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Massenentlassung bei LieferandoAusgeliefert

Der Lieferdienst entlässt alle Kuriere in Hamburg. Viele stehen vor dem beruflichen Aus oder müssen bei einer Schattenflotte anheuern.

Würde gerne zu anständigen Konditionen weiterbeschäftigt werden: Lieferando-Rider Foto: Christoph Soeder/dpa

Hamburg taz | Die Fah­re­r:in­nen des Lieferdienstes Lieferando wehren sich gegen ihre Entlassung. Für Freitag hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gasststätten (NGG) deshalb um 18 Uhr in Hamburg zu einer Demonstration aufgerufen, die ausdrücklich politischer Natur sein soll und kein Streik ist. Erwartet werden 300 bis 500 Teilnehmende. Die NGG hofft, dass sich auch Po­li­ti­ke­r:in­nen beteiligen. Losgehen soll es am Gewerkschaftshaus im Besenbinderhof.

Bereits Mitte Juli hatten die sogenannten Ri­de­r:in­nen für einen Tarifvertrag und gegen den drohenden Aufbau einer Schattenflotte demonstriert. Sie wollten verhindern, dass die Liefer-Fahrer:innen von Subunternehmen und nicht von Lieferando direkt beschäftigt werden – und zwar zu viel schlechteren Konditionen. Doch der Streik lief ins Leere. Vor zwei Wochen kündigte Lieferando an, mehr als 2.000 Stellen abzubauen. Das betrifft alle Angestellten in Hamburg.

Einer von ihnen ist Issam Safouni. Der 41-Jährige ist seit 2019 in Vollzeit als Rider bei Lieferando angestellt. Er war geschockt, als er die Nachricht vom Stellenabbau las. Auch wenn er schon länger nicht mehr mit seinen Arbeitsverhältnissen zufrieden war. Zu Beginn seiner Tätigkeit hatte ihm der Job noch Spaß gemacht. Neben seinem regulären Gehalt hatte er immer einen Bonus bekommen, der die Ri­de­r:in­nen für die Auslieferung von möglichst vielen Bestellungen im jeweiligen Monat belohnt.

Nur: Über die Jahre sei es aber immer schwieriger geworden, mit den Boni die Bezahlung aufzubessern, sagt Safouni. Denn statt kurzen Routen in nahegelegenen Regionen wurden ihm vermehrt Strecken zugewiesen, die ihn quer durchs ganze Hamburger Stadtgebiet schickten.

Rider im Schwebezustand

Jetzt im Juli hat er zum Beispiel um die 200 Bestellungen ausgeliefert. Früher fuhr er regelmäßig um die 400 Aufträge im Monat. Dementsprechend fallen die Boni sehr viel geringer aus. Er berichtet von Einbußen von um die 500 Euro bei ihm und seinem Kolleg:innen.

Durch die angekündigte Entlassung steht der 2015 aus Syrien gekommene dreifache Familienvater nun vor einer ungewissen Zukunft. Wann er endgültig arbeitslos wird, weiß er auch noch nicht, da die Entlassungen zwar angekündigt, aber noch nicht vollzogen worden sind. Deshalb kann sich Safouni auch nicht auf neue Stellen bewerben. Er hofft auf eine ausreichende Abfindung, die als Teil des von Lieferando angekündigten Sozialplanes noch ausgehandelt werden muss.

Der Hamburger Betriebsrat lässt sich in der Sache zusammen mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) erst einmal beraten und will dann in die Verhandlungen gehen. Dabei sollen gute Konditionen für die Ar­beit­neh­me­r:in­nen ausgehandelt und die Entlassungen möglichst lang hinausgezögert werden, sagt der Betriebsratsvorsitzende Andreas Schuchard.

