Lokaljournalismus in der Krise: Großer Bogen um die Provinz

Lokalen Medien auf dem Land fehlt der Nachwuchs. Wenig Geld, fehlende Work-Life-Balance und scheinbare Perspektivlosigkeit schrecken ab.

Ein Mann in grüner Jacke beugt sich zu seinem dicken Kaninchen

Das Gute am Lokaljournalismus: Beim Kaninchenzüchterverein ist es immer schön kuschelig Foto: Polaris Images/laif

MÜNCHEN/NÜRNBERG taz | Spricht Michael Busch über seinen Beruf, dann gerät er ins Schwärmen, trotz alledem. „Man arbeitet in den vielfältigsten Themenfeldern“, sagt der Lokaljournalist, „das reicht vom Karnickelverein bis zum Besuch des Ministerpräsidenten im Landkreis.“ Und bei den journalistischen Formen sei alles möglich, man könne sich da richtig austoben – „Bericht, Reportage, Glosse, Kommentar“.

Busch ist seit vielen Jahren Journalist beim in Bamberg herausgegebenen Fränkischen Tag und zuständig für die 23.000-Einwohner-Stadt Herzogenaurach. Er sagt aber auch: „Die Arbeitsbelastung ist hoch, und es gibt kein adäquates Geld.“

Das sind zwei Gründe, warum sich immer weniger junge Menschen finden, die als Journalisten für die oftmals kleinen und in der Provinz gelegenen Lokalblätter arbeiten wollen. Busch erzählt, dass seine Zeitung jüngst eine Volontärin oder einen Volontär für den lokalen Sportteil gesucht hat. Ganze drei Bewerbungen gab es.

Vor 15 Jahren wäre das noch ein Vielfaches gewesen. „Früher suchte man nach dem Besten der Besten“, meint er und fügt hart hinzu: „Und heute nach dem Besten der Schlechten.“ Busch ist auch Vorsitzender der Gewerkschaft Bayerischer Journalistenverband (BJV).

Gespaltener Arbeitsmarkt

Eine Fachtagung zum Lokalfunk in Nürnberg verdeutlichte die Misere. Das Thema stand zwar nicht auf dem Programm, dennoch fand es immer wieder seinen Weg auf die Podien. Sebastian Steinmayr etwa, Chefredakteur einer Dienstleistungsgesellschaft (BLR), die Beiträge für lokale Privatradios produziert, meinte: „Früher bekamen wir auf eine Stellenanzeige für ein Volontariat 30 bis 40 Bewerbungen. Heute ist das ein sehr überschaubares Maß. Es ist ein Kampf um die Köpfe.“

Gerhard Kockert vom BR-Studio Franken in Nürnberg klagte: „Man erhält wenige junge Leute, denn denen ist auch die Work-Life-Balance wichtig.“ Und Siegfried Schneider, Präsident der bayerischen Landeszentrale für neue Medien und ehemals CSU-Politiker, stellte fest: „Das ist nicht mehr die Generation Praktikum.“

Wer gut ausgebildet ist, den zieht es an die Orte, an denen richtig etwas los ist – also nach Berlin, Hamburg oder München

Generation Praktikum – so nannte man vor einem oder eineinhalb Jahrzehnten jene Berufsanwärter, meist mit einem Hochschulabschluss, die sich in der Medienbranche von einem Praktikum zum anderen hangelten, oft unbezahlt, und auf eine Anstellung hofften. „Irgendwas mit Medien“ wollten sie machen, so der geflügelte Spruch. Doch „irgendwas mit Medien“ ist vorbei, meint etwa Sven Szalewa, der Vize-Leiter der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München. „Die überlegen sich heute sehr genau, was sie arbeiten wollen.“

Die DJS sieht einen gespaltenen Arbeitsmarkt im Journalismus. Renommierte Blätter wie etwa die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel oder auch die deutlich kleinere taz sowie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben weiterhin keine Probleme, Nachwuchs zu finden. „Aber die Regionalzeitungen in Bayern können meines Wissens ihre Plätze kaum füllen“, sagt Szalewa.

Verkrustete Strukturen

Wer gut ausgebildet ist, den zieht es an die Orte, an denen etwas los ist – nach Berlin, Hamburg oder München. Und weniger nach Dingolfing, Deg­gendorf oder Donauwörth. Dabei ist gerade auch auf dem Land guter Journalismus wichtig. Es braucht unabhängige Rechercheure und Berichterstatter, die dem Bürgermeister auf die Finger schauen, fachkundig über Sinn oder Unsinn eines neuen Gewerbegebietes informieren oder auch den Alltagsrassismus in kleinen Orten dokumentieren.

