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Mechanikerin über den männlichen Blick„Ach, Sie sind also die Frau vom Chef“

Katrin Ludwig arbeitet seit fast 14 Jahren als Zweiradmechanikerin. Dass sie die Technik beherrscht, können manche Kunden immer noch nicht glauben.

Sie schraubt gern: Katrin Ludwig in ihrer Werkstatt Foto: Aliona Kardash
Friederike Gräff

Interview von

Friederike Gräff

taz: Sind Sie als Zweiradmechanikerin immer noch eine Exotin, Frau Ludwig?

Katrin Ludwig: Auf jeden Fall. Wobei ich keine ausgebildete Zweiradmechanikerin bin, ich bin eher Autodidaktin.

taz: Wie haben Sie das Schrauben gelernt?

Ludwig: Ich habe mein ganzes Leben immer an Fahrrädern geschraubt, durch meinen Vater angelernt in jungen Jahren. Und dann hat es mich einfach nicht losgelassen. Und weil ich immer nette Fahrradhändler getroffen habe, gute Kol­le­g:in­nen hatte und habe oder Leute kannte, die selber schraubten, ist mein Wissen weiter gewachsen. Bis heute lerne ich jeden Tag etwas dazu.

Im Interview: Katrin Ludwig

Der Mensch

Katrin Ludwig, 58, hat Englisch und Kunst auf Lehramt studiert und arbeitet seit fast 14 Jahren angestellt als Zweiradmechanikerin in Hamburg, wo sie mit ihrer Familie auch lebt. Wenn sie nicht im Laden steht, spielt sie Schlagzeug oder legt auf. Sie selbst besitzt ein Stadtrad, ein Faltrad, ein Lasten- und ein Bahnhofsrad, von denen immer zwei im Umbau begriffen sind.

Der Handel

Nach dem Verkaufshoch in der Pandemie läuft das Radgeschäft derzeit schleppend. 2024 verkaufte der Fachhandel in Deutschland insgesamt rund 3,9 Millionen Fahrräder und Elektrofahrräder – 2,5 Prozent weniger als 2023. Der Anteil der Elektroräder blieb mit 53 Prozent stabil.

taz: Ist Ihr technisches Interesse vor allem auf Fahrräder gerichtet oder auch auf Autos, Spülmaschinen und Flugzeuge?

Ludwig: Unsere Spülmaschine habe ich tatsächlich repariert. Ich verstehe grundsätzlich gerne Vorgänge. Und beim Fahrrad ist das verbunden mit einer reduzierten Form von Technik, also einem relativ überschaubaren Bereich. Weil das Fahrrad für mich Unabhängigkeit bedeutet, liegt auch im Reparieren eine große Unabhängigkeit.

taz: Hatte es etwas Programmatisches, dass Ihr Vater Ihnen als Mädchen so viel über Technik beigebracht hat?

Ludwig: Mein Vater hat gerne etwas mit anderen zusammen gemacht, er hatte Freude am Weitergeben von Wissen. Die Tatsache, dass ich ein Mädchen war, hat keine große Rolle gespielt.

Was man so zum Schrauben braucht Foto: Aliona Kardash

taz: Sie sagten, Sie seien Autodidaktin. Warum haben Sie nicht eine Ausbildung als Zweiradmechanikerin gemacht?

Ludwig: Ich habe Kunst und Englisch auf Lehramt studiert, und es kam damals nicht infrage, das aufzugeben. Zuvor hatte ich schon eine Banklehre abgebrochen, die zweite Ausbildung musste einigermaßen durchgezogen werden. Das Fahrradschrauben entwickelte sich nebenher, weil ich damit ein bisschen Geld verdient habe. Ich habe in Läden ausgeholfen, aber dass ich den Beruf ergreifen würde, das hätte ich selber nie gedacht. Als ich ernsthaft drüber nachgedacht habe, war ich bereits 35. Da war auch klar, dass ich nicht die Schulbank mit 17-jährigen Zweiradmechanikern drücken wollte.

taz: Warum wurden Sie nicht Kunst- und Englischlehrerin?

Ludwig: Es klingt ein bisschen bescheuert, aber ich stehe nicht gerne so früh auf. Die Schule als Arbeitsplatz hat da für mich einen Riesennachteil. Das Studium hat mich interessiert und fasziniert, aber ich habe dabei auch gemerkt, dass ich nicht besonders geduldig bin. Ich bin nicht gut geeignet, anderen Leuten leistungsorientiert etwas beibringen zu müssen.

taz: Braucht man beim Schrauben nicht auch Geduld?

