Machtkampf bei der Linkspartei: Linksaußen will sich befreien

Die Fraktionschefs Wagenknecht und Bartsch stehen in der Partei zunehmend in der Kritik. Der linke Flügel will sich neu aufzustellen – ohne die Frontfrau.

eine Frau tupft sich die Stirn, neben ihr ein Bild der lächelnden Angela Merkel

Sahra Wagenknecht hat ein größeres Problem Foto: dpa

Zunächst war es ein Zufall, eine zeitliche Koinzidenz: Einige Mitglieder aus dem Linksaußen-Flügel der Linkspartei gründeten im Januar die Plattform bewegungslinke.org und stellten einen Aufruf online: „Ein medialer Wahlverein kann keine Alternative zu einer pluralen und demokratisch verfassten Partei sein“, hieß es da. Am gleichen Tag publizierte der Spiegel ein Interview mit Sahra Wagenknecht. Darin wirbt die Frak­tions­vorsitzende im Bundestag für eine neue linke Volkspartei und nennt als Vorbild die zentral gelenkte Sammlungsbewegung des französischen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon.

Die bewegten Linken hatten keine Ahnung, dass sich ihr Aufruf wie eine Replik auf Wagenknecht lesen würde. Ungelegen kam ihnen das aber nicht. Im linken Spektrum der Partei gärt es, die einstige Frontfrau Sahra Wagenknecht steht in der Kritik. „Im linken Flügel der Partei herrscht seit Längerem Unzufriedenheit, welche Positionen im Namen des Flügels bezogen werden“, sagt Nicole Gohlke, die auch im Impressum von bewegungslinke.org steht. Die Bundestagsabgeordnete aus München gehörte einst zum Kreis der ganz ­linken Linken um Wagenknecht, betrachtet die Fraktionsvorsitzende inzwischen aber distanzierter.

Und die Bewegungslinken legen nach: Sie wollen sich am 21. April auch analog treffen und laden zum „Ratschlag für eine bewegungsorientierte Linke“ ein. Beim Austausch in Berlin sollen Fragen diskutiert werden wie: „Diese EU ist nicht unser Ding – ein Austritt auch nicht. Was setzen wir dagegen?“, „Muss Die Linke ihre Position in der Flüchtlingsfrage beim kommenden Parteitag revidieren?“ Oder auch: „Wie schaffen wir es, die akademisch geprägte Linke und die klassische Arbei­te­r*innen­klasse zusammenzubringen?“

Das Programm umfasst in etwa alle offenen Fragen, auf die die Linkspartei derzeit Antworten sucht. Und die von Wagenknecht heute anders beantwortet werden als von ihrer ehemaligen Hausmacht. Jetzt also der Versuch, aus dem Schatten der einstigen Frontfrau zu treten und sich Gehör zu verschaffen. „Wir wollen uns als linker Flügel neu vernetzen und in die Debatte werfen“, sagt Gohlke.

Nur ein loses Netzwerk

Eine neuer Zusammenschluss innerhalb der Partei wollen die Bewegungslinken nicht sein, sie sehen sich als loses Netzwerk. „Wir kämpfen um die Pluralität der Partei genauso wie um klare antifaschistische, flüchtlings- und friedenspolitische Grundlagen“, fasst Gohlke zusammen.

Einige der Unterzeichner sind bereits Mitglieder von innerparteilichen Zusammenschlüssen, andere ordnen sich keiner der zahlreichen Strömungen zu. Die meisten Unterzeichner kommen aus den westlichen Landesverbänden, darunter überraschend viele aus Nordrhein-Westfalen, dem Landesverband von Wagenknecht.

„Einige von uns fragen sich schon, wo Sahra Wagenknecht heute Positionen vertritt, die zum linken Flügel passen. Da gibt es auch an der Basis Fragezeichen“, sagt Niema Movassat, der seit 2009 für den Landesverband NRW im Bundestag sitzt und seinen Wahlkreis in Oberhausen hat. „Ihre Verteidigung der Essener Tafel haben viele problematisch gesehen“, sagt Movassat. Movassat, Mitglied der Antikapitalistischen Linken, hat den Aufruf „Solidarität ist unteilbar“ auf bewegungslinke.org mitinitiiert. „Uns geht es dabei auch um eine andere Debattenkultur, eine sachliche Streitkultur“, sagt Movassat, der in der Fraktion mittlerweile als Rebell gilt.

Kein Zufall ist es, dass die Idee des neuen Netzwerks von einem kleinen Kreis Abgeordneter der Bundestagsfraktion stammt: Sabine Leidig, in der Fraktion Beauftragte für soziale Bewegungen, ist dabei, Norbert Müller, Abgeordneter aus Brandenburg und Ex-Geschäftsführer der Sozialistischen Linken, Movassat und Gohlke. Unmittelbar nach der verkorksten Fraktionsklausur trafen sie sich zu ersten Gesprächen.

Erpressung durch Rücktrittsdrohung

Auf der Klausur kurz nach der Bundestagswahl drohte Wagenknecht mehrfach mit Rücktritt, um ihre Leute in den Vorstand und die Fraktion hinter sich zu bringen. Auch zahlreiche neue Abgeordnete, die sich eher als Mitstreiter sozialer Bewegungen denn als Parteisoldaten begreifen, fanden das befremdlich, sie fühlten sich erpresst. Parlamentsneulinge wie Lorenz Gösta Beutin, Landessprecher in Schleswig-Holstein, oder Michel Brandt, Abgeordneter aus Karlsruhe, haben sich dem Aufruf der Bewegungslinken angeschlossen.

Das Murren über das machttaktische Bündnis des linken Wagenknecht-Kreises mit den Reformern um Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch ist längst nicht mehr zu überhören. Die Art, wie Bartsch und Wagenknecht die Fraktion führen, empfinden manche als autoritär. „Es herrscht das Gefühl: In dieser Hufeisenkonstellation drohen wir unter die Räder zu kommen“, sagt Gohlke.

Die Kritik am Hufeisen kommt dabei nicht nur aus dem linken Flügel. Auch im Forum Demokratischer Sozialismus, FDS, der Pragmatikerströmung, die hinter Bartsch steht, wächst die Unzufriedenheit. Bartsch agiere zu zahm im Verbund mit Wagenknecht, heißt es.

Mit den Bewegungslinken hat das FDS wenig am Hut. Was sie aber verbindet, ist das Bedürfnis, der machttaktischen Umklammerung von Reformern und Linken zu entkommen und endlich wieder offen zu debattieren: über die EU, über Einwanderung, aber auch über Digitalisierung und Bedingungsloses Grundeinkommen. „Wenn wir diese Debatten nicht besetzen, werden wir von der Zeit überholt“, sagt Luise Neuhaus-Wartenberg, Sprecherin des FDS.

Auf dem Parteitag im Juni wird man sehen, inwieweit es den GenossInnen gelingt, das Hufeisen zu sprengen.

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