Medien-Abhörskandal in Großbritannien: Rasierschaum-Anschlag auf Murdoch

Nach einer versuchten Rasierschaumattacke auf Rupert Murdoch wurde die Befragung kurz unterbrochen. Rebekah Brooks und die beiden Murdochs gaben sich unwissend.

Drama! Statt Schuhwerfern gibt es heute mal, äh, einen Rasierschaumattentäter. Bild: reuters

Selten hat man einen schwarzen Range Rover öfter aus einer Londoner Tiefgerage hüpfen sehen. Im Wagen: Rupert Murdoch, auf dem Weg zur Aussage vor dem Kultur- und Medienausschuss des britischen Unterhauses.

Doch dort übernahm zunächst Sohn James das Reden, Murdoch Senior unterbrach den bislang als Kronprinzen gehandelten Vizevorstand seiner News Corporation nur, um kurz "Dies ist der demütigste Tag meines Lebens" zu blaffen. Doch die Strategie, James Murdoch reden zu lassen, der sich nochmals wortreich für den Skandal entschuldigte und sagte wie "sorry" er sei "mit Blick auf die Opfer und ihre Familien", ging nicht auf. Ein vorbereitetes Statement durfte er gar nicht erst verlesen, sondern nur schriftlich einreichen.

Murdoch Junior blieb bei seiner bisherigen Darstellung, dass News Corp. bei früheren Aussagen vor dem Ausschuss zum Phone-Hacking-Skandal vor zwei Jahren "nicht im vollem Besitz der Fakten" gewesen sei. Als ab dem Frühjahr 2011 mehr Details bekannt wurden, habe man "umgehend die Polizei eingeschaltet" und "so schnell wie möglich gehandelt".

Mein Sohn und ich sind mit großem Respekt für jeden von Ihnen hierher gekommen. Heute ist der demütigste Tag meiner Karriere. (…) James und ich möchten sagen, wie leid uns das, was passiert ist, tut. Mein Unternehmen beschäftigt 53.000 Menschen weltweit, ich arbeite seit über 50 Jahren für News Corporation und habe in dieser Zeit viele Fehler gemacht. Aber zu keiner Zeit war ich so angekotzt als zu der, als ich gehört habe, was mit Milly Dowler (…) und ihrer Familie geschah. Ich möchte den Dowlers für die Möglichkeit danken, mich persönlich bei ihnen zu entschuldigen. Was passiert ist, war ein schreckliches Eindringen in ihr Privatleben. (…) Ich werde unermüdlich daran arbeiten, ihre Vergebung zu verdienen. (…)

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Wir wissen heute, dass bei den News of the World etwas schrecklich schief gegangen ist. (…) Die Verantwortlichen haben meine Leser und mich und tausende von großartigen professionellen Journalisten betrogen, die in aller Welt für mich arbeiten. (…) Das Abhören und Hacken von Telefonen ist falsch. Polizisten für Informationen zu bezahlen ist falsch. (...)

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"Entschuldigung" zu sagen ist aber nicht genug. Die Dinge müssen richtig gestellt werden – und für das, was passiert ist, gibt es keine Entschuldigung. Daher arbeitet News Corporation aufs Engste mit der Polizei zusammen. (…)

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Ich wünschte, wir hätten das Problem eher gesehen. Doch als 2007 zwei Menschen zu Haftstrafen verurteilt wurden, dachte ich, die Sache sei damit erledigt. (…)

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Dieses Land hat mir und meinen Unternehmen viele Chancen eröffnet, für die ich dankbar bin. Ich hoffe, dass auch unsere Leistungen für Großbritannien eines Tages anerkannt werden. (…) Ich werde weiter daran arbeiten, das Vertrauen dieser Nation in unser Unternehmen und in den gesamten britischen Journalismus wieder herzustellen.

