piwik no script img

M-Straßen-Debatte in BerlinDer Furor der Ewiggestrigen

Kommentar von Susanne Memarnia

Berlin soll ab Samstag einen Straßennamen weniger haben mit kolonial-rassistischem Bezug. Dass die Umbenennung kurzfristig gestoppt wurde, ist bitter.

Es gab vielfältige Protestformen gegen die M-Straße: 2020 wurde diese durch Aufkleben schwarzer Punkte zur „Möhrenstraße“ Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

D ie Straßenschilder in der „Mohrenstraße“ in Berlin-Mitte waren schon abgeklebt, ebenso der Schriftzug am gleichnamigen U-Bahnhof. Alles war für das Fest am Samstag zur Umbenennung in Anton-Wilhelm-Amo-Straße vorbereitet. Ein jahrzehntelanger Kampf der afrodiasporischen Community und ihrer Unterstützer wäre zu Ende gegangen. Wenn nicht in letzter Minute das Verwaltungsgericht Berlin am Freitag dem Eilantrag eines Klägers stattgegeben und die Umbenennung gestoppt hätte.

So bitter die Entscheidung ist: Diese erneute Volte passt zur Vorgeschichte. 30 Jahre währte die Debatte um die Frage, ob das Wort „Mohr“ heute noch sag- und zumutbar ist, alle möglichen Argumente wurden ausgetauscht. Doch noch immer gibt es Leute, die glauben, am Althergebrachten festhalten zu müssen. Für die die Veränderung eines Straßennamens ein Kulturkampf ist, den sie unbedingt gewinnen müssen, weil sonst offenbar die Welt zusammenbricht.

Natürlich war klar, dass es Berlinerinnen und Berliner gibt, die nicht von der Umbenennung überzeugt sind. In einem RBB-Beitrag kamen kürzlich mehrere Anwohner zu Wort, die sich für den alten Namen aussprachen. Mit den bekannten Argumenten: Die Umbenennung koste Geld, der alte Name sei bekannt und die M-Straße ein Stück Berliner Geschichte.

Und natürlich: Das M-Wort sei ja zu seiner Zeit gar nicht abwertend oder gar rassistisch gemeint gewesen. Mehrere Stimmen behaupteten gar, die Entscheidung sei über die Köpfe der Bürger hinweg gefällt worden, sprich: „Die da oben“ haben mal wieder woken Quatsch gemacht.

Verharmlosende Vorstellungen

An alldem ist wenig bis nichts richtig. Die realen Kosten für Anwohner dürften sich in engen Grenzen bewegen. Zwar stimmt es, dass der Name alt ist, genauer: von 1706. Aber das kann kein Grund sein, an dem kolonial-rassistischen Begriff festzuhalten.

Die „Mohren“, die dort untergebracht wurden, um bei Hofe zu musizieren, waren verschleppte Sklaven – und die preußischen Herrscher aktiv in Sklavenhandel und Ausbeutung involviert. Doch bis heute scheinen in der Auseinandersetzung um den deutschen Kolonialismus, die hinter der M-Straßen-Debatte mitschwang, solche verharmlosenden Vorstellungen durch.

Schließlich ist es auch nicht zutreffend, dass „die Politik“ hier selbstherrlich entschieden habe. Der Bezirk hat die Bürger an vielen Stellen einbezogen, nicht zuletzt bei der Frage nach einem neuen Namen. Auch weil es nach dem Beschluss des Bezirksamts zur Umbenennung vor fünf Jahren über 1.000 Einwendungen gab, hat sich die Umbenennung bis heute hingezogen.

Der Bezirk hat die Bürger an vielen Stellen einbezogen

Erst kürzlich hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Klage abgeschmettert und erklärt, dass hier keine „willkürliche“ Entscheidung vorlag, sondern ein sachlicher Grund „mit dem Hinweis auf die negative Konnotation, die auch mit dem Begriff Mohr verbunden ist“, wie ein Gerichtssprecher erklärte. Dass dies in heutiger Zeit vielen nicht gefällt, weil konservativ-rechter Furor gegen die offene plurale Gesellschaft gerade Hochkonjunktur hat: Damit muss man wohl leben.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

An der grundsätzlichen Richtung wird voraussichtlich auch die nun revitalisierte Klage nichts ändern, sie schiebt den Prozess nur erneut auf. Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, würden Jahrzehnte der Diskussion wegen ewiggestriger Hinterwäldler in die Tonne getreten.

Update, 23.8.2025, 9.15 Uhr: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hob am späten Freitagabend die vorangegangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin auf und lehnte die gegen die Umbenennung gestellten Eilanträge wieder ab. Die Beschlüsse des OVG sind unanfechtbar. Die Umbenennung kann an diesem Samstag wie geplant um 14 Uhr stattfinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
Mehr zum Thema

0 Kommentare