken kaum durchsetzbar. Als nach Einführung der Maut sich massenhaft Gemeinden über Mautflüchtlinge beschwerten, führte das Bundesverkehrsministerium ein Jahr lang Messungen auf verschiedenen Bundesstraßen durch. Das Ergebnis: Von 50 Straßen wurden vier mit einer Maut belegt. "Bei allen anderen hat sich das nicht als Problem herausgestellt", sagt ein Sprecher: "Die Maut ist politische Normalität."

Anita und Horst Schneider geben sich damit nicht zufrieden. Sie werden die vorbeidonnernden Lkw zählen, Stunde um Stunde, Tag für Tag. Lutz Haas wappnet sich. Im Sommer hat er Unterschriften gegen die Maut gesammelt, 21 Seiten. Die Liste hat er an die Landesstraßenbehörde geschickt. Eine Antwort hat er bislang noch nicht.

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