Marketingexperte über Tourismus in Südtirol: „Es herrscht große Sorge“

Kein Tourismus wegen Corona: Die Familienbetriebe im Südtiroler Hotelgewerbe stehen vor großen Herausforderungen, sagt Erwin Hinteregger.

Wanderer vor Bergen

Einsam auf der Seiser Alm Foto: Paul Langrock

taz am wochenende: Seit Wochen hält Covid-19 Südtirol in Atem. Welche Auswirkungen hat das Virus auf den Tourismus im Land?

Erwin Hinteregger: Das Coronavirus hat ein verheerendes Ausmaß angenommen. Es sind alle wirtschaftlichen Sektoren betroffen, aber der Tourismus mit Sicherheit am meisten. Zum Schutz aller haben wir mit den Tourismusorganisationen frühzeitig, noch bevor die restriktiven Maßnahmen der italienischen Regierung angekündigt wurden, die gemeinsame Entscheidung getroffen, alle Skigebiete und Beherbergungsbetriebe Südtirols zu schließen. Obwohl die Saison noch nicht zu Ende war. Es ist schön, dass alle an einem Strang ziehen. Aber bricht der Tourismus im Land weg, ist das eine Katastrophe.

Was wäre unter normalen Umständen jetzt los im Land?

Was in Südtirol einzigartig ist im Vergleich zu Urlaubsgebieten nördlich der Alpen: Wir haben top Bedingungen. Aktuell sind die Schneeverhältnisse sehr gut, parallel dazu waren in dieser Woche schon 20 Grad im Meraner Raum angekündigt. Die Frühjahrssaison könnte starten, viele Betriebe waren bereits ausgebucht, und die Wintersaison wäre sicherlich noch bis in den April gegangen. Das ist ein doppelter Schlag. Letztes Jahr hatten wir im März etwa 500.000 Ankünfte, dieses Jahr ist Südtirol seit 10 Tagen geschlossen. Die Schulden und Investitionen bleiben natürlich.

Das heißt, der finanzielle Schaden wird gewaltig sein?

Sicherlich. Auch wenn man es noch nicht genau einschätzen kann. Ich frage mich: Dauert es noch Wochen, bis wir wieder in die Normalität zurückkehren können? Oder Monate? Diese Unsicherheit wird erst mal bleiben und das ist schwer zu ertragen.

Wie gehen die Hoteliers mit diesem Schlag um?

Es herrscht große Sorge. Jeder steht nun vor massiven Herausforderungen. In nur wenigen Wochen ist die Welt komplett umgekippt. Wir haben schon einige Naturkatastrophen erlebt. Gerade letztes Jahr gab es einen großen Sturm, der am Karersee viel verwüstet hat. Aber dass so was wie das Coronavirus kommt, hat sich keiner vorgestellt. Jeder muss sich zurzeit tagtäglich neu auf das Thema einstellen. Hinzu kommt eine große Ungewissheit bezüglich der Mitarbeiter, die man nicht mehr lang – oder gar nicht – einstellen kann. Die fragen sich auch, wie sie weitermachen sollen. Wann der Betrieb wieder öffnen kann. Wie lange es dauert, bis man wieder stabil ist.

ist CEO von IDM Südtirol. Das Unternehmen ist zuständig für die gesamte Vermarktung der Marke Südtirol sowie seiner lokalen Qualitätsprodukte. Auf lokaler Ebene arbeitet es mit den Tourismusvereinen der Gemeinden zusammen.

In Südtirol gibt es große, aber auch kleine familiengeführte Pensionen. Wer leidet am meisten unter der Krise?

Im Endeffekt leiden alle gleich. Denn es geht auch um die eigene Gesundheit und die der Familien und Mitarbeiter. Viele Betriebe haben Schulden auf sich genommen, um den Betrieb umzubauen. Wenn es monatelang keine Einkünfte gibt, bedeutet das nicht nur großen Stress für den Betrieb, sondern auch für die Familien. Wir sind sehr kleinteilig strukturiert, bestehen fast ausschließlich aus Familienbetrieben. Das hat Vorteile. Doch in dieser Situation ist es schwer, wenn kleine Pensionen keine Liquidität aufweisen. Für sie ist es auch emotional belastend.

Trifft die Krise ein Land, in dem Tourismus der Wirtschaftsmotor ist, heftiger als andere?

In Europa haben die Länder gesamtwirtschaftlich sicherlich alle Einbußen. Doch wenn in Südtirol der Tourismus wegbricht, hätte das katastrophale Ausmaße. Auch, weil er mit der Landwirtschaft und dem Handel verzahnt ist. Wir haben die Südtiroler Äpfel, den Wein, den Speck, lokale Milchprodukte und viele, die Urlaub auf dem Bauernhof anbieten. Das alles leidet mit. Es ist wie ein Dominoeffekt, in dem alle im gleichen System stecken.

IDM ist unter anderem für das Marketing Südtirols verantwortlich. Welche Pläne haben Sie, um die Tourismusbranche wieder anzukurbeln?

Es braucht auf jeden Fall ein wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm. Wir arbeiten an verschiedenen Programmen, um gerüstet zu sein, sobald die Krise vorbei ist. Zum Beispiel unsere lokalen Landwirtschaftsprodukte weiterhin liefern zu können sowie sicherzustellen, dass unsere Kleinbetriebe finanziell liquide und in der Lage sind, einen Tag nach der Krise wieder zu öffnen. Wir bleiben ständig in Kontakt mit touristischen Partnern im Ausland. Und vor allem mit dem Gast, der in Südtirol sehr loyal ist und unser Land wie seine zweite Heimat sieht. Das klassische Marketing haben wir zurzeit aber aufs Minimale heruntergefahren.

Südtirol hat durchaus seine Probleme – Stichwort Overtourism. Kann aus dieser Notsituation eine Chance entstehen?

Ich glaube, diese Krise wird uns alle verändern. Man sieht auf einmal, wie labil die Welt ist, wie schnell sich so eine Krankheit ausbreitet. Schon vorher hatten wir uns zum Ziel gesetzt, Südtirol zum beliebtesten nachhaltigen Lebensraum zu machen. Uns ist es wichtig, sozial, ökonomisch und ökologisch im Gleichgewicht zu sein. Da gibt es gewiss einige Herausforderungen, so auch die Tatsache, dass einige Hotspots zu Stoßzeiten im Jahr überlaufen sind. Daran arbeiten wir, denn wir wollen unsere Zukunft selbst gestalten können.

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