Männer-Bundesligaauftakt: Mehr Spektakel beim VfL Wolfsburg?
Beim teilfossil getriebenen Klub war zuletzt schwer zu sagen, für welchen Fußball er stehen will. Der neue Trainer Paul Simonis soll das ändern.

Wir leben in einer Zeit, in der arabische Petro-Milliardäre den europäischen Fußball finanzieren und für ihre Interessen benutzen, die nicht zuletzt darin bestehen, die Erderhitzung weiter in die Höhe zu treiben und anti-liberale und anti-emanzipatorische Systeme zu stabilisieren. So gesehen könnte man mal größer denken und ernsthaft diskutieren, ob es nicht auch Vorteile hat, wenn deutsche Noch-Weltkonzerne mit starker regionaler und gewerkschaftlicher Verankerung ihre Portokasse für Bundesliga-Fußball aufmachen, anstatt endlos herumzulamentieren, wie schön es früher war und wie ungerecht es heute ist. (Mal abgesehen davon, dass auch bei VW Anteile Katar gehören, Anm. d. Red.)
Es ist auch ethisch unterste Schublade, den Arbeiterinnen und Arbeitern von Wolfsburg zu unterstellen, sie liebten ihren Klub ja auch gar nicht „richtig“, anders als etwa Schalke-, Lautern- und Nürnberg-Fans. Wie heruntergekommen muss man sein, um die Ideologie einer überlegenen Liebesintensität zu erfinden? Richtig könnte allerdings sein, dass es weniger masochistische Veranlagung braucht, Fan des VfL Wolfsburg zu sein, dessen jüngere Tradition ja aus Meistertitel, Pokalsieg und Champions-League-Teilnahmen (3-mal) besteht und die seit 1997 ununterbrochen in der Bundesliga spielen. Will sagen: Nicht-alte Menschen kennen das gar nicht anders.
Nüchtern betrachtet gibt es miserabel geführte „Traditionsklubs“, deren Tradition seit Jahren darin besteht, das geliehene Geld zum Fenster rauszuschmeißen (HSV und Hertha BSC zum Beispiel), es gibt professionell arbeitende Klubs (Freiburg, Mainz, Augsburg, Heidenheim) mit einer Erfolgstradition im 21. Jahrhundert, und es gibt den VfL Wolfsburg, der im Verhältnis zu diesen Klubs in der Tat zuletzt viel zu wenig aus seinen zusätzlichen finanziellen Möglichkeiten gemacht hat.
Seit der letzten Champions-League-Qualifikation unter Trainer Oliver Glasner (2021) sitzt man im tabellarischen Mittelmaß (Plätze 12, 8, 12, 11) fest und schlimmer, der gespielte Fußball ist konturlos und weitestgehend spektakelfrei. Für welchen Fußball steht der VfL? Da konnte man beim Zusehen zuletzt nur sagen: keine Ahnung.
Homo novus Paul Simonis
Um das zu ändern, hat Sportgeschäftsführer Peter Christiansen den Homo novus Paul Simonis, 40, geholt. Das ist ein Niederländer, der nicht aus dem Fußballprofi-Adel kommt und dafür den Trainerjob über Jahre gelernt und für sich entwickelt hat, was ja schon mal gut klingt. Allerdings hat er erst eine (erfolgreiche) Saison als Cheftrainer in der Eredivisie hinter sich, was zweierlei bedeuten kann: Es fehlt noch an Cheferfahrung und/oder er ist in seiner kreativsten Phase.
Auch sein variables 4-2-3-1 wird auf einer stabilen Defensive und schnellem Umschalten aufbauen wollen, aber das ist praktisch die Basis für jeden Fußball. Die größte personelle Frage eines derzeit noch unfertigen Kaders ist wohl, ob er einen qualifizierten Mittelstürmer hat oder noch bekommt. Insgesamt kann man als Fußballinteressierter auf mehr und zielorientierten Ballbesitz hoffen als bei den Fußballreduktionisten Kovač und Hasenhüttl.
Und auf mehr Spektakel auf dem Rasen, denn weniger Fußball-Spektakel geht nun wirklich kaum mehr. Außer natürlich in Schalke und bei Hertha BSC.
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