Frauen mit bunten Gewändern und Kanistern unterwegs.

Foto: Karim Kara

Maasai in Kenia:Immer dem Wasser nach

Der Wechsel von Trocken- und Regenzeit und der Zugang zu Flüssen prägen seit jeher das Leben der Viehhirten. Diesem Rhythmus droht der Untergang.

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15.1.2021, 16:04  Uhr

Sobald die Sonne über dem Horizont aufgeht, sind ihre Strahlen blendend hell und vertreiben schnell die Kühle der Nacht. Die Frauen im Weiler Amboseli sind schon längst auf. Sie haben Feuer gemacht und die Kühe gemolken. Während Männer und Kinder noch an ihren dampfenden Tassen mit süßem Tee und frischer Milch schlürfen, machen sich die Frauen mit ihren 20-Liter-Kanistern auf den Weg zum Wasser. Ein tägliches Ritual.

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Der Sekenani ist ein kleiner, schlängelnder Fluss im Mara-Flussbecken im Süden Kenias, etwa 25 Kilometer von der Grenze zu Tansania entfernt. In diesem Gebiet lebt ein großer Teil der Maasai-Hirten – insgesamt etwa eine Million Menschen in Kenia und eine halbe Million in Tansania.

Während die Frauen, jung und alt, die anderthalb Kilometer von Amboseli zum Fluss laufen, unterhalten sie sich über die letzten Neuigkeiten. Ein alter Mann aus der Gegend wurde am Vortag von einem Büffel getötet. „Die einsamen alten Büffel sind so aggressiv, weil sie keine Weibchenherde haben“, sagt eine Frau. Eine andere weiß: „Der alte Mann hatte nur ein paar Schritte außerhalb seines Hauses gemacht und wurde vor seiner Tür aufgespießt.“ Es folgen klagende Seufzer.

Frauen schöpfen mit Kanistern Wasser aus dem Fluss Sekenani.

Wasserholen ist Frauensache: Dreimal am Tag legen die Maasai den Weg zur Wasserstelle zurück Foto: Karim Kara

Am Ufer angekommen, schöpfen die Frauen erst mal mit beiden Händen etwas Wasser und waschen ihre Gesichter. Danach füllen sie ihre Kanister mit dem kalten Wasser, das nicht höher steigt als gerade über das Fußgelenk. „Am frühen Morgen ist es ziemlich sauber, weil stromaufwärts noch nicht viel passiert. Dieses Wasser soll für heute ausreichen, um zu trinken und zu kochen “, erklärt Stella Nkoingoni.

Wie die anderen geht die 22-jährige Frau dreimal am Tag zum Fluss: Morgens für den Haushaltsbedarf, am Nachmittag zum Wäschewaschen und am Abend, um sich selbst und ihre drei Kinder zu waschen. „Das Wasser wird tagsüber immer schmutziger, weil die Frauen stromaufwärts Waschpulver verwenden und das Vieh, das im Fluss trinkt, auch reinmacht.“

Gefördert durch das European Journalism Centre (EJC) mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation folgt die taz ein Jahr lang dem Wasser. Fünf taz-Korrespondentinnen recherchieren in Lateinamerika, Westasien, Südasien und in Afrika entlang des Nils. Denn vor allem im Globalen Süden gibt es zu wenig oder kein sauberes Wasser. Besonders Frauen müssen jeden Liter über weite Strecken nach Hause tragen. Der Zugang zu Wasser wird mit der Klimakrise verschärft. Immer öfter wird Wasser privatisiert oder steht im Konflikt mit Großprojekten, die Fortschritt bringen sollen. Mehr unter taz.de/wasser

Sekenani bedeutet in Maa, der Sprache der Maasai, „Strom von klarem Wasser“. Diese Beschreibung gilt jedoch nur für die Quelle des Flusses. Als Nkoingoni darauf hingewiesen wird, dass sie und ihre Dorfbewohner auch das Wasser verschmutzen, zuckt sie grinsend mit den Achseln. „Das stimmt, aber was sollen wir tun? Wir haben die Behörden wiederholt erfolglos gebeten, Tanks aufzustellen und uns mit Wasser zu versorgen. Wir sind bereit zu zahlen. Die Regierung denkt aber sicher, dass wir mit der modernen Welt nicht Schritt halten wollen.“

Selbst die Großmutter muss Wasser schleppen

Wenn in der Trockenzeit der Fluss zum Rinnsal versiegt, müssen die Frauen zum Dorf Sekenani laufen, fünf Kilometer entfernt. Sie schaffen es dann oft nicht dreimal am Tag. Die Hygiene leidet darunter.