Ludwig: Ja, und es dauert auch manchmal viel länger, als es mir lieb ist, weil ich Spezialteile bestellen muss oder auch Ersatzteile aus den 80er Jahren finden muss, die man nicht mehr einfach so bekommen kann. Oder weil ich jemanden fragen muss, ob er mir helfen kann oder eine Idee hat. „Mal eben“ funktioniert meistens überhaupt nicht und dann kann ich Geduld aufbringen. Mich fasziniert es, diesen Gegenstand, der nicht mehr so schnurrt, wie er mal geschnurrt hat, wieder in den alten Zustand zu versetzen.

wochentaz

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taz: Weil Sie von Ersatzteilen aus den 80er sprachen: Sind alte Räder Ihre Leidenschaft oder können Sie den E-Bikes auch etwas abgewinnen?

Ludwig: Grundsätzlich finde ich es immer toll, wenn jemand Fahrrad fährt. Es ist mir völlig egal, ob es ein 40 Jahre altes Hollandrad ist oder ein Rennrad aus den 60ern oder ein nagelneues Gravelbike. Was ich im Zusammenhang mit den E-Bikes schwierig finde, ist die Bequemlichkeit, die immer größer wird bei den Menschen. Wenn die Leute eine 80- Kilometer Tour ohne E-Bike nicht schaffen würden, dann, finde ich, ist das ein gutes Argument. Wenn sie das Auto dafür stehen lassen, ist es ebenfalls ein gutes Argument. Wenn es ein schicker „Waldporsche“ wird, also ein E-Rad, das nichts kann, außer ein Spaßgerät zu sein, dann bin ich raus.

taz: Von wegen Porsche: Ist das Rad als Statussymbol eigentlich etwas Neues oder war das schon so, als Sie angefangen haben, zu schrauben?

Ludwig: Wie überall gibt es Moden. Das Rad als Statussymbol für bestimmte Gruppen ist sicher nicht neu, eher die Fahrradtypen, also zum Beispiel das Lastenrad für Familien oder das Faltrad für große Flexibilität.

taz: Noch einmal einen Schritt zurück zu Ihrem Weg in den Laden. Ich finde es faszinierend in einem Land, wo Abschlüsse so viel bedeuten, dass Ihre Arbeitgeber sich auf Ihre praktische Kompetenz verlassen haben.

Ludwig: Das ist letztendlich meinem ersten Fahrradhändler zu verdanken. Ich durfte ganz viel in seinem Laden einfach machen, er hat mir jeden Trick gezeigt, den er kannte. Das ist für mich nach wie vor ein unglaublich wichtiger Mensch in meinem Leben. Er ist mittlerweile Mitte 70 und arbeitet immer noch. Mein erster Chef, bei dem ich angestellt war, hat mich irgendwann mal gefragt, weil ich oft kleine Teile bei ihm besorgt habe, ob ich schraube und ob ich nicht bei ihm arbeiten möchte. Er hat mich richtig gebeten, bei ihm anzufangen. Es ist extrem selten, als Frau den Weg in den Fahrradladen auf diese Art und Weise zu finden, ohne dass es politisch motiviert wäre, weil man sagt: Ich mache einen feministischen Fahrradladen. Ohne ihn hätte ich mich gar nicht getraut, glaube ich.

taz: Ist es im Berufsalltag Thema, dass Sie eine Frau sind?

Ludwig: Es ist immer ein Thema. Es ist oft so, dass die vorrangig ältere Generation mich bittet, einen Mechaniker aus der Werkstatt zu holen, um ihr Fahrrad anzugucken. Oder dass jemand sagt: „Ach, Sie sind dann also die Frau vom Chef?“ Meine Lieblingsgeschichte ist von einer Kollegin aus Berlin. Die erzählte, dass sie alleine im Laden saß, die Tür geht auf, ein Kunde kommt rein, sieht sie hinterm Tresen und sagt: „Oh, heute keiner da?“

Wenn ich alleine im Laden stehe und meine männlichen Kollegen gerade nicht da sind, dann gucken sich Leute manchmal mit einem suchenden Blick um, vor allem Männer

taz: Wann war das?

