Martin Schulz wirbt in NRW für die GroKo: Der Kampf geht weiter

Montag in Dortmund, Dienstag in Düsseldorf: Schulz versucht, die Genossen in NRW von der GroKo zu überzeugen. Das klappt nicht überall.

Ein Mann in Anzug setzt sich auf einen Stuhl und zeigt nach unten

Schulz – ganz allein auf GroKo-Kurs? Foto: dpa

DORTMUND taz | SPD-Chef Martin Schulz wirkt genervt, vielleicht auch bedrückt, als er am Montagabend um kurz vor sechs in das Kongresszentrum der Dortmunder Westfalenhallen eilt. Nur wenige Meter vom Eingang abgedrängt, steht eine Handvoll Rechtsextremer, die den Parteivorsitzenden lautstark als „Volksverräter“ beschimpft, in der Halle warten die Delegierten der Regionen Westliches Westfalen und Ostwestfalen-Lippe für den Bundesparteitag am kommenden Sonntag in Bonn.

Die will Schulz von den Vorteilen einer neuen Großen Koalition überzeugen – doch die Vertreter des Partei-Mittelbaus bleiben skeptisch.

Schon seit einer Stunde interviewen JournalistInnen die Delegierten vor Dutzenden aufgebauten Kameras. Was sie zu hören bekommen, ist vor allem Kritik: „Beim ausgehandelten Sondierungspapier vermisse ich die sozialdemokratische Handschrift“, sagt etwa Marcel Franzmann aus Höxter. Die „Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich“ sei in den grundlegenden Gesprächen mit CDU und CSU nicht ausreichend Thema gewesen, findet der 34-Jährige. Beim Parteitag in Bonn werde er deshalb gegen die GroKo stimmen: „Dazu habe ich auch die Unterstützung meiner Basis“, sagt der stellvertretende Kreisvorsitzende.

Massiver Widerstand gegen ein neues Bündnis unter Kanzlerin Merkel kommt auch aus Dortmund selbst: „Die BürgerInnen haben die GroKo abgestraft“, sagt Dortmunds stellvertretender SPD-Vorsitzender Jens Peik – „und unsere Basis will auch kein weiter so.“ Noch regiert die Partei in der einstigen „Herzkammer der Sozialdemokratie“ – doch die GenossInnen hier fürchten, dass ausgerechnet die AfD soziale Themen besetzen und wie in anderen Teilen des Ruhrgebiets Wahlergebnisse von 15 Prozent und mehr einfahren könnte: In Duisburg etwa entschieden sich bei der Bundestagswahl im Stimmbezirk Obermarxloh unfassbare 30,4 Prozent für die Rechtspopulisten.

Liste von Erfolgen im Gepäck

„Wir dürfen der AfD nicht die Oppositionsführerschaft im Bundestag überlassen“, sagt Peik deshalb. Auch der Dortmunder Landtagsabgeordnete Volkan Baran warnt vor der GroKo: „Mit der CDU sind alle Gemeinsamkeiten aufgebraucht“, meint er – das von Schulz ausgehandelte Sondierungspapier findet er „ideenlos“.

Die Gelsenkirchener Landtagsabgeordnete Heike Gebhard fürchtet dagegen, CDU und CSU könnten ihre Partei vorführen wollen. „Ungeheuerlich“ sei der Spruch des CSU-Landesgruppenchefs im Bundestag, Alexander Dobrindt, der den SPD-internen Widerstand gegen eine neue GroKo einen „Zwergenaufstand“ genannt hat. Ähnlich argumentiert auch Matthias Glomb – der stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos muss dazu nur an den „Vertrauensbruch“ bei der weiteren Zulassung des wahrscheinlich krebserregenden Pestizids Glyphosat durch CSU-Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt erinnern.

Doch der SPD-Parteichef will kämpfen, die GenossInnen überzeugen. Er erwarte eine „spannende Diskussion“ über die „sehr intensive und erfolgreiche Sondierung“ mit der Union. Daraus habe die Parteiführung „eine große Liste von Erfolgen“ mitgebracht, wirbt Schulz. Zur Unterstützung eingerahmt von Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles, dem nordrhein-westfälischen SPD-Landesvorsitzenden Michael Groschek und dessen Generalsekretärin Svenja Schulze, nennt er die vereinbarten 8.000 neuen Pflegekräfte, die eine neue schwarz-rote Regierung einstellen wolle, und eine verbesserte Ganztagsbetreuung, die gerade für Alleinerziehende wichtig sei.

Rhein und Ruhr entscheiden

Auf der Habenseite verbucht Schulz auch die gleichmäßige Verteilung der Kosten der Krankenversicherung auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie das Ende der Kapital-Abgeltungssteuer von nur 25 Prozent. Dass es die Regierung des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder war, die Arbeitnehmer in der Krankenversicherung stärker belastete, dass die Abgeltungssteuer von SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück eingeführt wurde, sagt Schulz dagegen nicht. Vonseiten der Delegierten schlägt ihm trotzdem Misstrauen entgegen: Als er den „Silbersaal“ der Westfalenhallen betritt, um hinter verschlossenen Türen weiter zu reden, hebt sich keine Hand zum Applaus.

Dabei geht der Kampf für Schulz weiter: Am Dienstagabend steht ein weiteres Treffen mit Parteitagsdelegierten in seinem Terminkalender, diesmal mit den rheinischen Genossen in Düsseldorf. Auch dort dürfte der SPD-Chef, der selbst aus Aachen kommt und dessen rheinischer Akzent unüberhörbar ist, auf Widerstand stoßen: „Es müsste schon noch etwas Sensationelles passieren, um mich von einer Fortsetzung der GroKo begeistern zu können“, so der aus der SPD-Region Niederrhein stammende Landtagsfraktionsvize und ehemalige NRW-Justizminister Thomas Kutschaty bereits im Kölner Stadtanzeiger.

Doch auf NRW kann Schulz nicht verzichten – der mit noch immer 110.000 GenossInnen größte Landesverband stellt beim Bundesparteitag 144 der 600 Delegierten. Dass sich nach der SPD in Sachsen-Anhalt auch der Landesvorstand der Berliner Sozialdemokraten mit 21 zu 8 Stimmen gegen eine neue GroKo ausgesprochen hat, kann Schulz verschmerzen: Berlin stellt nur 23, Sachsen-Anhalt gerade einmal sechs Delegierte. Brandenburgs SPD-Landesverband stimmte mit 9 zu 2 Stimmen für die Koalitionsverhandlungen. Über die GroKo – und damit die Zukunft von Parteichef Schulz – wird letztlich aber an Rhein und Ruhr entschieden. Und da signalisieren immer mehr GenossInnen Ablehnung.

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