Mangelhafte Aufklärung: Desinteresse am Todesfall

Trotz Ungereimtheiten werden die Umstände, die zum Tod eines Eritreers im Bürgerpark führten, nicht aufgeklärt, weil es ein Suizid gewesen sein soll

Bürgerpark in Bremen

Hier starb Kahsay Mekonen aus Eritrea: Bürgerpark in Bremen Foto: Carmen Jaspersen/dpa

BREMEN taz | Im Januar 2014 fanden zwei Jogger im Bürgerpark an einem Baum die Leiche eines Mannes aus Eritrea: Kahsay Mekonen, geboren 1966, lebte seit September 2013 in den Niederlanden, ihm wurde dort Asyl gewährt.

Was bewegte ihn, im Dezember desselben Jahres nach Deutschland zu reisen, zunächst nach Berlin, dann über Braunschweig und Hannover nach Bremen? Und was geschah dort mit ihm? Brachte er sich wirklich selbst um?

Für alles andere, für Mord oder Totschlag, gebe es keine Anzeichen. So sieht es die Bremer Staatsanwaltschaft. Und dieser Einschätzung folgt der Bremer Senat, der vergangene Woche eine Anfrage der Linken zu dem Fall beantwortete. „Für ein Fremdverschulden gibt es weiterhin keine Anhaltspunkte“, steht an mehreren Stellen in dem Schreiben.

Daher, so heißt es weiter, habe es nie einen Anlass gegeben, die Hintergründe des Falls weiter zu erhellen: Was Mekonen in Deutschland wollte, mit wem er vor seinem Tod telefoniert hatte und ob er tatsächlich in seiner Unterkunft von zwei Männern mit dem Tode bedroht worden war, wie es ein Freund der holländischen Polizei erzählt hatte. Fall geschlossen, Akte zu.

Auch in Holland, so fürchtet Mekonens Anwältin in Utrecht, Leonie Sinoo, wird niemand versuchen, die Umstände seines Todes aufzuklären. Zwar hat sich das Parlament dort mit dem Fall befasst, aber ob dies wirklich zu Ermittlungen führen wird – da ist sie skeptisch. „Es hat sich hier nie jemand dafür interessiert“, erzählt sie am Telefon. Das begann damit, dass ein Freund von Mekonen die beiden Männer anzeigte, von denen der bedroht worden war – die Polizei tat nichts, sagt seine Anwältin. Auch als der Freund, ein Priester, Mekonen als vermisst meldete, weil er nicht wie verabredet Weihnachten 2013 zu ihm gekommen war, rührte sich die Polizei nicht. Und sie sah auch keinen Anlass, sich mit ihren Informationen bei der Bremer Polizei zu melden, als Mekonen tot aufgefunden worden war. „Das habe ich gemacht“, sagt Leonie Sinoo, die Anwältin.

„Atypisch“ erhängt

Am 13. Januar 2014 bekam sie eine Antwort der Bremer Polizei auf ihre Mail vom 10. Januar. Die Leiche Mekonens wurde daraufhin obduziert. Nach Darstellung des Senats passten die Obduktionsergebnisse zu der Vermutung, Mekonen habe sich „atypisch“ erhängt, sich nach vorn in einen Textilgürtel gelehnt.

Reste dieses Gürtels fand eine Radio-Bremen-Reporterin, die den Tatort ein Dreivierteljahr mit zwei niederländischen JournalistInnen besuchte. Leonie Sinoo hatte sich an diese gewandt, weil sie – berechtigt, wie sich herausstellte – hoffte, diese würden mehr herausfinden. Als die JournalistInnen vor laufender Kamera den Gürtelrest dem Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft zeigte, war dieser sichtlich überrascht und unangenehm berührt. „Innerhalb der Polizei ist bereits eine kritische Nachbereitung erfolgt“, schreibt der Senat zu dem Thema.

Zweifel an der Sorgfalt

Die Sache mit dem Gürtel ist einer der beiden Punkte, die die Fraktion der Linken dazu gebracht hat, noch einmal beim Senat nachzufragen. Der andere ist die Tatsache, dass die Obduktion erst zwei Wochen später stattfand – und das auch nur, weil sich die niederländische Anwältin gemeldet hatte. Und das trotz der ungewöhnlichen Haltung, in der die Leiche gefunden worden war. „Ich schließe nicht aus, dass es ein Suizid gewesen ist“, sagt dazu Kristina Vogt, Fraktionschefin der Linken, „aber ich habe große Zweifel, dass sorgfältig ermittelt wurde.“

Besorgniserregend finde sie außerdem, wie schlecht die deutschem und niederländischen Behörden zusammengearbeitet haben. „Die Niederländer sagen, wir hätten ermittelt, wenn wir das von den Deutschen gewusst hätten, und die sagen, wir hatten die Erkenntnisse der Niederländer nicht.“

Mekonens Anwältin Sinoo vermutet, dass jemand gewusst habe, dass der grenzüberschreitende Informationsfluss nicht gut läuft. Und dass auch der Zeitpunkt um Weihnachten, wenn Behörden nicht optimal besetzt sind, kein Zufall ist. Für einen geplanten Suizid – in einem völlig fremden Land – habe es keine Anzeichen gegeben, erinnert sie sich. Zudem habe er gehofft, seine Frau und seine drei Kinder nachholen zu können.

Frische Einstichwunden

Aber selbst wenn die Annahme der Bremer Staatsanwaltschaft stimmt, könnte es ein Interesse geben, den Fall aufzuklären. Denn das Reporterteam fand bei Mekonen einen Rucksack, den Menschen- und Organhändler verteilen. Und er hatte eine frische Einstichwunde, vermutlich von einer Blutabnahme.

Wozu wurde ihm Blut abgenommen? Mit wem stand er in Handykontakt? Hatte er Geld auf sein Konto überwiesen bekommen? Von wem? Wer hatte sein Zugticket bezahlt? Diese Fragen stellte die Fraktion der Linken. Und bekam zur Antwort, dass es keinen Anlass gegeben habe, sich damit weiter zu beschäftigen.

Leonie Sinoo hat ihre Informationen auch weitergegeben an das dem Justizministerium unterstellte niederländische Expertisezentrum für Menschenhandel. „Das hat die nicht interessiert.“

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