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(Auszüge aus dem Statement)

"Kein Grund, die Angelegenheit anders zu sehen"

2009 habe man sich auf die 2007 beendeten Ermittlungen der Polizei gestützt, die Berichte der Presse Complaints Commission – des britischen Äquivalents zum Deutschen Presserat – sowie die juristischen Einschätzungen "unabhängiger Anwälte", nach denen die Sache mit der Verurteilung des ehemaligen Royal Correspondents Clive Goodman erledigt sei. "Wir hatten 2008/2009 keinen Grund, die Angelegenheit anders zu sehen", sagte James Murdoch.

Was die laufenden Ermittlungen gegen Mitarbeiter von Murdochs britischer Zeitungungsholding News International oder der am 10. Juli eingestellten Sonntagszeitung News of the World angeht, duckte sich der fürs globale Geschäft zuständige Chief Operation Officer der News Corporation unter den Fragen der Abgeordneten weg: Da hier "die polizeiliche Untersuchung andauerten" und er mögliche Gerichtsverfahren "nicht kompromittieren" wolle, bat James Murdoch "um Verständnis", hier aktuell nicht mehr sagen zu können.

Er wiederholte nur den offenbar mit den Firmenanwälten eingeübten Satz, dass man selbstverständlich "mit allen Untersuchungen voll und transparent kooperieren" werde. Und natürlich, dass es "bis heute keinen Beweis gibt, dass ich oder Rebekah Brooks [die am Freitag zurückgetretende News International Chefin und News of the World-Chefredakteurin zur Zeit der ersten Hackings, die Red.] irgendwelche Kenntnis" über das hatten, was offenbar beim auflagenstärksten Murdoch-Blatt gängige Praxis war.

Kein Mann der vielen Worte

Dann war Rupert Murdoch dran: Der 80-Jährige antwortete anfangs äußerst knapp. "Ja" bestätigte Murdoch, dass bei News Corp eine Praxis der "Zero Tolerance" bei schwerwiegenden Fehlern hersche. Und "nein", er wisse nichts über das volle Ausmaß des Skandals – „Hier ermittelt jetzt die Polizei, und wir helfen ihnen, wo wir können“.

Auf Nachfragen, ob er die von Rebekah Brooks zugegebene Praxis, Polizisten für Informationen zu bezahlen, unterstütze, wurde Murdoch sauer und platschte, sozusagen als kategorischer Imperativ, mit der Hand auf den Tisch: „Die News of the World“ – Platsch! – „macht weniger als ein Prozent von News Coporation aus“ – Platsch! – das Unternehmen beschäftige „53.000 Menschen weltweit“ – Platsch! –, da könne er nicht alles mitbekommen.

Immerhin: Dass der auf königlichen Klatsch spezialisierte Reporter Clive Goodmann 2006 verhaftet und verurteilt wurde, hatte er dann doch mitbekommen: "I think so", sagte Rupert Murdoch auf entsprechende Nachfragen. Dass ein News of the World-Reporter 2008 wegen Erpressung zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden war, hatte er dagegen nicht gewusst: „Das ist das Erste, was ich davon höre“, sagte ein ziemlich ins Schwimmen geratender Murdoch Senior, „vielleicht kann mein Sohn hier detaillierter antworten“.

Vater und Sohn weisen Gerüchte zurück

Doch der durfte nicht, und Murdoch erklärte, auch nichts von den außergerichtlichen Deals mit dem PR-Berater Max Clifford und anderen gewusst zu haben, deren Telefone von NoW-Reportern gehackt worden waren. "Mein Vater hat davon erst aus der Zeitung erfahren", sekundierte James, dieses Mal erfolgreich. Dass es dabei um Hunderttausende Britische Pfund geht – nach Zeitungsberichten soll allein Clifford 600.000 Pfund erhalten haben – spielte keine Rolle bzw. wurde als Hinweis auf die Größe von Murdochs Portokasse abgetan: "Das liegt deutlich unter den Summen, die vom Vorstandsvorsitzenden abgesegnet werden müssen".

Genausowenig habe man gewusst, dass der Konzern Anwalts- und Gerichtskosten für Goodman übernommen habe. Gerüchte, nach denen der frühere News of the World-Chefredakteur Andrew Coulson nach seiner Entlassung im Zusammenhang mit den Hacking-Vorwürfen weiter "Zuschüsse" von News International erhalten habe, wiesen Murdoch Vater wie Sohn allerdings empört zurück.

