Männerforum-Vorstand über Geschlechterrollen: „Stereotype machen unglücklich“

Das Bundesforum Männer wird zehn Jahre alt und kämpft um Geschlechtergerechtigkeit. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Thomas Altgeld.

Ein kleiner Junge zeigt einem Mädchen seine Muskeln

Ein Spaß unter Kinder oder irgendwann dann doch Ernst? Foto: Simone Mueller/Photodisc

taz: Herr Altgeld, bitte antworten Sie mit Ja oder Nein. Sind Sie Feminist?

Thomas Altgeld: Ja.

Müssen wir den Gender Pay Gap abschaffen?

Ja.

ist Psychologe und Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen. Seit 2019 ist er Vorstandschef des Bundesforums Männer.

Ist Gleichstellungspolitik auch für Männer gut?

Ja, auf jeden Fall!

Wessen Interessen vertreten Sie: die von Männern oder die von Frauen?

Wir müssen von diesem Antagonismus wegkommen. Wir vertreten die Interessen von Männern. Aber wir vertreten sie nicht gegen frauenpolitische Interessen und Erfolge. Wir schauen: Was sind Bedarfe und Bedürfnisse von Männern im Rahmen einer männerorientierten Gleichstellungspolitik.

Der bundesweite Interessensverband mit 33 Mitgliedsorganisationen macht Lobbyarbeit für geschlechtergerechte Belange von Jungen, Männern und Vätern. Er wurde am 4. November 2010 als Pendant zum älteren und größeren Deutschen Frauenrat gegründet.

Männer würden deutlich weniger verdienen, gäbe es zum Beispiel den Gender Pay Gap nicht.

Sie würden aber anderswo ganz viel gewinnen. In vielen Bereichen, die in unserer Gesellschaft patriarchal organisiert sind – im Bildungssystem zum Beispiel oder auf dem Arbeitsmarkt – wird die Bedeutung von Geschlecht kaum reflektiert. Aber auch wenn Männer auf der Karriereleiter besser abschneiden, heißt das nicht, dass das ihren Interessen dient. Da gibt es tief sitzende Stereotype, die Männer und Frauen unglücklich machen, die sogar Leben zerstören. Da geht es um viel mehr als nur Geld. Es geht um Chancen auf Verwirklichung und letztlich Lebensglück.

Wie sieht eine zeitgemäße Vorstellung von Männlichkeit aus?

Männerorientierte Politik versucht, mit den archetypischen Männerbildern zu brechen und neue Bilder von Männlichkeit zuzulassen. Männer müssen vielfältig sein dürfen und nicht nur in die Vorstellung des 50 Stunden durcharbeitenden Mannes gezwängt werden, der die Familie ernährt und ansonsten alles wegsteckt, Gefühle zum Beispiel.

Warum schließen Sie sich nicht einfach dem Deutschen Frauenrat an, Ihrem Pendant aufseiten der Frauen?

Der Frauenrat und wir haben große inhaltliche Schnittmengen, zum Beispiel, wenn es um eine Neubewertung von Lohnarbeit und unbezahlter Care-Arbeit geht oder um eine Aufwertung von Gesundheits- und Erziehungsberufen. Aber wir wollen gar nicht so werden wie der Frauenrat. Frauen brauchen eine andere Form von Kampfgeist. Sie haben auch einen anderen Nachholbedarf, was ihre Interessen in unserem System angeht, zum Beispiel bei der Parität. Und es gibt durchaus Bereiche, in denen die Männer auch eigene Interessen haben, zum Beispiel in der Gesundheit. Männer leben hierzulande 4,8 Jahre kürzer als Frauen. Das hat Gründe.

Welche?

Männer gehen zum Beispiel bis zum 40. Lebensjahr deutlich weniger zum Arzt als Frauen. Das liegt auch am Mythos des harten Mannes, der nicht im Bett liegen kann und der verhindert, dass Männer fürsorglich mit sich und ihrem Körper umgehen. Für Männergesundheit macht sich der Frauenrat ja eher nicht stark.

