Medienberichterstattung in Corona-Zeiten: Ungeeignetes Machtkampfnarrativ

Viele Medien suggerieren derzeit einen Machtverlust der Politik zugunsten von Virologen. Doch dieser Spin ist gefährlich.

Jens Spahn und Christian Drosten (von hinten fotografiert) gucken gemeinsam in ein Labor

Politiker Jens Spahn (l.) und Virologe Christian Drosten gemeinsam unterwegs Foto: Xander Heinl/imago

„Dürfen Virologen und andere Experten das Sagen haben?“, fragt der Spiegel in seiner Titelstory. „Christian Drosten ist Deutschlands mächtigster Arzt“ (Tagesspiegel). „Wir hören zu viel auf Virologen“ (Bild). „Virologen regieren, die Politik hat abgedankt“ (NZZ). Die neue Macht der Virologen (Handelsblatt). „Virologen: Ist das unser neuer Kanzler?“ (Zeit Online).

Viele Medien suggerieren in Zeiten der Corona-Pandemie einen Machtverlust der Politik zugunsten von Virologen. Dabei gibt es gar kein Machtnarrativ zwischen Politik und Wissenschaft. Politik entscheidet. Wissenschaft berät.

Ich verstehe durchaus den Impuls der Medienmacher, die handelnden Akteure als Figuren einer Geschichte zu beschreiben, mit Helden und Widersachern. Aber in der Story, die ich sehe, ist die Rolle des Bösen bereits von einem todbringenden Virus besetzt. Und nicht von Politik und Virologen, die momentan versuchen diese Krise zu lösen. Die Virus-Story ist bereits stark genug.

Das Framing von den mächtigen Virologen ist kein unterhaltsamer Spin, sondern es birgt die Gefahr, jene Transparenz zu zerstören, die es derzeit in der Thematik noch gibt. Christian Drosten – aber auch andere – haben dazu viel beigetragen. Das Wertvolle an dieser Transparenz war ebenso, über das Auf und Ab und Hin und Her schwieriger Prozesse informiert zu sein. Das macht es für die Orientierung suchenden Bürger nicht immer einfacher, aber es macht es fairer. Dass etwas nicht einmal für Experten einfach ist, ist eine durchaus wichtige Information für uns Laien. Es mahnt zur Vorsicht.

Eine Gesellschaft im Wartemodus

Warum also nutzen derzeit so viele Medien dieses ungeeignete Machtkampf-Narrativ? Es gibt in der Tat eine Medienlogik, die immer fragt, wie die Story weitergeht, wie sich die Dramatik der Geschichte steigern lässt. Dieser Impuls trifft jetzt auf einen gewissen Corona-Ermüdungseffekt, eine Gesellschaft im Wartemodus. Eine Gesellschaft, die natürlich weiter unterhalten werden will.

Hinzu kommt eine weitere Beobachtung: Dieses Machtkampf-Narrativ kommt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kaum vor. Warum das so ist, lässt sich momentan nur vermuten. Was feststeht: Printmedien sind dem Geschehen eher nachgelagert. Sie mögen verstärkt unter dem Zwang leiden, jede Story mit einem Spin anzureichern, damit diese sich noch weiterverkauft. Andererseits: Online laufen alle Redaktionen fast zeitgleich mit dem Geschehenen. Sie müssen sich möglichst schnell mit ihren Meldungen gegen eine Vielzahl von Konkurrenten online durchsetzen (++EIL++). Auch hier gibt es also den Druck, eine Geschichte aufzuladen, denn es geht um Klicks.

Bleibt zu hoffen, dass sich Virologen wie Drosten in Zukunft nicht abhalten lassen. Und wenn es schon eine Story braucht: Wie wäre es mit der Geschichte von Politikern, die anscheinend jegliche Verantwortung so geschickt von sich wegkommunizieren, dass sich mittlerweile die Sorge verbreitet, Virologen wären die neuen Kanzler?

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Kommt von Rügen. Als Wortgucker erzürnt er sich im Netz und auf Podien regelmäßig über Sprache und Framing in der Politik und Medien. Er ist promovierter Sprachwissenschaftler und Sprachkritiker für taz2/medien. Hauptberuflich: Kampagnen-Berater und Demokratie-Kommunikator.

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