Die Frauen warten aufeinander, bis jede ihren Kanister gefüllt hat. Dann laufen sie in einer langen Reihe nach Hause, diesmal schweigend. Eine Großmutter hält mit den anderen nicht Schritt. Warum schleppt sie in ihrem Alter noch Wasser? „Wir können in der Familie jeden Tropfen gebrauchen. Auch wenn ich nur drei Liter tragen kann, ist das wichtig“, sagt sie und läuft langsam weiter.

Amboseli besteht aus Häusern in einem Kreis. Drei Maasai-Großfamilien leben hier, zusammen etwa 200 Menschen verteilt auf vier Generationen. Die Männer haben jeweils mehrere Frauen und zahlreiche Nachkommen. In der Mitte sorgen Holzzäune dafür, dass Kühe, Ziegen und Schafe nachts nicht von wilden Tieren überfallen werden.

Sobald die Frauen mit dem Wasser ankommen, öffnen zwei Männer die Zäune. Die Rinder muhen aufgeregt. Sie wissen, dass sie jetzt an der Reihe sind, zum Fluss zu gehen. Die Kälber bleiben zurück.

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Es ist die Aufgabe der jungen Männer, mit den Kühen und Bullen zur Weide und zum Wasser zu gehen, wenn es daran in der Nähe des Dorfes fehlt. Manche sind zwei Wochen lang unterwegs, wenn das Wasser im Sekenani-Fluss sehr niedrig wird und Gras selten. Früher waren die Maasai eine wandernde Bevölkerungsgruppe, unterwegs mit dem Vieh auf der Suche nach Gras und Wasser. Heute ist der Großteil sesshaft.

Die Frauen bleiben zurück und kümmern sich um die Älteren, die Kinder und die Ziegen. Sie bauen auch die Häuser – aus Holzpfählen, durch ein Gitter aus Zweigen verbunden, mit Wänden und Dächern aus einer Mischung von Lehm, Gras, Kuhmist und Asche.

Um Amboseli sieht es trocken und staubig aus. Gras ist kaum zu sehen. Staub wirbelt auf, wenn das Vieh zum Fluss zieht. Simintei Nkoingoni begleitet die Rinder. Er trägt ein traditionelles rot-weißes Shuka, ein Umschlagtuch, und klingelnden Schmuck um den Hals. Er ist Stellas Ehemann und beide gehören zu den wenigen im Dorf, die die Schule besucht haben.

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„Anfang dieses Jahres hat es hier so stark geregnet, dass alles überflutet wurde. Es war überall grün, das Vieh war fett und wir waren glücklich. Aber die jetzige Regenzeit lässt zu wünschen übrig. Dem Fluss ist das Wasser beinahe ausgegangen. Eine weitere schwere Zeit erwartet uns.“

Der übermäßige Niederschlag Anfang 2020 in Ostafrika war das Ergebnis des El-Niño-Phänomens, wenn die Wassertemperatur des Indischen Ozeans höher als normal ist. Normalerweise folgt auf eine solche Zeit La Niña, wenn die Wassertemperatur unüblich kalt wird, was oft Dürre mit sich bringt.

Ein Maasai hütet Schafe.

Vieh ist die Lebensgrundlage der Maasai-Hirten Foto: Karima Kara

Der 27-jährige Nkoingoni wird nicht wie seine Kollegen mit dem Vieh wochenlang wandern. Wie viele der jüngeren Maasai-Generation hat er die Hirtenexistenz hinter sich gelassen und einen Job in einem Hotel im nahen Nationalpark Maasai Mara angenommen. Das Geld braucht er für seine Großfamilie. „Ich vermisse es, draußen mit dem Vieh unter den Sternen zu schlafen. Die Freiheit, die das Wandern mit sich bringt.“ Mit einem verträumten Blick schaut er in die Ferne.

