Matthew Partridge über 25 Jahre Hamburger Westwerk: "Keiner hat sich für uns interessiert"

Das Hamburger Künstlerhaus Westwerk, eine Art Vorläufer des Gängeviertels, hat vor 25 Jahren den Abriss eines historischen Gebäude-Ensembles verhindert und zu einem Ort der Kultur gemacht. Ein Gespräch anlässlich des Jubiläums über die Chancen und Mühen der Selbstverwaltung und eine Zeit, in der die Kunst von den Vereinnahmungen der Stadtentwickler weit entfernt war.

So gings los, nun feiert das Westwerk seinen 25. Geburtstag. Bild: Westwerk

taz: Herr Partridge, was ist die Idee des Westwerks?

Matthew Partridge: Wir haben immer einen Ort erhalten wollen, gerade mitten in der Stadt, wo Künstler aus den verschiedensten Bereichen zusammenkommen und ihre Arbeit präsentieren können. Alles ohne Manifestgedanken.

Viele von Ihnen leben auch hier.

Wohnen und Arbeiten an einem Ort: das war von Anfang an die radikale Idee für uns. Doch es war schwierig zu unterscheiden, wo jetzt eine Arbeit, und wo eine Party anfing, und wo die wieder überging in eine private Beziehung. Ein heißköpfiges Gemenge, Musiker, Studenten, Filmer, Schriftsteller. Wir waren aber nie eine Kommune.

Ist das Westwerk ein Vorläufer des Gängeviertels?

Es gibt starke Ähnlichkeiten, das fing damit an, dass wir diese Häuser hier vor dem Abriss bewahrt haben. Die Stadt wollte die Häuser an einen niederländischen Investor verkaufen, da haben wir, als Mieter, ein Transparent rausgehängt mit dem Schriftzug: "Senat fressen Straße auf". Das war dann in allen Zeitungen. Danach haben wir Partys gemacht, Veranstaltungen, auch eine Single fürs Radio aufgenommen, mit markigen Zitaten Hamburger Politikern über die damalige Abrissmode.

Und damit habt Ihr den Abriss verhindert?

Hinzu kam, dass wir die Investoren von unserem Konzept überzeugt haben. Wir sind nach Rotterdam gefahren, und haben das Westwerk auf der Aktionärsversammlung vorgestellt. Darauf haben die Holländer tatsächlich gesagt: Wir können nicht ein Projekt realisieren, wo sich jetzt ein Haus voller Künstler befindet. Der Hamburger Senat war stinksauer, es ging um viele Millionen, und die waren futsch.

MATTHEW PARTRIDGE 56, geboren in London, lebt seit 1979 in Hamburg. Gründungsmitglied und Vorsitzender des Westwerks. Widmet sich gern der Musik, unter anderem als Schlagzeuger in der Band "The Heffels", und verdient sein Brot als freier Übersetzer im Bereich der Kunst.

Das wäre doch erst Recht ein Grund gewesen, das Haus zu räumen!

Wir haben den Erhalt der Häuser am Ende dann auch dem Antichambrieren zu verdanken. Ein Galerist im Haus hatte einen guten Draht zum Kunstsammler Jockel Waitz, der gute Kontakte zur Politik unterhielt. Waitz konnte die Straße zu einem guten Preis kaufen, hat die Häuser saniert und sich im Gegenzug verpflichtet, zehn Jahre lang die sehr günstigen Mieten nicht anzurühren. Das war unsere Rettung.

Allerdings um den Preis der Privatisierung.

Wir haben ein Denkmal erhalten, und einen Ort für Off-Kunst geschaffen. Aber so bewusst politisch wie das Gängeviertel ihr Projekt auf die Situation der Stadt münzt, das bewundere ich sehr. Das hatten wir hier nicht. Es gab allerdings auch nicht das Umfeld damals. Heute lassen sich die Szenen gar nicht mehr überblicken.

Wie sah es mit den Räumen für Künstler aus?

