Mannheimer Messerattacke: Lebenslang für Polizistenmord
Ein Richter spricht Suleiman A. für den Mord an einem Polizisten in Mannheim schuldig. Und er ermahnt die Überlebenden.

Lebenslange Haft und eine besondere Schwere der Schuld: Das Urteil gegen Sulaiman A. ist keine Überraschung. Die Bilder von seiner Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz, bei der der Polizist Rouven Laur starb, kursierten im Netz, die Tat und seine Motive als Islamist hatte der Angeklagte im Prozess gestanden.
Trotzdem nimmt sich die Strafkammer des Stuttgarter Oberlandesgerichts fast drei Stunden Zeit, ihr Urteil – es lautet Mord und vierfacher Mordversuch – zu begründen. Der Vorsitzende Richter Herbert Anderer will deutlich machen, dass A.s Tat ein Angriff auf den freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat war. Er richtet sich mit seiner Begründung nicht nur an den Angeklagten, sondern auch an den damals schwer verletzen extrem rechten Michael Stürzenberger und die Anhänger von Pax Europa (BPE). Er und seine drei Mitstreiter nahmen als Nebenkläger am insgesamt 36 Tage dauernden Prozess teil.
„Wir hätten uns gewünscht, dass in den Schlussvorträgen der Nebenkläger nicht nur die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes vorkommt“, erklärt Anderer, sondern auch die Religionsfreiheit. Rouven Laur habe „alle Artikel des Grundgesetzes geschützt“. Auch betont der Vorsitzende Richter, Laur habe Arabisch gelernt, „wohl nicht, um arabische Menschen aus dem Land zu vertreiben, sondern um mit ihnen ins Gespräch zu kommen“.
Am 31. Mai 2024 hatte der angeklagte Sulaiman A. auf dem Mannheimer Marktplatz eine Kundgebung der rechtsextremen und islamfeindlichen BPE angegriffen und verletzte dabei sechs Menschen mit einem Jagdmesser, darunter Rouven Laur tödlich. Ziel war der Hauptredner und die Galionsfigur von Pax Europa, Michael Stürzenberger. Weitere Teilnehmer wurden verwundet. Die Tat dauerte nur wenige Sekunden. A. wurde von der Polizei letztlich mit einem Schuss gestoppt und lag Tage im Koma. Das Gericht ist sich sicher, er habe bei seiner Tat selbst sterben und so zum Märtyrer werden wollen.
Er war gut integriert
Das Gericht zeichnete im Prozess die Radikalisierung Sulaimans A.s nach, der 2013 als alleinreisender Geflüchteter unter falschen Angaben nach Deutschland kam, sich gut integrierte und motiviert Deutsch lernte. Trotz Heirat, zwei Kindern und dem Beginn des Abendgymnasiums radikalisierte er sich über soziale Medien. Sulaiman A. hatte nach den Aussagen des psychiatrischen Gutachters ein „narzisstisches Streben nach Größe“ getrieben. Nachdem er beruflich immer wieder gescheitert war, habe er auf seine verfestigte religiösen Fanatismus zurückgegriffen. Er begann „die Gesellschaft, die ihn aufnimmt“, wie Richter Anderer sagt, zu verachten. Selbst die Taliban sind ihm zu lasch, weil sie Verträge mit den Amerikanern machen.
Vor Gericht sagt Sulaiman A., die Geschehnisse im Gazakrieg hätten ihn radikalisiert. Das Gericht weist nach, dass seine Radikalisierung früher stattfand. Ein Prediger, dessen Identität bis heute nicht geklärt ist, motivierte ihn schließlich, sogenannte Ungläubige zu töten.
Sulaiman A. plante seine Tat akribisch, bestellte zwei Messer und eine Präzisionsschleuder, tauschte sein Handy aus und stutzte nach Art der Dschihadisten seinen Bart und seine Haare. Das Gericht ist davon überzeugt, dass A. entschlossen war, nicht nur Stürzenberger zu töten, sondern auch seine Unterstützer und eben auch Polizisten, die er als Beschützer Stürzenberger angesehen habe und als Repräsentanten eines von ihm abgelehnten demokratischen Systems.
Dem Verurteilten droht die Abschiebung
Neben der lebenslangen Haft stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Entlassung unmöglich macht. Die Nebenklagevertreter hatten eine zusätzliche Sicherungsverwahrung verlangt, die das Gericht nicht aussprach. Richter Anderer betont, dass die Sicherungsverwahrung nicht Teil der Strafe ist und dass A. als verurteilter Mörder ohnehin nur freikommt, wenn er nicht mehr gefährlich sein sollte.
Trotz des detailliert und auch einfühlsam dargelegten Urteils durch die Strafkammer ist es unwahrscheinlich, dass Sulaiman A. seine Strafe in Deutschland absitzt. Nach dem heutigen Stand dürfte er eher, wenn das Urteil rechtskräftig ist, nach Afghanistan abgeschoben werden. Im Juli wurden Straftäter nach Afghanistan ausgeflogen.
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