Luftangriff in Afghanistan: Kundus bleibt in der Grauzone

Am Ende des Kundus-Untersuchungsausschusses wirft die Opposition der Regierung Vernebelung von Tatsachen vor. Auch fehle eine juristische Aufarbeitung.

Die Bewertung des Bombenangriffs bei Kundus im September 2009 fällt bei den Parteien sehr unterschiedlich aus. Bild: dapd

BERLIN taz | Zumindest darin sind SPD, Grüne und Linksfraktion sich einig: Der Abschlussbericht von Union und FDP zum Kundus-Untersuchungsausschuss taugt nichts. Er vertusche die Umstände des Luftangriffs vom 4. September 2009 mit vielen Dutzend toten Zivilisten und seiner missglückten Aufarbeitung durch Bundeswehr und Regierung eher, als sie zu erhellen.

In ihren eigenen Berichten kommen SPD, Grüne und Linke jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen darüber, wie es zum Bombardement kommen konnte und in welcher Hinsicht die Kommunikation in Deutschland versagte. "Ich bin froh zu wissen, was in der Nacht passiert ist", sagte der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold am Donnerstag. Die Glaubwürdigkeit der Politik hänge daran, dass die Bürger wüssten, dass die Abgeordneten Bescheid wüssten.

Die Opposition hält die Begründung Kleins und der Bundesregierung, die Taliban hätten mit den entführten Tanklastern das deutsche Feldlager PRT Kundus angreifen wollen, für widerlegt. Vielmehr hätten bestimmte Aufständische bei den Lkw getötet werden sollen.

Die SPD problematisiert in ihrem Bericht nun besonders die Frage, ob der PRT-Kommandeur Oberst Georg Klein sich von den geheimdienstlich arbeitenden Spezialkräften vor Ort zum Befehl des Bombenabwurfs hat drängen lassen. Diese hätten es auf besagte Taliban-Führer abgesehen. Arnold erklärte, der Vorgang lasse darauf schließen, dass es eine unhaltbare "Grauzone zwischen BND und Bundeswehr" gebe. Eine angemessene parlamentarischen Kontrolle müsse im Herbst im Bundestag diskutiert werden.

4. September 2009: Oberst Georg Klein, Kommandeur des deutschen Feldlagers im nordafghanischen Kundus, lässt zwei Tanklaster und die Menschen ringsum bombardieren. Die Bundeswehr meldet: "erfolgreicher Einsatz gegen Aufständische".

5. September: Nato-Generäle, Politiker und Medien in aller Welt sprechen von zivilen Opfern. Bundeswehr und Bundesregierung nicht.

6. September: Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) erklärt, bei dem Angriff seien ausschließlich Terroristen getötet worden.

8. September: Im Bundestag verspricht Bundeskanzlerin Angela Merkel eine "lückenlose Aufklärung". Wie Merkel spricht auch Jung nun von der Möglichkeit ziviler Opfer.

29. Oktober: Aus einem Isaf-Bericht schließt Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, der Luftangriff sei "militärisch angemessen" gewesen.

6. November: Der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erklärt, der Luftschlag sei "militärisch angemessen", ja sogar unvermeidbar gewesen.

26. November: Die Bild bringt einen Feldjäger-Bericht, wonach Jung sehr früh über zivile Opfer informiert gewesen sein muss. Guttenberg feuert Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert - sie hätten ihm notwendige Informationen vorenthalten.

27. November: Exverteidigungsminister Jung, inzwischen Arbeitsminister, tritt zurück, ohne allerdings Fehler zuzugeben.

2. Dezember: Koalition und Opposition setzen den Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss ein.

3. Dezember: Guttenberg korrigiert sich. Im Bundestag nennt er die Bombardements "militärisch nicht angemessen".

Auf Aussage eines geheimen Informanten verlassen

Klein hatte sich im Untersuchungsausschuss zur Verantwortung für das Bombardement bekannt. Alle Oppositionspolitiker hatten sich nachher beeindruckt vom Auftritt des Oberst gezeigt. Doch missachtete Klein die Einsatzregeln und log sogar eine unmittelbare militärische Bedrohung herbei, um die US-Bomber zu bestellen. Auch verließ er sich einzig auf die Aussage eines geheimen Informanten, der zwar immer weiter behauptete, an den Tanklastern seien ausschließlich Taliban. Vom Informanten selbst war aber nicht klar, woher er sein Wissen nahm.

Der Grüne Omid Nouripour erklärte, er halte die Einschätzung der SPD, Klein habe sich den Interessen der Spezialkräfte im PRT unterworfen, "für plausibel". Sein eigener, "sehr, sehr subjektiver Eindruck" nach 22 Monaten der Befassung sei jedoch, dass der Informant vom afghanischen Provinz-Gouverneur Mohammed Omar gesteuert worden sei. Omar habe die Deutschen genutzt, um "eigene politische Rechnungen zu begleichen".

Die Grünen erklären ausdrücklich, dass sie mit der rechtlichen Bewertung von Kleins Handlung in Deutschland unzufrieden sind. Die Generalbundesanwaltschaft hatte im April 2010 die Ermittlungen gegen den Oberst wegen Bruchs des Völkerrechts mit recht lapidarer Begründung eingestellt. Die Bundeswehr hat nie disziplinarisch gegen Klein ermittelt - was auch die SPD kritisiert. Klein wurde vor etwa einem Jahr sogar in den Führungsstab des Heeres nach Bonn befördert.

Einer rechtlichen Bewertung gibt die Linksfraktion in ihrem Bericht weit mehr Raum als SPD und Grüne. Sie legt sich auch klarer fest: Eindeutig sei der Luftangriff völkerrechtswidrig gewesen. Der Umgang der mit einer juristischen Aufbereitung befassten Stellen ist laut Linksfraktion "äußert bedenklich, wenn nicht bereits rechtsstaatswidrig", denn echte Ermittlungen hätten nie stattgefunden.

Die Linksfraktion schließt daraus, dass die internationalen Truppen in Afghanistan zwar versuchen mögen, ihre Einsatzregeln am humanitären Völkerrecht auszurichten und so vor allem Zivilisten zu schützen. Doch zeige die Vielzahl der Fälle, in denen dies nicht klappt, die Unzulänglichkeit dieser Vorstellung.

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