Der Frauenrat hat sich geweigert, ein gemeinsames Interview mit Ihnen zu führen. Ist Ihr Verhältnis so schlecht?

Wir bemühen uns um ein freundschaftliches Verhältnis und haben das auf Arbeitsebene auch. Ich wäre jederzeit für ein gemeinsames Interview zu haben.

Wäre nicht sogar eine Kooperation sinnvoll, wenn Sie in vielen Bereichen ähnliche Positionen vertreten?

Wir sind in vielen Gremien gemeinsam vertreten und arbeiten in vielen Sachfragen eng miteinander zusammen.

Einige Streitpunkte dürfte es geben. Sie fordern zum Beispiel eine gemeinsame Verantwortung in Familien nach Trennungen. Das ist für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, unvorstellbar.

Gerade was die Gewaltfrage angeht, sind unsere Interessen nicht so verschieden. Wir haben da keine aussagekräftigen Zahlen für Deutschland – aber auch Männer sind Opfer von Gewalt. Für diese Fälle gibt es nur bislang keine repräsentative Studie. Die würde dringend gebraucht, um die Gewaltbetroffenheit von Männern diskutieren zu können.

Mehr als 80 Prozent der von partnerschaftlicher Gewalt betroffenen Menschen hierzulande sind Frauen. Jeden Tag versucht ein Mann, seine Frau umzubringen. Jeden dritten Tag schafft er es.

Die Hilfestrukturen für Frauen, die Opfer von Gewalt sind, sind in Deutschland relativ gut ausgebaut. Hilfestrukturen für gewaltbetroffene Männer sind kaum existent.

Frauenhäuser sind chronisch unterfinanziert. Und es ist ein strukturelles Problem, dass die allermeiste Gewalt gegen Frauen von Männern ausgeht.

Wir bräuchten mehr Täterarbeit, ja. Aber Sie haben gerade die Zahlen für häusliche Gewalt genannt. Bei Gewalt im öffentlichen Bereich sind Männer viel häufiger Opfer als Frauen.

Da geht es um Gewalt von Männern gegen Männer, nicht gegen Frauen.

Genau, da geht es viel um andere Arten von Männlichkeit: Männer mit Behinderungen, schwule Männer, Männer mit Migrationshintergrund. Sehr viel Gewalt trifft Männer und verändert ihre Leben. Gewalt gegen Frauen ist ein wirklich wichtiges Thema. Aber das heißt nicht, dass wir nichts für Männer tun müssen. Wir müssen doch im Interesse aller daran arbeiten, dass wir Männern andere Handlungsmöglichkeiten geben als gewaltförmige.

Sie fordern, Männerpolitik im Koalitionsvertrag zu verankern. Das Frauenministerium unterstützt Projekte Ihres Verbands finanziell, obwohl es doch Frauenministerium heißt. Dieses Geld geht den Frauenprojekten flöten. Liegt die Konkurrenz nicht auf der Hand?

Ich sehe da kein Konkurrenzverhältnis. Öffentliche Gelder, die im Männerbereich investiert werden, sind marginal. Und wir versuchen, die Forderungen für Männer nicht so zu formulieren, dass die Gelder aus einem Topf genommen werden, der für Frauen gedacht ist. Wir sind keine Männerrechtler, die jedes Gesetz auf die Frage durchchecken, ob zu viel Geld für Frauen ausgegeben wird.

Sondern?

Wir dürfen uns da doch nicht auseinanderbringen lassen! Ja, es braucht eine bessere Ausstattung für Frauenhäuser. Aber wir brauchen eben auch ein System, das gewaltbetroffenen Männern Hilfe bietet. Und wenn man sich überlegt, was gerade in Coronazeiten für Geld gedruckt wird für die Lufthansa oder andere veraltete Industriezweige, frage ich mich schon, warum wir ausgerechnet im Geschlechterbereich um jeden Euro neu kämpfen müssen.

