Londoner und Frankfurter Börse: Fusion droht erneut zu scheitern

Die London Stock Exchange verweigert sich dem von der EU verlangten Verkauf einer Tochterfirma. Beobachter sehen das als Vorwand – und als Folge des Brexit.

Menschen laufen unter einem Würfel entlang, auf dem Börsenkurse eingeblendet werden

Blick in die Lobby der London Stock Exchange. Ihr Sitz bleibt wohl in London Foto: reuters

FRANKFURT/MAIN rtr | Der Zusammenschluss der Frankfurter und der Londoner Börse wird aller Voraussicht nach auch im fünften Anlauf scheitern. Die London Stock Exchange teilte überraschend mit, dass sie eine Forderung der EU-Kommission zur Freigabe der Fusion mit der Deutschen Börse nicht erfüllen will. Die europäischen Wettbewerbshüter werden den gut 25 Milliarden Euro schweren Deal deshalb ziemlich sicher untersagen.

„Basierend auf der aktuellen Position der Kommission geht die LSE davon aus, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Kommission die Fusion genehmigen wird“, erklärte die Londoner Börse. Die Aktien der Deutschen Börse brachen am Montag zeitweise um fünf Prozent ein, LSE-Papiere verloren gut drei Prozent.

Marktanalyst Heino Ruland von Ruland Research sprach von einem klaren Signal, „dass die LSE die Fusion nicht mehr will“. Diese Entscheidung passe zur Stimmung in Großbritannien. „Sie wollen sich von der EU nicht gängeln lassen.“ Die LSE will ihre Mehrheitsbeteiligung an der italienischen Handelsplattform MTS nicht wie von der EU gefordert verkaufen. Sonst drohten das Geschäft der LSE und ihr Verhältnis zu den italienischen Behörden beschädigt zu werden, hieß es zur Begründung.

Manager der Deutschen Börse halten das Finanzkreisen zufolge jedoch für einen Vorwand. Sie glauben, dass die LSE-Spitze keine Debatte führen wollte, ob der Holdingsitz der fusionierten Börse wegen des Ausstiegs Großbritanniens aus der Europäischen Union von London nach Frankfurt verlagert werden muss. Das hatten deutsche Politiker und die Bonner Finanzaufsicht BaFin gefordert.

Nationalistische Untertöne

In der vergangenen Woche hatten bei einer Parlamentsdebatte in London Abgeordnete Stimmung gegen den Deal gemacht. „Es geht um eine Übernahme unserer Kronjuwelen“, sagte Bill Cash, ein EU-kritischer Abgeordneter der konservativen Partei von Premierministerin Theresa May. Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) hatte der LSE-Spitze im Reuters-Inverview vorgeworfen, „in nationaler Loyalität gefangen“ zu sein. „Sie wollen nicht die ersten sein, von denen ein deutliches, sichtbares Zeichen ausgeht, dass der Brexit unaufhaltsame Nachteile für Großbritannien hat.“

Laut einem Insider hat sich die LSE-Spitze bisher geweigert, mit der Deutschen Börse über eine Verlagerung des Holding-Sitzes zu reden. Deutschlands größter Börsenbetreiber habe seit September über das Thema im gemeinsamen sogenannten Referendum-Ausschusses, der über Brexit-Folgen für den Deal berät, sprechen wollen. Es sei auf Drängen Londons jedoch immer wieder von der Tagesordnung gestrichen worden.

Das Verhältnis zwischen den Fusionspartnern hat sich Finanzkreisen zufolge in den vergangenen Monaten eingetrübt. Über die Entscheidung, die Auflagen der EU-Kommission nicht zu erfüllen, habe die LSE die Deutsche Börse am Sonntagabend erst rund 30 Minuten vor dem Versand ihrer Mitteilung informiert, berichtete ein Insider.

Beide Unternehmen hatten vor fast genau einem Jahr einen Bericht der Nachrichtenagentur Reuters bestätigt, dass sie erneut über eine deutsch-britische Börsenhochzeit verhandeln. Damit wollten sie einen europäischen Champion schaffen, der den großen US-Rivalen CME und ICE das Wasser reichen kann. Maßgeblich vorangetrieben wurde das Projekt von Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter, gegen den die Staatsanwaltschaft seit kurzem wegen des Verdachts auf Insiderhandel ermittelt.

Vier gescheiterte Fusionsversuche

Zuvor gab es bereits vier Fusionsversuche beider Konzerne. Zweimal waren Sondierungsgespräche allerdings bereits beendet worden, bevor die Öffentlichkeit davon Wind bekam.

Viele Analysten hatten erwartet, dass die Fusion am Widerstand der hessischen Börsenaufsicht scheitert, die erst nach der EU-Kommission über den Deal entscheiden wollte. Dass nun vermutlich schon das Veto aus Brüssel den Ausschlag gibt, kommt für viele Experten überraschend. Die LSE hatte bereits vor einiger Zeit als Zugeständnis für den Zusammenschluss angeboten, ihr Abwicklungshaus Clearnet SA für 510 Millionen Euro an die in Paris beheimatete Mehrländerbörse Euronext zu verkaufen. Die EU teilte der LSE nach einer Befragung von Marktteilnehmern jedoch mit, dass dies nicht ausreiche, und forderte weitere Zugeständnisse. Zur jüngsten Mitteilung der LSE äußerte sich die Kommission zunächst nicht.

Auf der Plattform MTS werden europäische Staatsanleihen und andere Bonds gehandelt. Mit einem Verkauf wollte die EU sicherstellen, dass die Abwicklung dieser Papiere nicht von Clearnet SA zu einem der Clearinghäuser der fusionierten Börse abwandert. Die Sparte selbst sei zwar klein und kein wesentlicher Ertragsbringer für die LSE, erklärte die Londoner Börse. Das Italien-Geschäft sei insgesamt für den Konzern aber sehr wichtig. Zudem habe man große Zweifel, dass die Behörden in Italien einen MTS-Verkauf genehmigen würden. Deshalb werde die LSE die Frist zur Einreichung weiterer Zugeständnisse am Montag verstreichen lassen.

Wie es bei der Deutschen Börse weitergeht, ist offen. Ihr Chef Kengeter hatte bereits kurz nach Bekanntwerden der LSE-Fusion erklärt, dass er beim Scheitern des Deals notfalls andere Übernahmen in Angriff nehmen würde. „Für die Deutsche Börse ist es ein großes und wichtiges Projekt, aber wir könnten auch andere Projekte machen“, sagte der langjährige Investmentbanker damals. „Da haben wir genügend Phantasie.“

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