Luftangriff nahe Kundus: Bewertung blockiert

Die Regierung hat nach dem Desaster von Kundus eine umfassende Aufklärung verhindert. Ausschussprotokolle enthüllen im Nachhinein Details darüber.

Merkel forderte eine "lückenlose Aufklärung" - passiert ist wenig. Bild: dapd

BERLIN taz | Ein wenig beleidigt wirkte diese Woche mancher Verteidigungspolitiker. Eineinhalb Jahre lang hatte der Verteidigungsausschuss im Untersuchungsausschuss zum Luftangriff von Kundus Akten gewälzt und Zeugen dazu befragt, was in der Nacht des 4. September 2009 im Norden Afghanistans passierte und inwiefern die Bundesregierung in der Aufarbeitung dessen versagte. Und die herbeigetrommelte Presse nahm die abschließenden Bewertungen am Donnerstag mit solchen Bemerkungen entgegen wie: "Ist doch alles nichts Neues, oder?"

Doch geben die mehrhundertseitigen Berichte von SPD, Grünen und Linksfraktion Anlass, sich etwa noch einmal darum zu kümmern, wie die "lückenlose Aufklärung" aussah, die Kanzlerin Angela Merkel am 8. September im Bundestag versprochen hatte. Immerhin stand da schon nahezu fest, dass Oberst Georg Klein, Kommandeur des deutschen Feldlagers PRT Kundus, einen Bombenabwurf befohlen hatte, bei dem viele Dutzend Zivilisten gestorben waren.

So verweigerte die Bundesregierung im September - der Wahlkampf ging gerade in die letzte Runde - jegliche Auskunft darüber, was genau geschehen sein könnte und wer Schuld hatte. Denn der Chef der internationalen Truppen in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal persönlich, habe eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Deren Bericht sei abzuwarten, mit eigenen Behauptungen dürfe man dem nicht in die Quere kommen.

Als der Nato-Bericht Ende Oktober 2009 endlich kam, war er geheim, und die Medien durften bloß die Interpretation des obersten deutschen Soldaten, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, entgegennehmen. Dieser prägte am 29. Oktober die berühmten Worte, auch auf Grundlage des Nato-Berichts sei der Luftangriff als "militärisch angemessen" zu bezeichnen. Dieses Urteil übernahm wenige Tage später der neue Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU).

Aufklärung behindert

Die Linksfraktion hat nun in ihrem Bericht zum Untersuchungsausschuss herausgearbeitet, wie Generalinspekteur und Bundesregierung nicht nur jede eigene Bemühung unterließen oder sogar verbaten, die Ereignisse der Bombennacht aufzuklären. Eine Arbeitsgruppe im Verteidigungsministerium, die "Gruppe 85" unter Leitung des Staatssekretärs Peter Wichert, versuchte sogar, die Arbeit von McChrystals Untersuchungskommission zu beeinflussen und eine Kritik seitens der Nato zu verhindern.

Ein einziger Deutscher, ein Jurist aus dem Einsatzführungskommando Potsdam, der im Ausschuss als Zeuge "V." auftrat, war Mitglied der "Joint Investigation Board" (JIB) genannten Kommission. Er hatte den Auftrag, dort Unsicherheiten und Zweifel am Erkenntnisstand zu säen und zu verstärken. Das sah laut den Gesprächsprotokollen der Gruppe 85, die im Bericht der Linksfraktion wiedergegeben werden, so aus: "Wir unterstützen mit Hinweisen auf Unklarheiten in Vorschriften, die dann im JIB reflektiert werden müssen. Intensive Darstellung ist wichtig", habe Regierungsdirektor Sch. den V. angewiesen. Oder der Regierungsdirektor H. habe V. "angewiesen, darauf hinzuwirken", dass das humanitäre Völkerrecht "nicht weiter betrachtet wird, da nicht einschlägig".

Nachdem der Bericht des JIB fertig war, sorgte das Verteidigungsministerium dafür, dass eine Bewertung durch die Nato der vom JIB bloß geschilderten Sachverhalte unterblieb. Wie dies ablief, erklärte laut Protokollen der Nato-General Egon Ramms im Ausschuss. Er habe mit McChrystal abgemacht, dass er als Deutscher die Bewertung vornehmen dürfe "weil das ja - ich sage das mal - ein bisschen sensitiv ist".

Doch siehe da: Das Verteidigungsministerium - Ramms nannte keinen Namen - hatte den Bericht bereits nach Berlin beordert, eine kritische Würdigung durch die Nato blieb also aus. "Wenn ich diese Bewertung geschrieben hätte", sagte Ramms im Ausschuss, hätte die gelautet: "Ich empfehle die gerichtliche und disziplinare Untersuchung dieses Vorfalls." Der deutsche General in Kabul, der den Bericht an Ramms vorbei nach Berlin schleuste, war übrigens Volker Wieker. Er ist inzwischen zum Generalinspekteur der Bundeswehr aufgestiegen.

Bis heute ist der Nato-Bericht geheim - wohl auf Betreiben der Bundeswehr. Bis heute hat die Bundesregierung kein eigene Aufarbeitung des Luftangriffs versucht. Eine gerichtliche oder disziplinarische Untersuchung und Bewertung zu verhindern, war offensichtlich vom 4. September 2009 an oberstes Ziel von Regierung und Generalinspekteur. Oberst Klein musste geschützt werden. Dahinter musste alle Aufklärung zurückstehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.