Männer, die aus Büchern lesen: Hier lang – oder da?

Am Sonntag geht es im Golem um das Jüdische in der Subkultur, im Golden Pudel Club wird am selben Abend die Geschichte des Techno aufgerollt.

DJs erzählen: Aus seinem Buch über die Techno-Szene liest Sonntag Jürgen Teipel. Bild: reuters

HAMBURG | taz Das Gelenk heißt Punk: Er verbindet Technics-1210-Plattenspieler mit Lou Reed und DJ Hell mit Richard Hell, und das alles an diesem Sonntagabend am Hamburger Hafenrand.

Wer ein Interesse an, sagen wir: Dingen der Popkultur hat, das hinausgeht übers bloße Finde-ich-Gut; wem es nicht zu verkopft ist, über das, wozu er tags zuvor getanzt hat, auch mal zu lesen (oder vorgelesen zu bekommen); wer nicht glaubt, über etwas zu reden heiße, es zu zer-reden, und überhaupt müsse man überall dabei gewesen sein: Der hat am Sonntagabend in Hamburg eine Entscheidung zu treffen, vielleicht sogar eine schwere. Da gibt es nämlich diese beiden Termine: Lesungen, Präsentationen noch nicht mal so ganz neuer Bücher. So gut wie gleichzeitig und beinahe – aber halt nur beinahe – am selben Ort.

Da stellt bei den „Untüchtigen“ im Golem Mit-Herausgeber Jonas Engelmann den Band „We are ugly but we have the music“ vor, erklärtermaßen eine „ungewöhnliche Spurensuche in Sachen jüdischer Erfahrung und Subkultur“. Und nur ein paar hundert Meter flussaufwärts, im Pudel, liest Jürgen Teipel aus seiner O-Ton-Montage „Mehr als laut“, in der er – so auch der Untertitel – „DJs erzählen“ lässt (und noch ein paar andere mehr).

Das Gelenk heißt Punk: Um den und seine Überwindung, in der spezifisch (west-)deutschen Ausformung Neue Deutsche Welle: Darum ging es Jürgen Teipel in seinem Buch „Verschwende Deine Jugend“, mehr als zehn Jahre ist das jetzt her. So lange, dass schon überarbeitete Auflagen erscheinen sind und die CD-Compilation, die damals ein findiges Label begleitend herausbrachte, schon auf Grabbeltischen zu finden ist.

Woher der Punk kam

Mit 100 Gesprächspartnern hatte Teipel damals gesprochen, mit Musikern und denen, die ihre Musik herausgaben, mit Konzertveranstaltern und -besuchern und mit solchen, die das alles waren, jeweils zu seiner Zeit. Aus irgendwann 1.200 Seiten O-Ton montierte er dann ein Buch, wie es das so noch nicht gegeben hatte hierzulande, eine vielstimmige Oral History von Punk in Deutschland: wo er herkam und was aus ihm wurde, erzählt von denen, die dabei waren, ausgewählt und angeordnet, ja: „destilliert“ durch Teipel, der damit ja auch eine nicht ganz selbstverständliche Form der Autorschaft einnahm.

„Eine Fabrikhalle im ersten Stock“, erinnert sich Teipel nun im Vorwort zu seinem DJ-Buch. „Ich erinnere mich an große, eckige, weiße Säulen, mitten im Raum. Hier muss einmal etwas extrem Schweres gestanden haben. Inzwischen ist so etwas klassisches Punk-, aber auch Techno-Ambiente.“ Da schnurrt also auf eine einzelne Szene ein durchaus nicht linear verlaufender Weg zusammen, der auch sein eigener war: Schließlich habe er, so Teipel, die 90er-Jahre hindurch „auf alles Mögliche“ gestanden – „nur nicht auf Techno!“

„Jetzt also Techno“: Bei den Recherchen zu einem Roman über DJs – man möchte sagen: noch so einem Roman über DJs – führte Teipel nun also wiederum Gespräche, nicht so viele und auch von sehr viel mehr Zufälligkeiten zustande gebracht. Herausgekommen ist ein Buch über Techno – im weitesten Sinne –, gebaut aus den O-Tönen von solchen, die ihn machen: Hans Nieswandt und DJ Hell, Acid Maria und Michael Mayer und, und, und. Da sind, ganz klar, wichtige Leute beteiligt gewesen, aber nicht alle wichtigen (und vielleicht nicht die wichtigsten): Wo „Verschwende Deine Jugend“ fast schon ein Zuviel an Stimmen aufbot, ist es diesmal vielleicht ein wenig beliebig.

