Meakusma-Festival in Eupen/Belgien: Hundsfett mit Rumbabeats

Zeitgenössische Musik, Freejazz, Dancefloor und bildende Kunst: Das Festival Meakusma im belgischen Eupen schafft interessanteste Verbindungen.

Die rechte Hand eines Musikers am Sequenzer

Die rechte Hand von Mix Mup (Lorenz Lindner) beim Festival Meakusma Foto: Annika Schönfeldt

In der Dämmerung sind die Wiesen jenseits des Kulturzentrums im alten Eupener Schlachthof bereits feucht vom Tau. Ein Pfad führt ins Unterholz, zwei Positionslichter blinken auf, es geht einen Abhang hinunter, über Reisig und Geröll hinweg gelangt man zu einer knorrigen Eiche: Mit diffusem Licht angeleuchtet, wirkt sie mächtiger, als bei Tag betrachtet. Zwischen Stamm und den Ästen sind Seile gespannt, darüber wurden Planen drapiert. Man kann das belgische Duo Abruit (Lukas De Clerck und Dries Peeters) nur hören. Einer der beiden Musiker im Baum spielt Bassklarinette, der andere bedient diverse Percussions. Dazu schaukelt und knarrt das Gehölz im Wind, es bleibt unklar, welche Sounds die Natur beisteuert, eine Intervention mit Nachhall.

Das Festival Meakusma in der ostbelgischen Stadt Eupen hat ein Ohr für Überraschungen dieser Art. Es bringt zwanglos E-Musik mit Freejazz, Elek­tronik und den örtlichen Gegebenheiten in Einklang, und die Leute kommen dafür aus Brüssel, Amsterdam, Köln, Frankreich und England. Dass hier Nischenmusik in der Ortsmitte spielt, das Festivalprogramm der Lokalzeitung beiliegt und bildende Kunst mit Dancefloor fusioniert, passt zu dem unaufgeregten, sehr geschmackvoll ausgewählten Konzept.

Als es am Freitagabend gegen 18 Uhr im ehemaligen Kühlraum losgeht, taucht man sofort ein in den Ozean der Sounds, die Zuschauer sitzen und stehen direkt vor den KünstlerInnen. Es spielt das litauische Duo Ugne & Maria (Ugne Vyliaudaite und Marija Rasa Kudabaite). Die beiden jungen Frauen steuern auf ihren Sequenzern Keyboardtöne an und lassen sie klingen, als würden sie sie gerade zum ersten Mal ausprobieren, relaxt und verschroben zugleich, manchmal unterstützt von Kudabaites Geige, wabern hier Klänge auf, haarscharf an retro vorbei, aber durchaus an die große alte osteuropäische Zeichentrick-Musik und Progrock-Tradition gemahnend.

Platonische Schatten

Zeitgenössische Performance kommt im Museum für zeitgenössische Kunst IKOB (das neben einen Solarium untergebracht ist) zur Aufführung. Das Lütticher Projekt „The Edge of Memories“, bestehend aus Lynn Cassiers, Sylvaine Hélary und Anne Palomérès, mischt eine „poetische Soundmasse“, verrät das Programm: Cassiers und Hélary mit Stimme, Elektronik und Querflöte kreieren mit minimalen Mitteln Atmosphäre, Star des Trios ist die Lichtmischerin Palomérès, die mit Schreibtischlampen um ihre Kolleginnen kreist und deren Schatten an die Museumswände wirft.

So wandert die Musik im Raum umher, akzentuiert vom Licht, das mit Farbschablonen mehrmals geändert wird. Die Britzel-Bratzel-Geräuschkulisse ist dem leisen Gluckern eines Kühlschranks nicht unähnlich. Durch Cassiers verfremdete Stimme, mit Echo auf eine Reise geschickt, wähnt man sich in den Hochmooren dieser Welt.

„Bruk“ ist irgend­was zwischen technischem K. o. und hartem Brexit

Besonders am Festival Mea­kusma ist, dass es nichts gibt, was von der Musik ablenkt. Hier fährt auch niemand E-Scooter und lässt die Dinger in der Gegend stehen. Es riecht nur ein bisschen nach dem Hundsfett der „Frittuur“, die köstliche Pommes mit „Sauce Andaluus“ anbietet. Also rein in den Raum, sich ein Sitzkissen schnappen und es sich gemütlich machen, zu Don the Tiger, dem Projekt des Spaniers Adrián de Alfonso.

Fresken der Gitarre

Zusammen mit einem Drummer, der schlaftrunkene Rumba­beats anrührt, versucht sich der Künstler aus Barcelona an einer Melange aus schwelgerischen, an Gitarristen wie Rowland S. Howard gemahnenden Rock-’n’-Rollriffs und dem Klagegesang des Flamenco. Nicht alle Arrangements sind zu Ende gedacht, wenn sich die Schritttempo-Drums mit den barocken Fresken der Gitarre verkoppeln, wird es aber gut.

