Magazine für Homosexuelle: „Schwule leben anders, lieben anders“

Früher Wichsvorlage und Infoquelle – heute Gratisheftchen oder pleite. Schwule Printmedien stecken in der Krise. Wieso eigentlich?

„Schwule leben anders, sie lieben anders, sie ficken anders, sie haben andere Karrieren, andere Realitäten“: Peter Rehberg, Kulturwissenschaftler. Bild: Maccaroni / photocase.de

Die kleine Redaktion der Du&Ich hat die klassischen Trauerstadien durchgemacht. Erst Schock, dann Frust, dann Wut. Gefolgt von Trauer, Sarkasmus und schließlich Befreiung. „Gegen Ende haben wir dann wieder viel gelacht“, erzählt Andreas Hergeth. Bis vor Kurzem war er Chefredakteur von Deutschlands ältestem Schwulen-Magazin, der Du&Ich. Nach 45 Jahren und 493 Ausgaben ist jetzt Schluss. Vor zwei Wochen erschien die letzte Ausgabe. Zu wenig Leser, zu wenig Anzeigenkunden.

Die schwulen Printmedien stecken in der Krise, schon lange. Der Du&Ich ging es seit Jahren schlecht, zuletzt wurden – nach Verlagsangaben – nur noch rund 15.000 Hefte verkauft. Inoffiziell hört man auch deutlich niedrigere Zahlen. Auch Männer, das zweite große schwule Kaufmagazin in Deutschland, sieht unsicheren Zeiten entgegen. Im Mai meldete der Bruno Gmünder Verlag Insolvenz an. Ob und wie es weitergeht, ist unklar. Prominente Neugründungen gab es in den vergangenen Jahren kaum, und wenn, wurden sie schnell wieder eingestellt. Der Markt für schwule Kaufmagazine scheint tot. Wieso eigentlich?

Andreas Hergeth sucht nach Erklärungen. „Identifikationsstiftende Magazine für schwule Männer braucht es heute wohl nicht mehr. Man ist schwul und ein selbstbewusster Teil der Gesellschaft geworden.“ Schwule Themen werden heute tatsächlich viel häufiger in Mainstream-Medien verhandelt als vor 20 Jahren. Wobei es noch immer einen Unterschied macht, ob Spiegel Online, FAZ und Leipziger Volkszeitung über Conchita Wurst oder das Blutspendeverbot für Schwule berichten oder ob es Homomedien mit Expertise und Szenekenntnis tun.

„Der Markt für schwule, überregionale Kaufhefte ist seit Jahren kleiner geworden, der Bedarf ist weg“, sagt auch Manuela Kay. Sie ist Geschäftsführerin des Special Media SDL Verlags, bei dem neben der Du&Ich auch das Lesbenmagazin l.mag sowie Europas größtes schwules Gratisheft Siegessäule erscheint. „Die Kontaktanzeigen sind schon ewig verschwunden, der Anzeigenmarkt war schon immer schwierig“, sagt sie.

Viele Berührungsängste

Im Gegensatz zum englischsprachigen Raum hätten große Marken in Deutschland noch immer Berührungsängste mit allem, was homosexuell ist. Trotzdem wehrt sie sich gegen Untergangsfantasien eines ganzen Printsegments. „Beim l.mag kann von Krise keine Rede sein.“ Das mit den Lesben hätten die Massenmedien ebenso wie die Gesellschaft noch immer nicht begriffen. „Homosexuell wird noch immer häufig mit schwul gleichgesetzt, Lesben kommen kaum vor“, sagt sie. Und auch die Siegessäule vermeldete jüngst einen Auflagenrekord mit über 53.000 Exemplaren im Monat, die in Berlin kostenlos verteilt werden.

Andere kostenlose schwul-lesbische Stadtmagazine kämpfen dagegen mit finanziellen Schwierigkeiten und um ihre publizistische Relevanz. Waren die meisten von ihnen vor drei Jahren noch unabhängig, fand seitdem ein dramatischer Konzentrationsprozess statt. Die blu-Mediengruppe aus Berlin schluckte die größten Titel: hinnerk in Hamburg, leo in München, rik in Köln und gab in Frankfurt, Stuttgart und Mannheim. So entstand ein homosexueller Verlagsriese mit über 120.000 Gratis-Exemplaren, der für Anzeigenkunden interessanter sein soll.

Warum es toll ist, ein Objekt zu sein – und was Heterosexuelle sonst noch von Schwulen und Lesben lernen können, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 9./10. August 2014. Außerdem: Eine Ausbilderin bei den UN-Blauhelmen erzählt von der inneren Zerrissenheit der Militärs. Und: So klappts auch mit dem Schmiergeld. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Paul Schulz ist der neue Publishing Director der blu-Mediengruppe, zuvor war er Chef bei Männer. Damals kritisierte er, wie viele in der schwulen Szene, den Konzentrationsprozess bei Stadtmagazinen. Jetzt ist er inhaltlich für sie verantwortlich. Konzentrationsprozesse seien nicht per se schlecht, sagt er heute. „Wenn sie von Kompetenz unterfüttert sind, habe ich keine Angst.“

Schwule als Zielgruppe

Schulz sieht die vermeintliche Krise der schwulen Kaufzeitschriften ohnehin gelassen. „Wenn man die Auflagenzahlen ins Verhältnis setzt zum Anteil Schwuler in der Gesellschaft, ist das gar nicht so schlecht“, sagt er. Leider hätten in Deutschland die großen Verlage nie Schwule als Zielgruppe entdeckt. Wo sie doch sonst auf jeden Trend aufspringen würden: Heavy Metal Fans, Autotuner, bürgerliche Jungfamilien. Für alle gibt es Magazine aus Großverlagen.