Maasai bedeutet „Menschen, die Maa (die Sprache) sprechen“. Die Volksgruppe wanderte vermutlich im 15. Jahrhundert mit Rinderherden aus der Region des heutigen Sudan Richtung Süden ins heutige Kenia und Tansania. Im Zuge der Kolonialisierung verbreiteten sich Rinderpest und Pocken – rund zwei Drittel der Maasai-Bevölkerung und große Mengen ihres Viehs starben. Die britische Kolonialmacht setzte Verträge durch, mit denen die Maasai-Gebiete Anfang des 20. Jahrhunderts um 60 Prozent reduziert wurden. In Tansania wurden sie in den 1940er Jahren aus den fruchtbaren Gebieten um die Berge Meru und Kilimandscharo vertrieben. In beiden Ländern wurden Teile ihres Landes zu Wildpark umgewandelt.

Er weiß, dass diese Lebensweise zum Verschwinden verurteilt ist. Der größte Teil Kenias besteht aus Halbwüste, in der die Hirten herumziehen. Dort wird das Gemeindeland aber immer mehr eingezäunt, auch in der Umgebung von Amboseli. „Das blockiert nicht nur den Zugang zu Gras, sondern auch zu Wasser. Immer mehr Tiere sterben während den Dürren“, sagt Nkoingoni.

Mukwe Letolu, Maasai

„Ich erinnere mich, dass es einst viele Bäume gab am Ufer des Sekenani. Jetzt ist da nur Gestrüpp“

Wenn die Kühe ihren Durst im Fluss gestillt haben, treibt er sie zurück ins Dorf. Auf halbem Weg hält er an drei Bäumen an, wo ein älterer Mann im Schatten sitzt. „Vielleicht sollten diese Tiere auch wandern gehen, weil hier kein Platz mehr für sie ist“, bemerkt der 47-Jährige Mukwe Letolu. Er reagiert heftig auf die Frage, ob es nicht besser wäre, ein paar Tiere zu verkaufen. „Die jungen Leute sagen, wir sollten weniger Vieh haben. Aber wer verringert freiwillig seinen Reichtum? Die Antwort ist nein!“

Am Nachmittag kehren die Frauen zum Wäschewaschen zum Fluss Sekenani zurück Foto: Karim Kara

Nkoingoni schweigt und versucht es anders. „Wir gehen nicht mehr gut mit der Natur um und das bringt uns Probleme. Diese drei Bäume sind weit und breit die einzigen. Den Rest haben wir gefällt. Das trägt auch zum Klimawandel bei und führt zu immer längeren Dürren.“

Das Holz wurde im Dorf für den Hausbau verwendet. Hirtenvölker haben immer alles, was sie brauchten, aus der Natur geholt. Aber immer mehr Natur liegt hinter Zäunen, während die Bevölkerung wächst und immer mehr braucht.

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Wandel der Generationen

Der alte Letolu schüttelt den Kopf und seufzt. „Ich erinnere mich, dass es einst viele Bäume gab am Ufer des Sekenani. Jetzt ist da nur Gestrüpp. Wir haben uns doch immer gut um die Natur gekümmert. Aber die Natur will uns nicht mehr wohl.“ Er erzählt, wie die Frauen früher mit Reisig vom Boden Feuer machten. Nur wenn es notwendig war, schnitten sie einen Ast von einem Baum ab. „Dann sangen sie aber dem Baum ein Lied und entschuldigten sich für den Schmerz.“

Nkoingoni verabschiedet sich und läuft weiter. Am Dorfrand dreht er sich um und sein Blick ruht auf dem alten Mann unter den Bäumen. „Diese Generation ist nicht zur Schule gegangen. Sie sehen, dass sich alles ändert, verstehen aber nicht warum. Sie haben keine Lösung.“

Ein kleiner Sohn von ihm rennt auf ihn zu und erzählt fröhlich, dass eine Ziege ihn geschubst hat. Es habe gar nicht wehgetan, versichert er seinem Vater. Der sagt: „Meine Kinder werden nicht leben wie wir. Sie werden in die Schule gehen und einen Beruf lernen. Klimawandel, Wassermangel und soziale Veränderung setzen dem Leben der Wanderhirten ein Ende.“

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