Mauergedenken in Berlin: Geschichten von zwei Seiten

Das Dokumentationszentrum Berliner Mauer eröffnet am 9. November mit neuer Dauerausstellung. Bundeskanzlerin Merkel weiht die Schau ein.

Bernauer Straße: Die Mauer trennte hier Wedding und Mitte. Bild: ap

Werner Coch wurde 1963 an der Bernauer Straße von der Staatssicherheit erwischt. Der 22 Jahre alte Student aus Dresden wollte nicht zur NVA und hatte seine Flucht aus Ostberlin durch einen Tunnel geplant. Alles lief gut bis zum Tunneleingang an der Brunnenstraße. „Dort wurde ich verhaftet. Meine Flucht war verraten worden“, erzählt Coch im neu gestalteten Dokumentationszentrum der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. „Danach saß ich 21 Monate im Knast. Das war’s.“

Coch gehört zu den vielen noch lebenden Zeitzeugen, deren „Mauer-Biografien“ exemplarisch für die individuellen Verstrickungen der Ost- und Westberliner mit der Mauergeschichte zwischen 1961 und 1989 stehen und die jetzt in der neu konzipierten Dauerausstellung des Dokumentationszentrums nacherzählt werden. Es sind – dramatische, paradoxe, traurige und witzige – Erzählungen, die heute „immer wichtiger werden für die Erinnerungsarbeit im Umgang mit der DDR-Geschichte“, wie Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, bei der Vorbesichtigung der Schau am Mittwoch sagte.

Diese Schilderungen des „biografischen Erlebens“ (darunter auch die von Roland Jahrn oder Rudolf Bahro) des Mauerbaus und der Teilung der Stadt und schließlich des Mauerfalls bilden einen zentralen Themenschwerpunkt in der Gedenkstätte, die ab dem 9. November 2014 für die Öffentlichkeit wieder zugänglich sein wird.

Das Dokumentationszentrum wird somit nach einer Zäsur wichtigster Baustein im Berliner Mauergedenkkonzept. Bereits vor seiner Modernisierung 2013 besuchten rund 500.000 Menschen die Einrichtung. Auch darum wird mit einem Staatsakt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) anlässlich des 25. Jahrestages des Mauerfalls am Samstag das Haus sowie die mit dem letzten „Bauabschnitt D1“ nun fertiggestellte 1,4 Kilometer lange Open-Air-Mauergedenkstätte entlang der Bernauer Straße eröffnen.

Gerade unter dem Blickwinkel auf den benachbarten Grenzstreifen mit seinen originalen Mauerresten, den historischen Bezügen zur Bernauer Straße und kunstvollen Installationen war es für Klausmeier und sein Team eine Herausforderung, das Dokumentationszentrum neu zu bespielen, das diese Konkurrenz aushält.

Zum Teil gelingt das: Nach der einjährigen Modernisierung und Erweiterung des Baus für 3 Millionen Euro und mit einem veränderten kuratorischen Konzept wirbt die neue Schau mit rund 600 Exponaten auf 420 Quadratmeter Ausstellungsfläche – was einer Verdoppelung der Fläche entspricht. Anstelle der früheren thematischen Einengung der Ausstellung auf das Datum des Mauerbaus am 13. August 1961 „wird nun die Geschichte der Mauer als Ergebnis internationaler Entwicklungen und Bedingungen, als Teil der Stadtgeschichte und in ihrer Bedeutung für den Alltag der Berliner dargestellt“, so Klausmeier und Kay Kufeke, wissenschaftlicher Berater der Schau.

Um den weiten Bogen zu schlagen, werden auf zwei Geschossen – neben den oben genannten Biografien – in zwei weiteren Kapiteln die historischen Prozesse der Teilung der Stadt, des Landes und des Kontinents vom Ostberliner Aufstand 1953 bis zur Wiedervereinigung 1989 beleuchtet. Großformatige Fotos, Filme, Grafiken, Tondokumente, Zeitungsberichte und Objekte der Flucht oder der Überwachung leiten die Besucher chronologisch und dabei recht anspruchsvoll – manchmal etwas zu trocken und wegen der vielen Textpassagen für Schulklassen vielleicht anstrengend – durch die Jahre der Spaltung, des Kalten Krieges, von Zwang und Diktatur zu den Akteuren der friedlichen Revolution. Weniger Material würde hier den Rezipienten vielleicht entgegenkommen und mehr Mut für ein experimentelleres Konzept ebenso.

Es ist der Versuch einer großen geschichtlichen Umarmung, „der Kontextualisierung des Mauerbaus und Mauerfalls“, wie Klausmeier sagt. Damit reiht sich das Dokumentationszentrum mit seiner analytischen und „ursächlichen“ Mauerrezeption ein in die aktuelle Berliner Gedenk- und Erinnerungslandschaft. Auch die Botschaft der „Topographie des Terrors“ oder des Jüdischen Museums ist der politische Weitblick.

Gelungen ist die Schau dort, wo zwischen den Fragen „Warum wurde die Mauer gebaut?“, „Warum stand sie 28 Jahre?“ und „Warum ist sie wieder gefallen?“ und dem nationalen und internationalen Kontext richtig hin und her navigiert wird. Problematisch wird es dagegen, wenn das Dokumentationszentrum seinen „Mauer-Auftrag“ aus dem Blickfeld verliert und sich beispielsweise der Westberliner Hausbesetzerszene oder der Rockgruppe Ton Steine Scherben zuwendet. Das ist zwar ganz witzig, trägt aber zur Aufklärung nicht unmittelbar bei. Eher hat man hier das Gefühl, man wolle dem großen Bruder Mauergedenkstätte vor der Tür und seinen 800.000 Besuchern jährlich unbedingt etwas Originelles entgegensetzen. Was gar nicht nötig gewesen wäre.

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