Von den jüngsten Erkenntnissen, vor allem von dem Fall der ermordeten 13-jährigen Milly Dowler, auf deren Handy NoW-Reporter SMS gelöscht hatten, habe er "erst vor zwei Wochen" erfahren, sagte Rupert Murdoch: Er sei immer noch "geschockt, erschüttert und beschämt". Doch passte das nicht ganz zur Chuzpe, mit der der Medienmogul den Ausschuss beschied, er habe dessen Abschlussbericht von 2009 nicht gelesen.

Denn schon der hatte diverse Fragezeichen zur "Eintäter-These" bei der News of the World aufgeworfen – als ein Ausschuss-Mitglied nochmal darauf hinweist, dass der Bericht der damals vernommenen News International-Chefetage "kollektiven Gedächnisschwund" bescheinigt, lachte Murdoch sogar. Er rede gar nicht so oft mit seinen Chefredakteuren, wie immer angenommen werde, sagte Murdoch – mit denen der News of the World habe er höchstens am Samstag vor dem Erscheinen des Blattes gesprochen.

"Ich muss Ihnen sagen, wenn ich mehr mit jemandem rede, dann mit dem Chefredakteur des Wall Street Journals, denn wir sitzen im gleichen Gebäude", feixte Murdoch Senior: "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, mit wie vielen Angelegenheiten ich mich jeden Tag befassen muss."

"So transparent, wie es nur irgend geht"

Die Entscheidung nach Bekanntwerden des Dowler-Falls, die News of the World einzustellen, sei bei einem Treffen mit seinem Sohn James, Rebekah Brooks und leitenden Polizeibeamten getroffen worden. Er habe das Blatt eingestellt, weil "es das Vertrauen der Leser gebrochen hat", sagte Rupert Murdoch. Ob es künftig Sonntags in Großbritannien wieder ein Boulevardblatt aus dem Hause Murdoch geben wird, muss (trotz Branchenspekulation, er werde einfach die Sun siebenmal in der Woche erscheinen lassen) offen bleiben: „Unmittelbar gibt keine solchen Pläne, das ist nicht unsere Priorität im Moment“.

Anschließend versuchte James Murdoch, die Initiative zurückzugewinnen: Man begrüße ganz ausdrücklich die Ankündigung von Premierminister David Cameron, eine öffentliche Untersuchung über journalistische Standards und ethische Fragen der Media Governance durchzuführen. "Das ist eine gute Sache nicht nur für News International und die Medienindustrie, sondern das ganze Land." Doch auch das ging schief: Lange über die vorgesehene Zeit von einer Stunde hinaus grillten die Abgeordneten beide Murdochs.

Doch die blieben bei ihrer Linie: Zu den laufenden Ermittlungen gegen ihre Top-Mitarbeiter könnten sie aus Gründen eben dieser laufenden Ermittlungen nichts sagen, so direkt seien sie zudem mit all den Vorgängen nicht befasst gewesen – schließlich seien sie "ziemlich beschäftigte Leute". Doch sobald neue Fakten ans Licht kamen, habe "das Unternehmen gehandelt". Nun sitze man hier – und versuche, "so transparent zu sein, wie es nur irgend geht".

Die Vernehmung von Vater und Sohn Murdoch ist nach einem Zwischenfall unterbrochen worden. Nach gut zwei Stunden versuchte ein Protestler einen Rasierschaumanschlag auf Rupert Murdoch, wurde aber von Umsitzenden – unter anderem Murdochs Frau Wendi Deng – daran gehindert.

Auch die BBC brach ihre Übertragung gemäß den Spielregeln für Berichterstattung aus dem britischen Parlament ab. Auf Twitter erlärte der Aktivist Jonnie Marbles vom britischen Protestnetzwerk "UK Uncut", er habe die Attacke verübt - es sei "das Beste, was ich bisher getan habe". Nach zehn Minuten Pause ging es weiter - und Rupert Murdoch durfte - nun ohne Jackett - doch noch das vorbereitete Statement verlesen. Darin verspricht er, unermüdlich daran zu arbeiten "das Vertrauen dieser Nation in unser Unternehmen und in den gesamten britischen Journalismus wiederherzustellen".

