Manga-Messe in Berlin: Kiki statt Kernschmelze

Trotz Godzilla: Bei einem Manga-Symposium im deutsch-japanischen Zentrum in Berlin sprach man mehr über Ästhetik als übers atomare Desaster.

Alles so schön bunt hier, aber auch zuweilen apokalyptisch: Mangas im Bücherregal. Bild: imago/Hoffmann

BERLIN taz | Das Mädchen im Film lässt sich aufs Bett fallen und vergräbt ihr Gesicht im Laken. Nicht mit einer dramatischen Geste der Verzweiflung, sondern in stummer Resignation. Sie ist eine kleine Hexe, aber es sieht so aus, als habe sie nun ihre Zauberkräfte verloren. Der Besen hebt nicht mehr ab, und sie kann weder Aufträge für ihren kleinen Lieferservice ausfliegen noch ihrem Freund helfen, der sich in Gefahr begibt, weil er unbedingt bei der Jungfernfahrt eines riesengroßen Zeppelins dabei sein will.

"Kikis kleiner Lieferservice" heißt dieser Anime-Film von 1989. Er eröffnet eine zweitägige Veranstaltung im japanisch-deutschen Zentrum in Berlin, die die Frage stellt, ob Manga Literatur sei. Ein kleines Symposium, das schon lange geplant war und große Namen aus der japanischen Jugendliteratur- und Mangawelt eingeladen hat.

Es sind nicht viele gekommen. In der hellen, freundlichen Eingangshalle wiegt ein Mann sein Kind in den Schlaf, eine Frau schaut durch die Glasfront hinaus in den Regen, und in dem Raum, in dem der Film gezeigt wird, sind nur etwa ein Drittel der Plätze besetzt. Die Katastrophe in Japan hält die Menschen in Berlin zuhause vor den Nachrichten fest.

Die, die gekommen sind, sehen die Geschichte des Mädchens Kiki, das seine Selbstsicherheit wiederfinden muss, damit es wieder zaubern kann. Es kommt ein schlimmer Sturm auf. Kiki sieht das Unglück in den Fernsehnachrichten. Der Sturm reißt das riesige Flugschiff von seiner Verankerung im Boden ab und treibt es unkontrolliert auf die Stadt zu. Nur Kikis Freund, der kleine Junge, hängt sich waghalsig an das abgerissene Tau und wird vom Zeppelin mit in die Höhe gezogen.

Nur ein Wunder kann ihn und das Flugschiff noch retten, rufen die Journalisten im Trickfilm. "Spirit of freedom" heißt der Zeppelin. Wenn kein Wunder geschieht, wird "Spirit of Freedom" in die Dächer krachen und Unheil anrichten. Kiki muss sich zusammenreißen. Sie konzentriert ihre Kräfte, und das Wunder geschieht: Sie kann den Besen wieder steuern, fängt den Jungen auf, und auch das Flugschiff richtet keinen Schaden an. Ein schöner Film.

Die Romanvorlage stammt von Eiko Kadono, in ihrem Land eine große Autorin; Regie geführt hat Hayao Miyazaki, der in vielen seiner Animes, traditionelle Kultur, Technik und Umweltzerstörung aufeinanderprallen lässt. Die Menschen in seinen Filmen beherrschen die Technik nicht mehr.

Atomares Monster mit nuklearem Atem

Aber darum geht es nicht im anschließenden Gespräch. Es geht um den Unterschied von Romanvorlage und Film. Um Großartiges, das die Künstler geleistet haben. Um die Kraft der Imagination in der japanischen Sprache. Um die pseudo-europäische Kulisse, in die Regisseur Miyazaki seine Filme oft setzt. Um die Inspiration der Künstler. Es geht um das, worum es bei solchen Symposien eben meistens geht.

Die Autorin, die auf dem Podium antwortet, ist nicht Eiko Kadono, denn sie konnte nicht kommen. Kadono ist 76 Jahre alt, fühlte sich nicht wohl und kümmere sich zudem um ihre alte Mutter, erklärt an ihrer Stelle Yuko Matsumoto vom japanischen P.E.N-Club. Matsumoto ist am Tag zuvor über Hongkong und Zürich nach Berlin geflogen. 33 Stunden hat ihre Reise gedauert, erzählt sie später; alle Direktflüge zwischen Japan und Deutschland wurden abgesagt. Ihr Mann sei in Tokio, er wäre am liebsten mitgekommen, aber er arbeitet bei Sony, und seine Firma brauche jede Kraft, jetzt, da der Strom rationiert würde.

Über den Grund dafür, die Katastrophe in Japan, wird im japanisch-deutschen Zentrum nicht gesprochen. Auch im Grußwort, das Eiko Kadono geschickt hat, heißt es nur, dass es gerade in "solchen Zeiten" wichtig sei, über Jugendliteratur zu sprechen.

Das wird es auch an diesem Abend, diszipliniert, in einer etwas zurückhaltenderen Stimmung als sie es vielleicht noch vor zehn Tagen gewesen wäre. Aber hier soll es um künstlerische Arbeit gehen. Alles hat seine Zeit.

Dabei haben Kunst und Kultur in Japan immer wieder die Folgen von Atombomben und Atomkraft aufgegriffen, auch Kinder- und Jugendliteratur. Godzilla zum Beispiel, die berühmteste und schrecklichste Figur der japanischen Popkultur, ist ein atomares Monster mit nuklearem Atem, das Häuser, Natur und Menschen zerstört. Der Filmemacher Akira Kurosawa verfilmte 1990 in einer Serie seine Träume, ein Teil, „Fujiyama in Rot“, bebildert eine Atomkatastrophe.

In seinem Manga "Barfuß durch Hiroshima" lässt der Zeichner Keiji Nakazawa einen sechsjährigen Jungen nach dem Abwurf der Atombombe mit seiner schwangeren Mutter durch die zerstörte Umgebung irren. Der Zeichner Katsuhiro Otomo entwirft im Manga "Akira" eine Vision des dritten Weltkriegs. Und der Manga "Tokyo Inferno" von Usamaru Furuga führte 2006 vor, was passiert, wenn wenn die Stadt von einem Erdbeben der Stärke 8,1 auf der Richterskala heimgesucht wird.

Auf dem Podium wird davon nicht gesprochen. Mangas, die von Katastrophen erzählen? Viele seien nicht bekannt. Sie lächeln. Erst später, nach der Veranstaltung, erwähnt der Kritiker Akira Nogami diese Tradition der Mangas.

Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?, fragt ein Teenagermädchen am Schluss die Kinderbuch-Autorin, die noch auf dem Podium sitzt. Es sei immer etwas, das ihr im Alltag begegne, antwortet Hiroko Reijo, etwas nicht Fassbares. "Wenn es im Kopf nachklingt", sagt sie, dann bekäme bei einer Meditation dieses Unfassbare Gestalt. Für dieses Unfassbare gibt es im Japanischen einen Begriff: "Moya moya."

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