Ludwig: Das ist ungefähr zehn Jahre her. Aber das ist eine sehr typische Reaktion. Wenn ich alleine im Laden stehe und meine männlichen Kollegen gerade nicht da sind, dann gucken sich Leute manchmal mit einem suchenden Blick um, vor allem Männer. Die sagen dann: „Ich hätte jetzt gern einen Mechaniker.“ Das ist immer noch wirklich tief verankert. Bei jüngeren Leuten geht’s.

taz: Und wie nehmen Sie’s?

Ludwig: Mittlerweile mit Humor. Weil mir gar nichts anderes übrig bleibt. Aber es ist anstrengend, immer wieder hinterfragt zu werden.

taz: Zu Coronazeiten waren Fahrräder nahezu Luxusware, man wartete richtig lange. Wie ist die Situation jetzt?

Ludwig: Es gibt immer noch Schwierigkeiten mit den Lieferungen. Das macht es schwierig, weil viele Kunden dafür kein Verständnis haben, weil Corona ja vorbei ist. Und was immer noch sehr in den Köpfen verankert scheint, ist, dass Fahrräder boomen und es den Fahrradhändlern wahnsinnig gut geht. Und das ist einfach überhaupt nicht mehr der Fall. Nach Corona hat es eine Welle gegeben, aber jetzt gibt es eine sehr vorsichtige Einkaufshaltung.

taz: Inwiefern ist das für den Radhandel problematisch? Ist das Rad verkaufen wichtiger als das Rad reparieren?

Ludwig: Das geht Hand in Hand. Es ist natürlich so, dass wir an einem Fahrradverkauf mehr verdienen als an einer einzelnen Reparatur. Aber der Service ist wahnsinnig wichtig. Die Leute kaufen das Rad auch deshalb bei uns, weil sie den Service möchten. Und die Werkstatt ist extrem ausgelastet. Auch das führt oft zu Unmut bei den Kunden, weil wir sehr unflexibel sind, mal eben schnell einen Platten zu reparieren, obwohl wir wirklich mit Hochdruck daran arbeiten. Gleichzeitig merken wir deutlich, dass sehr viel im Internet bestellt wird. Und da wird es dann oft problematisch.

taz: Warum?

Ludwig: Weil viele der im Internet gekauften Räder eine niedrige Qualitätsstufe haben, die schwierig zu reparieren ist. Und weil sie nicht endmontiert beim Kunden landen. Wenn wir dann mal eben eine Endmontage machen sollen, ist das eigentlich eine komplette Inspektion. Da weigern sich viele, das zu zahlen. Oft sind bei den E-Bikes oder Pedelecs Motoren, Antriebe oder Akkus verbaut, an denen wir nichts machen können. Denn wenn wir sie nicht an den Rechner anschließen können, haben wir keine Chance, Fehlermeldungen zu erkennen.

taz: Der Preiskampf mit dem Onlinehandel ist vermutlich nicht zu gewinnen.

Ludwig: Es kommen Menschen, die sagen: Das Rad, das hier steht, kriege ich im Internet für weniger. Und ich kann dann nur versuchen, ein Angebot zu machen. Aber irgendwo ist eine Grenze erreicht und wir Fahrradhändler können nicht jeden Internetpreis halten, weil wir eben beraten, die Angestellten und die Reparaturwerkstatt haben. Gestern hatte ich wieder eine Beratung zu einem Helm und merkte währenddessen, dass sie von mir nur wissen wollten, welche Größe sie brauchen, um ihn dann im Internet zu bestellen.

taz: Was haben Sie dann gemacht?

Ludwig: Nichts. Es ist für mich schwer, in solchen Fällen etwas zu tun. Ich habe es schon mit Erklärungen versucht, da wird man oft moralisch, das kommt nicht gut an. Es ist, glaube ich, ganz vielen Menschen nicht klar, dass Fahrradhändler sich nicht per se eine goldene Nase verdienen.

taz: Obwohl man das annehmen könnte, wenn man lange warten muss, bis man einen Reparaturtermin bekommt.

Ludwig: Es ist auf jeden Fall so, dass gerade auch wegen der etwas komplizierteren Technik bei den E-Bikes die Leute darauf angewiesen sind, dass die Technik ausgelesen wird – also das Rad an einen Rechner angeschlossen wird, um die Software zu aktualisieren und eventuelle Fehler zu finden. Trotzdem schließen viel alteingesessene kleine Läden, die im Stadtteil die Leute versorgt haben, weil sie im Konkurrenzdruck mit den großen Ketten oder den großen Läden, die auch Onlinehandel betreiben, nicht mehr mithalten können. Die Kunden kommen jetzt von wirklich weit zu uns.

taz: Das heißt, sie laden das Rad ins Auto, um zu Ihnen zu kommen?