Die war allerdings ähnlich knapp wie heute. Und es gab überhaupt keine Initiativen von der Stadt wie heute im Hafen. Kunst war aber auch nicht wichtig. Die Off-Szene hat touristisch überhaupt keine Rolle gespielt. Keiner hat sich für uns interessiert.

Ihr seid, was das Gängeviertel werden will: selbstverwaltet. Wie ist das?

Zuerst einmal bringt so ein Modell der Selbstverwaltung ein großes Potenzial für Entfaltung und gestalterische Freiheiten mit sich. Damit geht aber eine ebenso große Verantwortung einher.

Wie sieht diese Verantwortung konkret aus?

Du hast die ganze Arbeit, teilweise auch sehr langwierige. Selbstverwaltung heißt eben nicht nur, mal den Hof fegen und eine Regenrinne streichen. Die Buchhaltung und Finanzen! Und dann die ethischen Probleme: Wie geht man mit Interessenkonflikten um? Wir als Verein vermieten die Wohnung und Ateliers hier, was aber, wenn einige oder gleich mehrere monatelang nicht bezahlen können?

Das gibt es immer. Und das Austarieren der verschiedenen Vorstellungen, wie das Westwerk überhaupt laufen soll, was Kulturarbeit ist, was sich lohnt, ob was gelungen ist. Oder das Engagement. Wie will man durchsetzten, dass alle gleichermaßen mitarbeiten? Das sind Konflikte, für die es keine vorgefertigten Lösungen gibt.

Wie sieht Ihre Lösung aus ?

Ich glaube, dass das Westwerk auf lange Sicht eine andere Form der Organisation braucht. Strukturen, die vielleicht etwas klarer oder, perfider Gedanke, eher hierarchischer sind, die es leichter machen, längerfristige Entscheidungen zu treffen. Eine Geschäftsleitung mit einer oder zwei bezahlten Stellen? Ich weiß es nicht genau - da gehen die Meinungen sehr auseinander!

Warum was ändern, wo es doch 25 Jahre anders und auch gut gelaufen ist?

Das ging alles, weil wir eine Unmenge unbezahlter Arbeit in das Westwerk gesteckt haben. Enthusiasmus und Passion. Aber natürlich kommt irgendwann der Punkt, wo die Kräfte abebben, wo du dir sagst, ich will nicht mehr oder wo auch Jüngere mit frischen Ideen und Kraft rankommen sollten. Viele von uns sind ja schon lange dabei, einige haben Familien, bei anderen ist die eigene Arbeit vorrangig geworden. Hätten wir vom Anfang an gleich so eine Art Rotation der Wohn- und Atelierflächen in das Projekt einbauen sollen, wo niemand länger als, sagen wir, zwei Jahre hier im Haus bleiben darf?

Aber: Wenn das rechtlich möglich gewesen wäre, hätte es auch langfristig so eine tolle Arbeit gezeugt, wie es das Westwerk jetzt seit 25 Jahre macht? Wie kann man so eine Struktur schaffen, dass sie lange anhält aber sich immer verjüngt und auf der Höhe der Zeit bleibt? Ist schon ein bisschen wie die Quadratur der Kulturkreises…

Was sind die positiven Effekte der Kontinuitäten im Westwerk?

Wir haben ein sehr weites Netzwerk. Wenn im Westwerk etwa immer mal wieder so großartige Musiker wie Elliott Sharp oder der Pianist Anthony Coleman aus New York spielen, oder Felix Kubin und andere tolle Künstler aus Hamburg, dann nicht wegen der fantastischen Gage, die wir nicht zahlen, sondern weil diese Musiker mit uns zusammen älter geworden sind und das Westwerk einfach lieben.

Und was ist mit den jungen Leuten?

Die Gefahr, den Anschluss zu verlieren, gibt es immer. Ich glaube aber, dass es uns dennoch gelungen ist, offen zu bleiben für Junges und Neues. In der Kunst auf jeden Fall. Aber auch einer der Musiker, der am Samstag bei uns auflegt, DJ Mingo, ist erst um die 18 Jahre, sehr talentiert, und er findet es hier gut. Wir werden immer wieder von jungen Künstlern und Musikern entdeckt, wovon beide Seiten profitieren.

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