Brooks erklärt gehackte Telefonate als widerlich

Nach Rupert und James Murdoch hat auch Rebekah Brooks nichts gewusst: Sie habe keine Kenntniss davon gehabt, dass Mitarbeiter der von ihr geleiteten Boulevardzeitung News of the World Telefone gehackt und Mailboxen manipuliert hätten, so Brooks.

Brooks war zunächst Chefredakteurin der NoW und wurde 2003 Chefredakteurin von Murdochs Boulevardblatt Sun. "Dass jemand von der News of the World, den ich nicht kenne, Telefongespräche gehackt haben soll, ist mir so widerlich wie jedem in diesem Raum" sagte Brooks vor dem Ausschuss. Wie die Murdochs rühmte sie die interne Aufklärungsarbeit im Unternehmen und die "volle Kooperation" mit den Ermittlungen der Polizei: "Heute müssen wir akzeptieren, dass unsere eigene Untersuchung zu langsam war", sagte Brooks.

2009 war die heute 43-jährige Murdoch-Vertraute, die mit 29 die jüngste Chefredakteurin im weltweiten News Corp-Reich wurde, in den Vorstand von Murdochs britischer Zeitungsholding News International (Sun, Times) aufgerückt. Am vergangenen Freitag trat sie von diesem Amt zurück, zwei Tage später wurde sie vorübergehend von der Polizei verhaft, aber nach stundenlanger Befragung gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt.

Brooks schiebt die Schuld ab

Dass bei den News of the World Privatdetektive zu Ermittlungen und Recherchen eingesetzt wurden, sei ihr dagegen bekannt gewesen, gab Brooks zu: "Das haben alle Zeitungen so gemacht", sagte Brooks. Welche Summen dafür bezahlt wurden, sei ihr unbekannt - "das war Sache des geschäftsführenden Redakteurs", sagte Brooks. Dass NoW-Mitarbeiter oder von diesen Beauftragte das Handy der 13-jährigen Milly Dowler nach deren Ermordung gehackt, SMS gelöscht und die Polizei davon unterrichtet haben sollen, dass die Schülerin unter Umständen noch lebe, habe sie erstmals am 4. Juli aus den Medien erfahren, sagte Brooks: "Ich bin geschockt und finde das ekelhaft."

Sie sei sich aber sicher, "dass News International und die Polizei dieses Sache restlos aufklären". Diese Bemerkung kam beim Ausschuss nicht gut an: Ob sie die Abgeordneten wirklich glauben machen wolle, dass einfache Reporter so etwas unternähmen, an der Chefredaktion vorbei ins Blatt schmuggelten und ohne Rücksprache mit Vorgesetzten auch noch die Polizei über angebliche neue Spuren informierten, wollte ein Ausschussmitglied wissen. Brooks reagierte trotzig: "Es sind Fehler gemacht worden. Aber wir stellen die Dinge richtig", sagte sie, ohne konkret auf solche Fragen einzugehen.

Als Dowler 2002 verschwandt, war sie Chefredakteurin der News of the World – zum fraglichen Zeitpunkt der Entführung und danach aber im Urlaub. Sie werde aber in jedem Fall „die Verantwortung übernhemen“, sagte Brooks: „It happened on my watch, es passierte, als ich letztlich verantwortlich war“. Das konkrete Kommando hatte in diesen Tagen allerdings ihr Stellvertreter – Andy Coulson. Er wurde 2007 bei NoW entlassen – und war später Kommunikationsdirektor der Konservativen Partei – und war bis Januar 2011 Berater des heutigen Premierministers David Cameron. Den kennt Brooks gut – und nennt ihn einen persönlichen Freund. Dieser Freund befindet sich nun auf dem Rückweg von einer hastig verkürzten Afrikareise – und will morgen dem Parlament Rede und Antwort stehen.

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