Lieferando will nach dem Stellenabbau vermehrt auf sogenannte Flottendienstpartner wie Fleetlery setzen, um die „eigene Agilität und Effizienz auf dem wachsenden Markt zu steigern“, wie es ein Lieferando-Sprecher ausdrückt. Zwar fahren in Hamburg dann weiterhin Kuriere im Auftrag von Lieferando Essen aus, diese sind dann aber bei anderen Unternehmen angestellt.

Laut Schuchard betreiben diese ein undurchschaubares Netz von weiteren Subunternehmen, in denen Schwarzarbeit und Verstöße gegen das Mindestlohngesetz an der Tagesordnung sein sollen. Dabei sollen gezielt Menschen mit Migrationshintergrund angeworben werden und als Scheinselbstständige für Dienstleister wie Lieferando Essen ausliefern, so Schuchard. Die entsprechenden Betriebe bereiteten sich bereits darauf vor, Kontrollen durch den Zoll und die Polizei zu umgehen.

Es kann nicht sein, dass die Politik bei solchen Arbeitsbedingungen zuschaut

Andreas Schuchard, Vorsitzender des Lieferando-Betriebsrats in Hamburg

Um solche Missstände zu unterbinden, wurde bereits im Oktober 2024 eine EU-Richtlinie verabschiedet, die die Arbeitsverhältnisse auf Plattformebene, das heißt bei den Internetdienstleistern, verbessern soll. Allerdings lässt sich die Bundesregierung mit der Umsetzung in Deutschland ordentlich Zeit. Bis heute hat sich in der Sache nichts getan und eine Ankündigung, wann es so weit sein wird, gibt es auch noch nicht. „Es kann nicht sein, dass die Politik bei solchen Arbeitsbedingungen zuschaut“, sagt Schuchard.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales arbeitet nach eigenen Angaben an einem entsprechendem Gesetz. Wann es denn fertig sein wird, konnte ein Ministeriumssprecher auf taz-Nachfrage nicht sagen. Kurioserweise hat Lieferando selbst die Bundesregierung bereits im Winter 2023 dazu aufgerufen, die Richtlinie auf Europaebene zu unterstützen.

Lange Zeit brüstete sich der Lieferdienst mit der Behauptung, dass er seinen Angestellten mit einer Direktanstellung und Vertretung durch Betriebsräte in der Branche einzigartige Konditionen biete – und das auch zurecht. Nun aber werden diese Prinzipien über Bord geworfen und Lieferando passt sich der Praxis von Wolt, Uber Eats & Co an. Wenn die Bundesregierung die EU-Richtlinie schon früher umgesetzt hätte, wäre Lieferandos Konkurrenz vielleicht gezwungen gewesen, sich Lieferandos Standards anzupassen und nicht umgekehrt.

Für Issam Safouni ist es keine Option, für Fleetlery oder dergleichen zu arbeiten. Er muss sich neu also orientieren – ein Job mit Konditionen, wie sie bis zuletzt bei Lieferando galten, ist in der Branche nicht einfach zu finden. Viele seiner Kol­le­g:in­nen sprechen noch nicht mal richtig Deutsch, was die Jobsuche schwer macht. Safouni hat in Deutschland vor seiner Tätigkeit als Rider keinen anderen Beruf ausgeübt. Die Suche nach einer neuen Anstellung dürfte daher auch für ihn schwierig werden.

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9 Kommentare

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  • Kapitalismus

  • Es könne nicht sein, dass "die Politik" bei solchen Arbeitsbedingungen zuschaut (gemeint sind eigentlich Geschäftsmodelle ... - aber dafür ist eine Gewerkschaft nicht zuständig) ?



    Ist aber leider so. Und wie schauen die Besteller den Kurieren zu - oder in die Augen?

    Nebenbei: Spannend erwartet: Tariftreuegesetz.

  • Bei Lieferando bekommt man als FahrerIn einen Grundlohn von 12,82 € pro Stunde. Dazu die Boni, die nicht so gering sein können, wenn jetzt in diesem Bereich einige "Einbußen von um die 500 Euro" haben können.