Dabei wird die schwule Zielgruppe immer größer. „Heute gibt es 70-Jährige, die ihr ganzes Leben schwul gelebt haben, das gab es vor 30 Jahren nicht“, sagt Schulz. Die vorhandenen Kaufmagazine verstünden es nur nicht, die Zielgruppe adäquat zu erreichen.

Ähnlich sieht das Peter Rehberg. Der Kulturwissenschaftler lehrt in den USA unter anderem Queer Theory und hat mit seinem Kollegen Bradley Boovy jüngst einen Aufsatz über „Schwule Medien nach 1945“ geschrieben. Denn sucht man nach Gründen für die aktuelle Krise, muss man auch zurückblicken.

Laut Rehberg und Boovy haben schwule Medien seit jeher eine Gegenöffentlichkeit ermöglicht. Besonders in der frühen Bundesrepublik waren sie historisch an der Entstehung der Schwulenbewegung beteiligt.

Alles anders nach Aids

In den 50er Jahren, als Homosexualität verfolgt und zensiert wurde, dienten sie vor allem der Vermittlung schwuler Kultur – und von (Sexual-)Kontakten –, mussten wegen juristischer Probleme aber schnell eingestellt werden. Erst Ende der 60er etablierte sich Du&Ich. Während in den USA mit The Advocate aber ein schwules Magazin gegründet wurde, das kulturelle und politische Veränderungen reflektierte und das bis heute als Sprachrohr der Schwulen wahrgenommen wird, waren die deutschen Homomedien eher unpolitisch und an Pornografie angelehnt.

Auch Männer, die sich in den 80ern gründete, diente vor allem der Bereitstellung von Sexbildchen und als Kontaktbörse. Wie bei anderen Magazinen auch setzte sich Kultur und Politik nicht gegen (Soft-)Pornografie als schwule Leitkultur durch. Politischer war da schon die Siegessäule in Berlin, die, vor allem als Aids aufkam, eine alternative Berichterstattung bot. Als Folge der Aids-Krise kam es schließlich zu einer Desexualisierung. Die hält bis heute an. Penisse finden sich weder in der aktuellen Ausgabe der Du&Ich noch in der Männer. Obwohl sie am Kiosk zwischen Playboy und St. Pauli Nachrichten liegen. Ein weiterer Versuch, sich an mögliche Anzeigenkunden anzupassen.

In der letzten Ausgabe der Du&Ich steht kein Wort vom Ende von Deutschlands ältestem Schwulenmagazin. Alles wie immer: Reportage über Schwule im Ausland, Bericht über Coming-out-Gruppen, ein bisschen Medienrezensionen, Interview mit Pornostar, Kolumnen, Titelthema zur „schwulen Szene“ und erotische Fotostrecken – nicht zu explizit. Wirklich anregend – intellektuell, sexuell, geistig – ist das nicht.

Gayromeo und queer.de

Keiner kauft heute mehr Schwulenmagazine, um sich nackte Männer anzusehen. Da bietet das Internet sehr viel mehr. In Zeiten von Facebook, Gayromeo, Grindr und schwulen Onlinemedien wie queer.de sind viele historische Funktionen der Printtitel ins Netz gewandert. Sexualkontakte, Informationen, Wichsvorlage, Veranstaltungskalender. Alles online. „Die können das sogar besser“, sagt Rehberg.

Doch es geht ihm um mehr. „Eigentlich müssten schwule Medien der Ort sein, wo schwule Kultur und queerer Diskurs stattfindet. Wo auch mal Kunst und Porno verbunden wird.“ Das gebe es im Netz bisher nicht, die großen Magazine haben es aber zuletzt auch nicht geleistet. „Dass die Du&Ich jetzt vom Markt ist, ist deshalb kein großer Verlust“, sagt Rehberg. Denn überzeugend sei der Titel aus seiner Sicht in den vergangenen Jahren nicht gewesen.

Er sieht deshalb auch Positives in der aktuellen Krise. Es bräuchte jetzt neue Ideen, neue Magazine, solche, die sich ernsthaft und umfassend mit Schwulen auseinandersetzen. Ansätze dazu gibt es. Das niederländische Magazin Butt etwa, das zwar immer als Vorbild genannt wird, aber 2011 das letzte Mal gedruckt wurde. Hello Mr. aus New York oder Horst aus Hamburg. Postporno, Queernes, Kunst, Kultur.

Eine weit verbreitete These ist, dass Schwule in der Post-Aids-Ära mit der Heterogesellschaft eine Art Kuhhandel eingegangen sind. Die Utopien der 60er und 70er wurden aufgegeben, die Anpassung wurde vollzogen. „Es gibt eine Gleichzeitigkeit von schwuler Sichtbarkeit und schwuler Unsichtbarkeit“, sagt Rehberg. „Bei aller Assimilation muss man immer wieder daran erinnern: Schwule leben anders, sie lieben anders, sie ficken anders, sie haben andere Karrieren, andere Realitäten.“

Schwule Medien sind demnach nicht überflüssig geworden. Wer das sagt, folgt dem Assimilationsparadigma. Es braucht einen Kontrapunkt. So profan es klingt: Im Scheitern der alten Homomagazine kann auch die Chance für etwas Neues liegen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.