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Lokale KreislaufwirtschaftReparieren kann ganz leicht sein

Viele Menschen in Deutschland empfinden Reparaturservices als unzugänglich. Ein Berliner Verein versucht das zu verändern.

Ayşe sucht im Kreisler nach dem passenden Werkzeug Foto: Tina Eichner

Berlin taz | Egal, wie viel Kraft David aufwendet, die Schraube will sich kein Stück bewegen. „Dieser Staubsaugermotor lässt uns keine Ruhe“, entfährt es ihm. „Auch im Internet findet man da nichts zu“, merkt sein Kollege Olaf an. Mit ernstem Blick beugen sich die beiden Männer zusammen mit ihrer Kollegin und einer der Gründerinnen Ayşe über das graue Gerät auf der großen Werkbank vor sich.

Das Gerät wurde erst kürzlich bei ihnen im Kreisler zur Reparatur abgegeben. „Meinst du, das kriegen wir auseinander?“, fragt David, während er noch mal volle Kraft in den Schraubenzieher legt. Der Motor bleibt hartnäckig. „Na, wozu haben wir denn das Spezialwerkzeug?“, sagt Olaf. Er greift nach hinten und holt einen kleinen dunkelgrünen Koffer mit diversen Schraubenzieherköpfen heraus. Ein neuer Versuch für David, der wie Olaf einmal wöchentlich ehrenamtlich im Laden im Süden Neuköllns in Berlin aushilft.

Hier im Kreisler soll das Leben von allen möglichen Gegenständen verlängert werden und sollen möglichst viele Menschen einen niedrigschwelligen Zugang zu Reparaturen bekommen. Denn bisher empfinden viele in Deutschland Reparaturen als zu teuer und ihren Aufwand zu hoch.

Laut einer Studie vom Nürnberger Institut für Marktentscheidungen haben nur 41 Prozent der Kon­su­men­t:in­nen vergangenes Jahr ein Elektrogerät reparieren lassen, 20 Prozent weniger als etwa in Italien. Dabei wünschte sich der Großteil einfacheres Reparieren und längeren Nutzen seiner Geräte.

Kreisler steht für Kreislaufwirtschaft

Wie auch der Kreisler bereits mit seinem Namen andeutet, will der Verein Kreislaufwirtschaft lokal umsetzen. Das Wirtschaftsmodell zielt darauf, Produkte, Materialien und Rohstoffe möglichst lange im Umlauf zu halten und Abfälle weitestgehend zu vermeiden. Keine Sache nur für Ökos, wie manche immer noch denken, sondern einfach sinnvoll.

Das beginnt mit der Ansprache. Auf Deutsch, Arabisch und Türkisch ziert der Schriftzug „teilen, treffen, reparieren“ die Glasfront des kleinen Ladens, der im November eröffnete. Er liegt offen einsehbar mitten in einem Einkaufszentrum und damit perfekt, meint Ayşe. „Wir sind genau da, wo die Menschen wohnen, einkaufen oder in die U-Bahn steigen“, sagt sie.

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Die Frau mittleren Alters hat den Kreisler von Anfang an mit konzipiert. Als sie von der Idee zum Reparaturverein mitten in der Gropiusstadt erfuhr, wusste sie, bei dem Projekt wolle sie dabei sein. Und trotzdem war da ein kleiner Zweifel, ob solch ein Laden Erfolg haben könnte. Schließlich wohnt sie hier seit über 20 Jahren, und so etwas in der Art gab es noch nie.

Eine ältere Frau tritt durch die Glastür. Im Inneren fällt ihr Blick auf die Werkbank und die meterlangen Regale entlang der orange und blauen Wände. In ihnen tummeln sich alle möglichen Alltagsgegenstände: ein Zelt, Nähzubehör, eine Eismaschine. „Darf ich fragen, was da hier ist?“, fragt sie Ayşe, die mit einem breiten Lächeln auf die Dame zutritt. „Ein Reparaturladen“, erklärt Ayşe, „wir reparieren und nähen hier“. „Und was zahlt man da?“, setzt die potenzielle Kundin nach. „Nichts!“, antwortet Ayşe zum Erstaunen der Fragestellerin.

Alles funktioniere hier über Spenden. Begeistert sprudeln weitere Fragen aus der Frau: „Habt ihr Prospekte? Wie sind eure Öffnungszeiten? Wann kann man vorbeikommen?“ Es sind solche Begegnungen, die Ayşe glücklich machten und die Arbeit für sie ausmachten, erzählt sie später.

Vor dem Kreisler hat Ayşe versucht, Schulklassen, Vereinen und Kitas aus der Nachbarschaft Mülltrennung verständlicher zu machen. Dabei habe sie die Erfahrung gemacht, dass viele in der Nachbarschaft zwar gerne nachhaltig leben würden, aber sie nicht wüssten, wie sie das in ihrer Lebensrealität umsetzen könnten.

Niemand muss, alle können Reparieren lernen

Die kostenlosen Reparaturen fallen da auf fruchtbaren Boden. Sie sind etwas, das den Kreisler von anderen Reparaturbetrieben unterscheidet. Auch muss kei­ne:r hier, anders als in Reparaturcafés, selbst Hand anlegen, man hat die Wahl und kann kaputte Geräte oder Kleidung auch an die ehrenamtlichen Hel­fe­r:in­nen wie Olaf übergeben, der selbst auch in der Gropiusstadt lebt. In fast einem Jahr hat der Verein nun über 380 Gegenstände wieder reparieren können.

