Matthias Brümmer über Werkverträge: „Ausbeutung breitet sich aus“

Fleischindustrie betrügt Beschäftigte selbst um den gesetzlichen Mindestlohn, sagt Gewerkschafter Matthias Brümmer. Ausbeutung mit Werkverträgen müsse ein Ende haben.

Werden oft sogar um den Mindestlohn betrogen: Werkvertragsarbeiter in der Fleischindustrie. Foto: Bernd Thissen/dpa

taz: Herr Brümmer, Klagen über miese Arbeitsbedingungen und Ausbeutung in deutschen Schlachthöfen reißen nicht ab. Wie schlimm ist die Lage?

Matthias Brümmer: Wir beraten täglich Kollegen mit Werkverträgen, die selbst um den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro betrogen werden.

Wie funktioniert dieser Betrug genau?

Die Arbeitszeit-Aufzeichnung wird manipuliert. Das Betreten des Schlachthofs wird per Firmen-Chip elektronisch regis­triert, das Verlassen aber nicht. Stattdessen werden handschriftlich irgendwelche Arbeitszeiten notiert – natürlich zum Nachteil der Beschäftigten. Manche Werkvertragsarbeiter machen täglich Doppelschichten, bekommen aber nur acht Stunden bezahlt. Dazu kommen diverse Strafgelder.

Von den 8,50 Euro Mindestlohn werden auch noch Strafgelder abgezogen?

Wenn Beschäftigten beim Zerlegen ein Stück Fleisch herunterfällt, gibt es Lohnabzüge. Selbst für die Überlassung des Fleischermessers müssen sie zahlen. In der Branche heißt das ‚Messergeld‘. Auch für Schutzhandschuhe und deren Reinigung wird vielen Werkvertragsarbeitern Geld abgenommen – entgegen der gültigen Rechtsprechung. Dazu kommen völlig überzogene Unterbringungskosten.

Wieso?

Noch immer berechnen manche Subunternehmer 170 bis 300 Euro im Monat für ein Bett in irgendeiner heruntergekommen Bude. Dabei sind das Firmen, deren Geschäftszweck angeblich Arbeit in der Nahrungsmittelindustrie und nicht die Vermietung von Unterkünften ist. Für uns liegt da die Vermutung des Steuerbetrugs nahe.

56, ist Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in der Region Oldenburg/Ostfriesland. Er hat selbst zehn Jahre lang in der Fleischindustrie gearbeitet.

Wie viele Menschen arbeiten unter solchen prekären Bedingungen?

Allein in den Schlachthöfen und Fleischbetrieben unserer Region Weser-Ems sind mehr als 10.000 Beschäftigte Werkvertragsarbeiter. Um Löhne und Sozialversicherungskosten zu drücken, arbeiten 70 bis 80 Prozent der Zerleger als Leiharbeiter oder mit Werkverträgen. In der Fleischweiterverarbeitung sind es rund 30 Prozent.

Wie funktioniert so ein Werkvertrag im Detail?

Die großen Schlachthofbetreiber wie Danish Crown, Tönnies, Vion, Heidemark oder Wiesenhof engagieren häufig aus Osteuropa stammende Subunternehmen und beauftragen die mit der Erledigung sogenannter ‚Gewerke‘. Die sagen also etwa: Die Ohren der Tiere werden nicht mehr von meinen Leuten, sondern von den Mitarbeitern des als Werkvertragsnehmer geltenden Subunternehmers abgeschnitten. Ich als großer Schlachthofbetreiber habe mit diesen Mitarbeitern nichts zu tun – und kann deshalb auch nicht ändern, wenn sie ausgebeutet und betrogen werden. Wir als Gewerkschaft halten diese Auslagerung sozialer Verantwortung für schlicht illegal.

Um wie viel Geld geht es denn dabei?

Insgesamt sicher um hohe Millionensummen. Aktuell betreuen wir zwei Prozesse: Dem Schlachthof Oldenburg und seinen Subunternehmern werfen wir vor, neun Beschäftigten 60.000 Euro Lohn zu wenig gezahlt zu haben – sie haben 270 Stunden im Monat gearbeitet, bekamen aber nur 165 Stunden bezahlt. Und in Stade fehlten 28 Beschäftigten knapp 70.000 Euro Lohn.

Wie kann den Arbeitern geholfen werden?

Zunächst einmal durch mehr Information in ihren Heimatländern. Die meisten kommen aus Rumänien und Bulgarien. Dort wird ihnen der Himmel auf Erden versprochen: 1.900 Euro Nettolohn, freie Unterkunft, freie Verpflegung. Wir als Gewerkschaft fordern Aufklärungskampagnen, die klarstellen, dass hier in Deutschland maximal 1.000 Euro gezahlt werden. Außerdem ist die EU auch vor Ort gefordert.

Inwiefern?

Brüssel muss endlich Arbeitsmarktprogramme in Osteuropa auflegen – denn dort landen die meisten der Werkvertragsarbeiter irgendwann doch wieder: Spätestens wenn sie hier in Deutschland krank werden oder sich über ihre miesen Löhne beschweren, versuchen die Arbeitgeber alles, um sie wieder loszuwerden. Trotzdem breitet sich diese Ausbeutung durch Werkverträge immer mehr aus.

Welche Branchen arbeiten noch so?

Viel zu viele. Im Obstanbau und der Gemüseindustrie, aber auch in der Metallindustrie nimmt dieses Sozialdumping immer mehr zu. Auf der Meyer-Werft in Papenburg werden bis zu 70 Prozent der Belegschaft nur auf Werkvertrags-Basis beschäftigt. Selbst die Autoindustrie orientiert sich daran.

Die Autoindustrie?

Ja. Da wird dann etwa die Logistik zum eigenen ‚Gewerk‘ erklärt – so wie bei Mercedes-Benz in Mannheim.

Was sollte die Politik hier in Deutschland dagegen tun?

Im März war SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hier bei uns in Weser-Ems und hat von Zuständen gesprochen, die ihn an Organisierte Kriminalität erinnerten. Danach ist tatsächlich etwas passiert: Das Land Niedersachsen fördert etwa Beratungsstellen für Werkvertrag-Arbeitnehmer. Aber: Das reicht nicht.

Was fordern die Gewerkschaften stattdessen?

Die Politik muss klarstellen, dass zusammenhängende Arbeitsschritte wie das Zerlegen und Verpacken von Fleisch in einem Schlachthof eben keine voneinander unabhängigen ‚Gewerke‘ sind, die an Subunternehmer vergeben werden können, die dann noch mieser zahlende Subunternehmer beauftragen. Dann gäbe es nicht mehr bis zu 20 verschiedene Firmen in einem Betrieb, die sich bei Löhnen und Sozialstandards einen gnadenlosen Konkurrenzkampf nach unten liefern. Wir fordern, dass künftig wieder alle Mitarbeiter eines Betriebs bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind. Mit dem können wir als Gewerkschaft dann auch Arbeitsbedingungen aushandeln, die sich an den Tarifverträgen orientieren – keine Sorge!

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