Welcher Studienabsolvent will in eine Branche gehen, die ihren vermeintlichen Untergang immer wieder selbst beschreibt?

„Die Qualität leidet“, meint DJS-Mann Szalewa. Niemand will es so richtig unter seinem Namen sagen – aber im Lokaljournalismus der Gegenwart bestehen mitunter verkrustete, erstarrte Strukturen, oftmals berichten Journalisten über 30 oder 40 Jahre über die immer gleichen Orte und Personen.

Medien, besonders Zeitungen, befinden sich in einem gewaltigen Umbruch, das wird vielfach beschrieben. Viele Beobachter sehen einen dramatischen Niedergang der Branche. Die Abonnentenzahlen gehen kontinuierlich zurück, die Anzeigen bleiben aus. Für viele Jüngere ist Zeitung etwas von gestern, angebliche Infos bekommt man gratis im Internet oder in den sozialen Netzen. Welcher Studienabsolvent will also in eine Branche gehen, die ihre Krise und den vermeintlichen Untergang selbst immer wieder beschreibt?

Davon hat Michael Husarek genug. „Die Branche hat sich selbst kleingeredet“, sagt der Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten. Er kritisiert Chefredakteursrunden, bei denen sich die Redaktionsleiter verschiedener Blätter austauschen, als „Selbsthilfegruppen“. Die Nürnberger Nachrichten erscheinen in 17 Lokaltiteln in weiten Teilen Mittelfrankens, das reicht vom Altmühl-Boten bis zur Windsheimer Zeitung. Husarek meint: „Wir müssen positiv für den Qualitätsjournalismus werben, in Zeiten des Populismus ist er wichtiger denn je.“

Editoren gesucht

Bei der Journalistenausbildung verlangt Husarek mehr Ehrlichkeit: „Man darf nicht jedem vorgaukeln, dass er der tolle Starschreiber wird.“ Gute Autoren gebe es weiterhin genug. Womöglich wichtiger seien aber weitere journalistische Arbeitsfelder: Sogenannte Editoren, die Beiträge ansprechend und gut im Blatt platzieren. Und Journalisten, die sich mit den neuen Medien auskennen und die Inhalte dort auf den verschiedensten Kanälen spielen.

Ab Herbst möchten die Nürnberger Nachrichten ihre Ausbildung dementsprechend differenzieren: Nach einem gemeinsamen Teil sollen die Volontäre dann speziell in einem der Bereiche geschult werden.

Der Lokalredakteur und Gewerkschafter Michael Busch hingegen kommt immer wieder auf die Bezahlung zu sprechen, die in den letzten Jahren deutlich gesunken ist. Laut Tarifvertrag erhält ein Zeitungsredakteur im ersten Berufsjahr 3.395 Euro brutto, die höchste Stufe beginnt nach zehn Jahren mit 5.001 Euro. Allerdings: In Bayern etwa sind nur noch 40 Prozent der Verlage tarifgebunden.

Die anderen handeln selbst die Gehälter mit der Belegschaft aus, in der Regel sind sie deutlich niedriger. Busch weiß von langjährigen Journalisten, die bei 3.400 Euro verharren, er spricht von „Perspektivlosigkeit“. In vielen anderen Branchen „rauscht das Gehalt am Journalisten vorbei“.

Lufthansa statt Lokalblatt

Anstatt zu Medien würden junge Leute eher ins Marketing gehen. Laut dem Internetportal absolventa.de liegt das Jahreseinstiegsgehalt im Journalismus bei rund 35.000 Euro, im Marketing aber bei 45.750, und als Ingenieur verdient man gar 52.000.

Journalisten würden auch immer wieder, so meint Busch, zu deutlich besser zahlenden Unternehmen wechseln. Als Beispiele nennt er die Deutsche Bahn und die Lufthansa, welche etwa ihre Kundenmagazine professionell gestalten.

Dass es Absolventen der Journalistenschule zu einer Lokalzeitung zieht, erlebt Vize-Leiter Sven Szalewa nur selten. „Obwohl sie dafür sehr gut geeignet wären. Denn sie können organisieren und crossmedial arbeiten, das haben sie bei uns gelernt.“ Auch die DJS will aus der Misere helfen.

So soll noch in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit regionalen Medien ein „DJS-Fellowship“ angeboten werden. Fertige Absolventen können drei Monate lang bei den Medien arbeiten und erhalten in dieser Zeit das normale Volontärsgehalt. Womöglich erfahren sie dann auch von den Vorzügen der wenig beliebten Provinz.

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