Gegen Füßezucken hilft nur Tanzen, dafür sind die zielstrebigen Keyboard-Stabs des Leipziger Produzenten Mix Mup (Lorenz Lindner) ideal. Bei seinem luftig rudernden Sound muss man sich Leipzig als balearische Insel denken. Die Meute wirft die Hände in die Luft. Das Programm in der größten Halle, zusammengestellt vom Londoner DJ Ben UFO, hat das zeitgenössische britische Dancefloor-Schaffen im Auge: Freitagnacht zelebriert hier der Londoner John T. Gast die kommende Post-Apokalypse. Im Stroboskop-Gewitter zuckend, stolpern hier Beats und TänzerInnen gleichermaßen, während der Produzent im Trockeneisnebel schwer auszumachen ist.

Viel hilft viel: Noch mehr Strobo-Einsatz und noch mehr Trockeneisschwaden unterstreichen das düstere, wie aus einem J.-G.-Ballard-Roman in Lärm übersetzte Klangbild. „Bruk“ wird dieser Sound in Großbritannien genannt, irgendwas zwischen technischem K. o. und hartem Brexit. Kein Gesang, keinerlei menschliche Regungen sind zu vernehmen, nur ausschweifende Hallfahnen, Klopfgeräusche aus der Kanalisation, hinterhältig, nie straight ausgespielt. In dieser Konsequenz beeindruckend.

Tanzen im Regen

Etwas ermattet versammelt man sich am Samstagnachmittag im Hinterhof des Kulturzentrums, wo das Soundsystem „54 Sound“ aus Brüssel seine DJ-Anlage installiert hat. Der einsetzende Regen regt die Leute an, sie tanzen und chillen unter einem Zeltdach und genehmigen sich das elektronische Lagerfeuer des japanischen Schriftstellers und DJs Koki Emura ohne Weiteres. Dessen Faden nimmt wiederum der Neuseeländer Jackson Bailey (alias Tapes) auf, macht minutenlange Digidub-Build-ups mit skankenden Beats und Bässen von tief unten, die er an die Oberfläche holt, sie blubbern lässt.

Ihr Rauschen verbindet sich mit dem plätternden Regen zu einer dritten Spur. Dass man sich hier auf dem Dancefloor zunickt, die Musik genießt und die Natur machen lässt, hat hohen Erholungsfaktor. Als dann auch noch ein Rave-Klassiker gedroppt wird, „Ability II Pressure“, den der Londoner DJ mit dem Alias Klaus auflegte, wird es kurz besinnlich: Die subsonisch wummernden Bässe sind auch noch in den Ardennen zu hören.

Aber nur kurz, denn Wendy Gondeln tragen keine Trauer. Wendy Gondeln, so heißt das Projekt des bildenden Künstlers Albert Oehlen: Im guten bösen alten Sinne geht es hier um Antimusik: Reklame für Kopfschmerzen. Seine beiden Gäste Norbert Möslang und Luca Canzonetti fahren Samples ab und generieren enervierende Pfeiftöne, vor der Bühne bearbeitet Oehlen eine Geige mit dem Bogen, als würde er einen Laib Brot anschneiden. Hohngelächter plärrt aus einem Lachsack, bis Oehlen das Rosshaar des Geigenbogens aufgearbeitet hat.

Dudelsack auf der Empore

Das Publikum lässt sich von der Irritation nicht beirren und trottet zur spätbarocken Kirche St. Nikolaus, wo am Samstagabend das Konzert des Japaners Takeshi Wada und der kalifornischen Künstlerin Julia Holter stattfindet. Wada steht auf der Empore, spielt abwechselnd Dudelsack und die Kirchenorgel, Holter, vor dem Altar an Gesang und Keyboard, versucht die Drones des Japaners zu erwidern. Im Mittelgang ist ein Drummer, der dem Interplay der beiden KollegInnen leider nicht immer folgen kann, so dass die Musik in dieser an sich beeindruckenden Akustik manchmal verschleppt klingt.

Am Ende ist man froh über DJ Residue (Kassem Mosse aus Leipzig), der sein Set mitten im Raum, von Baustellenabsperrgittern begrenzt, aufgebaut hat. Drumbeats hat er keine, alles, was zum Moven und Shaken benötigt wird, erledigen Basstöne in verschiedenen Frequenzen.

Ähnlich sparsam geht das bulgarisch-deutsche Duo Blurred Music am Sonntagmorgen im Museum ICOB zu Werke: Eine Violinistin und ein Klarinettist variieren die Klangquellen ihrer Instrumente, lassen das Pusten des Mundstücks Musik werden und die Wirbel der Violine, sanft geklopft mit dem Bogen. Die beiden MusikerInnen gehen um das auf Liegestühlen sitzende Publikum, spielen leise. Wie laut Stille wirken kann, das war eine schöne Erkenntnis, an einem Wochenende mit intensiver Musik jeder Couleur.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.