„Ich glaube“, schickt Teipel selbst voraus, „gerade durch den fehlenden Anspruch, die Geschichte einer Generation erzählen zu wollen, ist, zumindest im Ansatz und wie nebenbei, genau so etwas entstanden – allerdings auf eine sehr persönliche, fast intime Art. Etwas Lebendiges. Etwas nicht in übergroßer Ambition Erstarrtes.“ So kann man’s sagen. Man kann es aber auch ermüdend finden, seitenweise über Drogenerfahrungen zwischen Ibiza und Mannheim zu lesen: Redundanzen liegen bei solcher Art kompilierten Texts nahe, aber sie zu minimieren, wäre Aufgabe desjenigen, der hier ganz konventionell als Autor auf dem Buchdeckel steht.

Blitzhafte Erkenntnis

Bei Engelmann beginnt es mit Walter Benjamin: „In den Gebieten, mit denen wir es zu tun haben, gibt es die Erkenntnis nur blitzhaft. Der Text ist der lang nachrollende Donner.“ Das Zitat aus dem „Passagen-Werk“ umreißt, welches Projekt „We are ugly but we have the music“ antreibt: Ist ihr Buch der Donner, war der Blitz Steven Lee Beebers „The Heebie-Jeebies at CBGB’s: A Secret History of Jewish Punk“ aus dem Jahr 2006, zwei Jahre später, übersetzt von der taz-Redakteurin Doris Akrap, auch auf Deutsch erschienen: „Die Heebie-Jeebies im CBGB’s. Die jüdischen Wurzeln des Punk“. Auch das war ein Ergebnis von Gesprächen, die der Journalist und Publizist mit über 120 Zeitzeugen und anderweitig Berufenen geführt hatte.

Im Gespräch mit Akrap legt Beeber seinen zentralen Gedanken nun nochmals knapp dar: New York, die kreativste Stadt der USA, habe eigentlich nur eine Musik hervorgebracht: den Punk. Und seine Akteure hatten fast durchweg einen jüdischen Hintergrund. Das hat natürlich auch seine Löcher: Dass etwa Richard Hell – Sänger unter anderem der Voidoids und, angeblich, Erfinder des gezielt durchlöcherten T-Shirts – sich vom ohnehin nur väterlicherseits gegebenen Judentum ausdrücklich losgesagt hat (und Beeber bei Gesprächsanfragen schon mit körperlicher Gewalt gedroht haben soll): geschenkt.

Denn auch, wenn sich anhand etlicher Lebensläufe – von Hell über diverse Ramones bis hin zu Chris Stein (Blondie) oder auch CBGB’s-Betreiber Hilly Kristal – ein Zusammenhang nachweisen lässt, geht es ja übers rein Biografische hinaus: um das weit zurückreichende Outsidersein nicht assimilierten Judentums etwa; das Refugium, das, historisch evident, Juden immer wieder gerade auch in der Unterhaltungsbranche fanden; den Umstand schließlich, dass „Popkultur der wichtigste Ausdruck der Minderheiten und subalternen Gruppierungen ist“, wie Peter Waldmann in „We are ugly but we have the music“ schreibt.

Patenonkel Lou Reed

Der Sammelband, Ergebnis wissenschaftlicher Tagungen, weitet aber den Blick über die Beeber’sche Idee hinaus: Am Ende geht es dann nicht nur um New Yorker 70er-Jahre-Lederjacken-Rocker, sondern auch um ihren Patenonkel Lou Reed, oder den Radical-Jewish-Culture-Avantgardisten John Zorn. Oder, im letzten Abschnitt, gar um die Filme Mel Brooks’ und „Bilder des Jüdischen auf Youtube“.

Jonas Engelmann, der das Buch jetzt verspätet in Hamburg vorstellt, schreibt darin über „Aschkenasische Traditionen im kanadischen Post-Punk“ und die „jewish experience“, die etwa Mitglieder der Montrealer Bands, nein, Musikergeflechte Godspeed! You Black Emperor und A Silver Mt. Zion gemacht haben. Warum die Beschäftigung damit beinahe zwangsläufig bei einer sehr deutschen Befassung mit den Debatten ums Verhältnis zum Staat Israel landet – und damit in Verbindung stehenden, innerlinken Verwerfungen? –, das kann er ja jetzt gefragt werden.

Jonas Engelmann: So, 26. Januar, 20 Uhr, Golem, Große Elbstraße 14

Jürgen Teipel: So, 26. Januar, 21 Uhr, Golden Pudel Club, St. Pauli Fischmarkt

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