Darüber hinaus hat man die Möglichkeit, alle möglichen Alltagsgenstände auszuleihen. Egal ob Küchengeräte wie Eismaschinen und Mixer oder Campingausrüstung. „Die Sachen, haben wir nur, weil wir die Her­stel­le­r:in­nen lange genervt haben, uns ihre B-Ware zu geben“, sagt Cléo Mieulet, auch Mitgründerin und Teil vom Vorstand des Kreisler. Sie steht in der hinteren Ecke des Ladens, von wo sie den klassischen Papierkram verantwortet und Leihscheine ausfüllt oder Reparaturen annimmt.

Cloe Mieulet mit einer der diversen kaputten Kaffeemaschinen Foto: Tina Eichner

Entstanden ist das Projekt durch einen Auftrag des Berliner Wohnungsunternehmens Degewo, ihm gehört das Einkaufszentrum. Weil es verpflichtet ist, zur Nachhaltigkeit und Gemeinnützigkeit beizutragen, wandte es sich an die Nachhaltigkeitsagentur, für die auch Mieulet und ein früherer Kollege von Ayşe arbeiteten. Sie wollten was Nützliches machen und holten bald schon Ayşe ins Boot. Denn ihm sei schnell bewusst gewesen, dass er das Projekt mit jemanden vor Ort gestalten müsse. Und Ayşe genießt in der Gropiusstadt Vertrauen.

Im Stadtteil im Süden Berlins leben vor allem migrantisierte und armutsbetroffene Menschen. Im direkten Umkreis des Ladens konnten die Grünen weniger als 4 Prozent der Stimmen für sich gewinnen. Auf einen grünen Anstrich oder sich das Label „nachhaltig“ aufzudrücken, hätten sie bei der Konzeption daher bewusst verzichtet. „Uns war es sehr wichtig, aus dem Öko-Image oder einer Grünenblase auszubrechen“, sagt Cloé Mieulet. Die Be­woh­ne­r:in­nen scheuten vor ökologischen Perspektiven zurück. „Berechtigterweise, E-Autos oder Solaranlagen sind häufig nur reicheren Menschen zugänglich“, fügt sie an.

Dies hieße aber nicht, dass sie hier gar kein Interesse an den Themen hätten. „Die Leute, die hierherkommen, haben genau die gleichen Argumente wie die hochgebildeten Grünen. Hatten aber bisher wenig Möglichkeit, Nachhaltigkeit in ihrem Alltag zu leben“, sagt die Gründerin. Auch sie habe die Beobachtung gemacht, wie teuer und unzugänglich Reparaturen häufig sind, oft müsse man zunächst einen Betrieb finden, der genau zum eigenen Gerät passe. „Das alles sind Hürden, die Menschen, die Kreisler aufsuchen, nicht nehmen können“, sagt sie.

Niedrigschwellige Teilhabe

Deshalb hätten sie versucht, das Angebot so niedrigschwellig wie möglich zu gestalten. Es braucht keinen Termin, um vorbeizukommen, und auch eine Vereinsmitgliedschaft ist leicht zugänglich. „Wir haben die Mitgliedsbeiträge bewusst niedrig gelassen“, sagt Cloé Mieulet. Die Beiträge seien gestaffelt, angefangen eigentlich bei 10 Euro im Jahr. „Wir wollen aber niemanden ausschließen, also wenn man weniger geben möchte, ist das auch möglich.“ Der höchste Beitrag habe bisher bei 120 Euro gelegen.

Mittlerweile hat der Verein 150 Mitglieder. Sie und die Spenden finanzierten den Laden. Aber obwohl sie die Schwelle bewusst so niedrig wie möglich hielten, würden einige vor einer Mitgliedschaft zurückscheuen, erzählt Ayşe. „Viele migrantisierte und armutserfahrene Menschen, die hierherkommen und mich kennen, spenden einmalig mehr als die 10 Euro im Jahr. Wenn ich ihnen dann sage: Werde doch einfach Mitglied, kriegen sie eine leichte Beklemmung.“

Sie sähen sich selbst nicht als Vereinsmitglieder, zum einen, weil sie das zuvor noch nie waren oder weil sie Angst vor versteckten Kosten hätten oder ihnen plötzlich Verantwortung aufgedrückt würde. „Ich versuche ihnen dann diese falschen Ängste zu nehmen.“ Zu ihrer Freude gelinge das auch immer wieder.

Der Staubsauger steht wieder im Regal, ihm müsste sich jemand an einem anderen Tag noch mal widmen. Als Ayşe gerade eine Campingausrüstung verstaut, bleibt ein Paar vorm Laden stehen und lächelt sie vertraut an. „Merhaba“, grüßt die Frau sie beim Hineinkommen und plaudert direkt auf Türkisch los. Als ihr Blick auf den Elektroroller fällt, unterbricht sie sich selbst und fragt auf Deutsch: „Ist er schon fertig?“ Sie brauche ihn dringend wieder, um morgens zur Arbeit zu fahren. Olafs und Ayşes Gesichter deuten schlechte Nachrichten an. Sie würden ihn auf „Prio“ setzen, bis Ende der Woche habe die Bekannte ihren Roller wieder.

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