Machtübergabe in Libyen: Neustart in eine ungewisse Zukunft

Kommende Woche löst das neue Parlament den Übergangsrat ab. Viele Libyer hoffen damit auf die ersten wirklichen Schritte in Richtung Demokratie.

Es bleibt unklar, wohin es in Libyen geht. Bild: dapd

TRIPOLIS taz | Ende Juli ist die zweiwöchige Einspruchsfrist gegen die Ergebnisse der Kongresswahlen vom 7. Juli abgelaufen. Die 200 Abgeordneten des neuen Parlaments (Nationalkongress) werden am 9. August den Nationalen Übergangsrat (NTC) ablösen, der Libyen nach dem Ende der Revolution nach Meinung vieler Bürger eher schlecht als recht regierte.

Mit der Machtübergabe verbinden viele Libyer die Hoffnung auf die ersten wirklichen Schritte in Richtung Demokratie. Innerhalb von anderthalb Jahren sollen die Abgeordneten ein Referendum vorbereiten und eine neue Verfassung erarbeiten. Mit Zweidrittelmehrheit bestimmen sie einen Premierminister, der die neue Übergangsregierung aufstellen soll. Da es für die Ernennung des Premiers keine Frist gibt, wird die alte Übergangsregierung wohl bis Herbst im Amt bleiben.

Dass es bis zu ersten vorzeigbaren Erfolgen des Nationalkongresses noch eine Weile dauern kann, hat der Kongress einer umstrittenen Entscheidung des von Islamisten beeinflussten NTC zu verdanken. Wohl in Erwartung eines schlechten Abschneidens der konservativen religiösen Kräfte verkündete der NTC-Vorsitzende Mustafa Dschalil zwei Tage vor den Wahlen, dass nicht wie geplant der neue Nationalkongress die 60-köpfige Verfassungskommission bestimmen solle, sondern diese vom Volk direkt gewählt werde. Ob dieses NTC-Dekret Bestand haben wird, ist noch unklar.

Politische Beobachter in Libyen sind sich jedoch sicher, dass die handstreichartige Entbindung des Nationalkongresses von einer seiner Hauptaufgaben die unentschlossenen Wähler von den Islamisten entfremdet. „Sogar Libyens religiöses Oberhaupt Sheikh Sadik al-Ghariani hat demokratische Wahlen als religiöse Pflicht angemahnt, wie können dann die Ultrakonservativen solche undemokratischen Entscheidungen treffen“, sagt Ayoob Sufyan (20) aus Zuwara, der jüngster Kandidat der Wahlen war.

Kandidat der Facebook-Generation

Er wurde in seiner Heimatstadt 150 Kilometer westlich von Tripolis nur Zweiter, aber dafür landesweit bekannt. Er ist einer der wenigen Kandidaten der Facebook-Generation, die Libyens Revolution gegen das „Mitläufertum“ der Generation ihrer Eltern begonnen haben, wie er sagt. „Wir haben unser Leben für die Demokratie aufs Spiel gesetzt und sind jetzt im Kongress kaum vertreten. Ich will meine Freunde daher motivieren, sich für Politik langfristig zu interessieren, nicht nur für Wahlen.“

Im Westen wurde der Sieg der Nationalen Allianz von Mahmud Dschibril als Überraschungserfolg der liberalen Kräfte gefeiert. Dschibrils 70-Parteien-Koalition errang 38 der 80 für Parteien vorgesehenen Sitze im Kongress. Die Gerechtigkeits- und Aufbaupartei der Muslimbrüder ergatterte als Zweitplatzierte 17 Sitze, obwohl sie die professionellste Wahlkampagne führte und die Hälfte aller Wahlplakate aufstellte. 33 Frauen aus beiden Lagern ziehen in den Kongress ein. In Tripolis gewann Dschibril 213.000 Stimmen, die Muslimbrüder nur 32.000.

„Wir haben eine Reihe unabhängiger Kandidaten auf unserer Seite und sind im Kongress stärker, als viele denken“, warnt Mohamed Sawan, der Sprecher der Muslimbrüder. Gerüchte, dass 25 der gewählten Unabhängigen Parteimitglieder der Muslimbruderschaft sind, will er nicht bestätigen.

Im Nationalkongress ist noch alles offen

Hatte Sawan Dschibrils säkulare Koalition direkt nach der Wahl noch als Gaddafi-Anhänger und Wendehälse bezeichnet, klingt er nun versöhnlicher. Denn entschieden ist im Nationalkongress noch gar nichts. 120 unabhängige Abgeordnete stellen dort die Mehrheit und sind meist als respektierte Persönlichkeiten ihrer Wahlkreise gewählt worden. Die Mitgliedschaft in einer Partei war ihnen nicht verboten, sie gingen aber oft ohne politisches Programm in den Wahlkampf.

„Mein Telefon steht seit der Wahl nicht mehr still“, sagt der Schriftsteller und Neuabgeordnete Saleh Gawouda aus Bengasi. „Jeder will mit uns reden und testen, ob wir uns bei Abstimmungen einem der beiden Machtblöcke anschließen, aber wir müssen einen dritten Weg finden und lernen, unabhängig zu bleiben.“

Als Berber und damit Vertreter der größten Minderheit steht Jungpolitiker Ayoob Sufyan dem künftigen Gezerre um die unabhängigen Abgeordneten misstrauisch gegenüber. „Wäre ich gewählt worden, wären die Drohungen der Islamisten noch massiver als im Wahlkampf. Ihnen gefällt nicht, dass ich mich für die Berbersprache Amazigh als zweite Amtssprache ausspreche.“ Aber er will bei den Parlamentswahlen 2014 wieder kandidieren: „Wir jungen Revolutionäre müssen nun als Unabhängige die mit Waffen erkämpfte Demokratie verteidigen.“

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