Machtkampf in Kamerun: Ein Land, zwei Präsidenten
Kameruns Oppositionspolitiker Issa Tschiroma Bakary hat zu einem Generalstreik aufgerufen. Er zweifelt den Wahlsieg von Langzeitherrscher Paul Biya an.
In Kamerun herrscht Stillstand. Zum Wochenbeginn hat Oppositionsführer Issa Tchiroma Bakary landesweit zu sogenannten „villes mortes“ ausgerufen, zu „toten Städten“. Märkte bleiben geschlossen, Straßen sind leer, während die unterbrochenen Handelswege die Preise für Lebensmittel in die Höhe schießen lassen. Das Handelsministerium prangerte zuletzt „missbräuchliche und ungerechtfertigte Preiserhöhungen“ an.
Doch Behördendrohungen, Läden, die sich am Streik beteiligen, für einen Monat zu versiegeln, fruchten vor allem in den Oppositionshochburgen in Garoua und Douala nur wenig. Zu groß ist dort die Unzufriedenheit mit dem Langzeitherrscher Paul Biya, der sich am vergangenen Montag vom Verfassungsgericht des Landes mit 53,66 Prozent der Stimmen im Amt bestätigen ließ. Oppositionsführer Tchiroma aber veröffentlichte andere Zahlen. Laut dem 79-Jährigen kam Paul Biya lediglich auf 31,3 Prozent, er selbst auf 54,8 Prozent. Seither reklamiert Tchiroma als selbsternannter Befreier Kameruns den Wahlsieg für sich und hat zum Protest aufgerufen.
Wie breit gefächert der Protest tatsächlich ist, lässt sich schwer sagen. Das Internet ist seit Wochen gedrosselt, während jede politische Seite versucht, die Deutungshoheit zu behalten. Die im Netz kursierenden Informationen könnten unterschiedlicher nicht sein. Bilder von menschenleeren Straßen stehen Videos von mit im Stau stehenden Autos gegenüber. Die Straßen seien voller Menschen, suggeriert das Regime in Kameruns Hauptstadt Yaoundé eine angeblich landesweit herrschende Normalität. Wie schon während der Auszählung der Wahlergebnisse bemüht sich jedes Lager, die Situation aus ihrem Blickwinkel darzustellen – und beschuldigt das andere, mit Fake News zu manipulieren.
Abgetauchter Oppositionsführer Tschiroma meldet sich
Der langjährige Minister und Regierungssprecher Tchiroma hatte sich rund um die Präsidentschaftswahlen am 12. Oktober vom treuen Gefolgsmann Biyas zu seinem schärfsten Gegner gewandelt. „Es gibt nun zwei Präsidenten – einen, der vom Volk gewählt wurde, und einen, der vom Verfassungsrat ernannt wurde“, sagte Tchiroma in einer Videoansprache am 4. November aus einem unbekannten Versteck heraus. Der Oppositionsführer war abgetaucht, nachdem Gerüchten zufolge ein Entführungsversuch gegen ihn vereitelt werden konnte. Unter anderem Kameruns Innenminister Paul Atanga Nji hatte offen die Festnahme Tchiromas gefordert.
In dem nächtlichen Video bekräftigte Tchiroma, dass es ihm gut gehe und er dem politischen Druck nicht nachgeben würde. Sein Wohnsitz in Garoua war seit Wochen von Sicherheitskräften der Regierung überwacht worden. Nun wird spekuliert, dass er eine Flucht nach Nigeria geschafft haben soll.
Angst vor Entführungen Oppositioneller
Tchiroma wäre nicht der Einzige aus dem Oppositionslager, der in den vergangenen Tagen das zentralafrikanische Land verlassen hat. Immer mehr Berichte über Entführungen von kritischen Stimmen machen die Runde. Laut dem Anwalt Emmanuel Simh wurde der Oppositionspolitiker Anicet Ekane verschleppt, auch der bekannte anglophone Menschenrechtsanwalt und Regimekritiker Felix Agbor Balla musste fliehen und befindet sich jetzt im Ausland, wie dieser in einer kurzen Textnachricht der taz bestätigt. Ebenso die Anwältin Michelle Ndoki, die eine Sammlung der Wahlprotokolle initiiert hatte. Mindestens 57 weitere Personen sollen zudem allein in den vergangenen Tagen in verschiedenen Städten des Landes festgenommen worden sein und dem Militärgericht in Yaoundé vorgeführt werden.
Wie viele Verletzte, Tote oder Festnahmen es seit der offiziellen Verkündung der Wahlergebnisse am 27. Oktober gegeben hat, ist noch immer nicht bekannt. Bis heute haben die Behörden keinerlei Zahlen veröffentlicht. Ein Kollektiv an zivilgesellschaftlichen Organisationen und Anwälten versucht nun, Licht in die Sache zu bringen. Schätzungen zufolge soll es mehr als 2.000 Festnahmen gegeben haben, darunter viele Minderjährige, die bislang keinen Zugang zu juristischer Unterstützung erhalten haben sollen.
Laut dem Wahlgesetz haben die Behörden bis zum 9. November Zeit, die Amtseinführungszeremonie zu organisieren. Doch während die Regierung versucht, zum Tagesgeschäft überzugehen und den Anschein von Ruhe zu vermitteln, befindet sich das Land schon längst in seiner nächsten Krise.
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