Ludwig: Entweder das, oder sie versuchen es mit Bus und Bahn. Wenn ich den Hamburger Westen als Beispiel nehme: Es gibt in Rissen keinen Fahrradladen mehr, in Sülldorf nicht und in Iserbrook nicht. Es gibt in Blankenese diverse Neueröffnungen, aber bis auf die kleinen inhabergeführten Geschäfte reparieren sie nur noch die Räder, die sie selber verkaufen. Ich weiß nicht, wer in 20 Jahren die ganzen Fahrräder reparieren wird – und das ist wirklich eine Frage, wenn man über die Verkehrswende nachdenkt.

taz: Und dann jammern alle den kleinen Fahrradläden hinterher.

Ludwig: Ich habe neulich einen Zeitungsartikel gelesen, der die Fahrradhändler per se als arrogant und technikaffin und herablassend im Umgang mit den Kunden beschreibt. Und das ist grundsätzlich falsch, weil keiner einen Laden aufmacht, wenn er nicht Lust hat auf das Metier. Und zum Laden gehören Kunden.

taz: Wie froh sind Sie selbst mit den Kund:innen?

Ludwig: Ich komme jetzt in meinem zweiten Ladenjahrzehnt manchmal an den Punkt, dass ich denke, ich möchte bestimmte Dinge nicht mehr hören. Etwa wenn Leute sagen: Ich bin zu blöd zum Aufpumpen. Niemand ist zu blöd. Manche haben es noch nicht gezeigt bekommen. Natürlich ist es so, dass ich mehr über die Technik weiß als einige meiner Kunden. Aber deswegen bin ich nicht arrogant oder herablassend. Ich frage nur Dinge ab, die ich abfragen muss. Die haben ganz oft sicherheitsbedingte Gründe, und da müssen sie mir dann auch mit Geduld begegnen.

taz: Wonach fragen Sie denn?

Ludwig: Der Klassiker ist, dass jemand kommt und sagt: „Meine Kette ist gerissen, ich brauche eine neue.“ Dann muss ich fragen: „Wann haben Sie die zum letzten Mal gewechselt?“ – „Weiß ich nicht mehr“. – „Haben Sie die Kette mit?“ – „Nein. Die war so dreckig und die ist ja kaputt“. – „Was haben Sie für eine Schaltung?“ – „Weiß ich nicht so genau.“ Dann arbeiten wir uns da heran und finden heraus, was für eine Schaltung das ist. Und wenn bei einer Kettenschaltung die Kette reißt, tut sie das oft nicht nur so aus Spaß, sondern weil sie abgenutzt ist oder etwas reingeflogen ist oder sie falsch montiert war. Dann müsste das Rad eigentlich einmal angeguckt werden.

taz: Und das bringt die Leute auf die Palme?

Ludwig: Es geht nicht darum, dass ich etwas verkaufen will, sondern um die Kundensicherheit. Das glauben sie uns oft nicht, da klatsche ich regelmäßig gegen die Wand des Unverständnisses. Ich mache das nicht zum Spaß oder um meine Überlegenheit auszuspielen. Und ich glaube, dieser Unterstellung, der möchte ich nicht mehr begegnen.

taz: Wie sieht die bestmögliche Kundschaft aus?

Ludwig: Es sind Leute, die wissen, dass ich zugewandt bin. So wie die meisten Fahrradhändler auch. Und auch wir haben einfach manchmal einen schlechten Tag.

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1 Kommentar

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  • So einen Radladen wünsche ich mir in meiner Nähe auch.



    Was vielen fehlt: Eine Hebebühne für Lastenräder.



    Bei der letzten Inspektion bin ich zehn km mit dem Rad gefahren, weil es keine nähere Werkstatt gab. Und da darf ich nicht nochmal hin, weil dem Mechaniker erst während der Reparatur klar wurde, dass er eine Hebebühne braucht, wenn er ein Lastenrad in Auftrag nimmt.



    War ihm sehr dankbar, dass er es trotzdem durchgezogen hat.