    Klar ist mehr Lohn besser, aber man muss auch realistisch sehen: Hier wird man fürs Fahrrad fahren bezahlt.

  • Sub-Firmen heißt ja weniger Durchgriff und Qualitätskontrolle, mehr Geld an Dritte.



    Das macht man also nur, wenn die eigenen Ressourcen nicht hinreichen ... oder aber eben, um sich die Hände in Unschuld zu waschen, wenn jene eigentlich tiefdreckig sind.

    • @Janix:

      Sie haben eine Alternative unterschlagen. Unternehmen setzen auf Subunternehmer, um die eigene Flexibilität zu erhöhen. Festangestellte werden immer bezahlt, auch für die Zeit, in der es nichts oder nicht genug zu tun gibt. Im vergangenen Geschäftsjahr hat Liferando ein Minus von 7 Prozent bei den Bestellungen eingefahren. Wenn die sog. "Schwarmintelligenz" für ihr Essen weiterhin die "günstigere" Alternative wie Uber oder Wolt vorzieht, könnte es bald eng für Liferando werden.



      Hätte der Staat hier seinen Job gemacht und wäre rechtzeitig europarechtskonform regelnd eingeschritten, dann hätte man das Problem vielleicht entschärfen können. Aber der Staat scheint im Augenblick Tariftreue und faire Arbeitsbedingungen als Hindernis für ein Wachstum zu begreifen (und das war bei der vorigen Regierung nicht besser!) und lässt den Markt regeln, was er unter diesen (unterschiedlichen) Bedingungen gar nicht alleine regeln kann.



      Who is to blame? Diese Frage sollte vielleicht eher im Vordergrund stehen...

      • @Cerberus:

        Danke für die Ergänzung.



        Wer trägt die Flexibilität der Arbeitskraft? Wo werden die sonst ausgelastet? Wenn ich das näher wüsste. Sonst müsste dies eigentlich indirekt doch wieder vom Ober-Unternehmenr getragen werden.

        • @Janix:

          Die Arbeitskraft sollte mit der Flexibilität nichts zu tun haben (im Idealfall). Es geht um unterschiedliche Strukturen in Unternehmen, die im besten Fall voneinander profitieren ohne, dass Verluste entstehen.



          Ein gutes Beispiel ist die Umstrukturierung der Post. Früher hatte sie eigene Filialen mit unzähligen Mitarbeitern. Dennoch musste der Kunde oft mehrere Kilometer zurücklegen und beamtentypische Zeiten einhalten (9-16 Uhr), um ein nicht zustellbares Paket persönlich abzuholen. Das war extrem teuer und trotzdem wenig kundenfreundlich. Die Kioske (oder andernorts Späti's genannt) hatten nach Öffnung der Ladenschlusszeiten das Problem, mit Supermärkten auch noch in den Abendstunden zu konkurrieren und dadurch eine geringere Auslastung zu haben. Sie Synergien lagen auf der Hand und so wurde den Kioskbetreibern angeboten, Postfilialen (auch in den Abendstunden) zu betreiben. Dies ist das Beispiel einer win-win-Situation, wie sie die Beteiligten erhoffen.



          Es bleibt allerdings im Falle Liferando die Frage, wie ein Subunternehmer tatsächlich profitieren soll. Er müsste schon mehrere Auftraggeber vereinen, um Geld zu verdienen und faire Löhne bezahlen zu können. Unwahrscheinlich...

  • "Es kann nicht sein, dass die Politik bei solchen Arbeitsbedingungen zuschaut"



    Das stimmt.



    Aber die Politik schaut ja auch gar nicht zu: Die mischen da mit !



    Und wie !

    Deutschland ist im Korruptionsindex seit 2021 um fünf Plätze gefallen. Wie das wohl kommt ?

    de.wikipedia.org/w...swahrnehmungsindex

  • Vielleicht bei der Post anheuern? Die suchen doch ständig und das Gehalt ist gar nicht so übel.