Die Männer des Bundesforums gelten als die „Guten“, als diejenigen, die nichts mit Antifeminismus zu tun haben. Die sogenannten Maskulinisten kritisieren deshalb, Sie würden die Interessen der Männer nicht ausreichend vertreten. Kämpfen Sie da auch gegen die eigenen Geschlechtsgenossen?

Ich kämpfe lieber für als gegen etwas. Ich schaue mir zwar an, was in diesem Bereich passiert, die Arbeit von MANNdat zum Beispiel. Und wir grenzen uns klar gegen vieler ihrer Positionen im Familienrecht ab, die aktuell von rechtsradikalen Parteien wie der AfD allzu dankbar übernommen werden, weil denen gleichstellungspolitische Erfolge für Frauen ein Horror sind. Aber wir sollten uns als Bundesforum auf unsere eigenen Forderungen konzentrieren.

Der Verein „Väteraufbruch für Kinder“, der Mitglied des Bundesforums ist, betrachtet Väter als Opfer von Trennung und findet, dass Mütter von Gerichten bevorzugt werden. Das sind mindestens grenzwertige Positionen.

Ich habe viel mit Vertretern des Väteraufbruchs gesprochen. Viele Positionen haben sich auch deshalb gebildet, weil großes biografisches Leid dahinter steckt, Auseinandersetzungen, schlechte Erfahrungen mit Familiengerichten. In dieser Wunde zu bohren und Erfahrungen öffentlich zu machen, ist also legitim.

Ist es nicht sehr weit hergeholt zu behaupten, Mütter, noch dazu alleinerziehende, würden generell bevorzugt?

Die Mehrheit der Paare trennt sich einigermaßen einvernehmlich. Das Problem liegt an dieser Stelle also bei Paaren mit schwieriger Trennungssituation, die weder zulasten der Kinder noch der Mütter noch der Väter gehen sollte. Das sind Aushandlungsprozesse, bei denen ich zum Beispiel die Arbeit des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter sehr schätze.

Und die des Väteraufbruchs?

Ich erlebe da keine schlagenden Väter, sondern Väter, die aus irgendwelchen Gründen nicht mehr mit ihren Partnerinnen klar kamen. Ich würde die Position, Väter würden systematisch diskriminiert, so nicht übernehmen. Aber ich glaube schon, dass es in den Bereichen der Gerichtsbarkeit und der Jugendämter viele blinde Flecken gibt und Gender Mainstreaming für diese Bereiche dringend notwendig ist.

Letzte Frage: Es gibt eine dritte Vereinigung auf Bundesebene, die in Geschlechterfragen aktiv ist, der Bundesverband Trans*. Wie steht es um Ihr Verhältnis?

Es gibt noch keine wirkliche Kooperation. Aber ich möchte betonen, dass das Bundesforum Männer zwar auf den ersten Blick an ein binäres Geschlechtersystem gekoppelt ist, dass wir das in unserer praktischen Arbeit aber so nicht pflegen. Wir wissen, dass Geschlechterfragen nicht nur Männer und Frauen betreffen.

Wenn das Ziel ist, das binäre System aufzubrechen – wie sollen wir dahin kommen, wenn letztlich doch alle ihr eigenes Süppchen kochen?

Vielleicht müssen wir mehr an gemeinsamen Visionen arbeiten. Daran, dass wir deckungsfähige Ziele hinkriegen. Und nicht immer nur die Stellen in den Blick nehmen, bei denen wir auf keinen Fall auf einen Nenner kommen. Wir brauchen ein Gesamtbild, in dem vielfältige Lebensentwürfe und Geschlechteridentitäten ihren Platz haben. Wenn wir daran arbeiten, ist schon viel gewonnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.