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Medienrelevanz bei jungen MenschenSchnell sein, ohne an Haltung zu verlieren

Junge Menschen informieren sich gänzlich anders als ältere. Was bedeutet das für Redaktionen der klassischen Medien? Eine Befragung gibt Antworten.

Haltung zeigen, das macht die Jugend heute, da wo sie halt sind, und das is online und auf den Socials Foto: Bernd Friedel/imago

Dass klassische Medienangebote für junge Menschen an Attraktivität verlieren, ist bekannt. Dass Social Media zunehmend zur wichtigsten Nachrichtenquelle in dieser Altersgruppe wird, ebenso. Doch wie können Medienhäuser darauf reagieren, ohne an Relevanz zu verlieren? Eine aktuelle qualitative Befragung der Organisation Medien Bayern und des Marktforschungsinstituts Iconkids & Youth, unterstützt von der Bayerischen Staatskanzlei und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, liefert konkrete Hinweise.

TikTok dominiert demnach in der Altersgruppe von 12 bis 25 Jahren: Unterhaltung, Austausch und zunehmend auch Information finden dort statt, meist passiv konsumiert und vom Algorithmus gesteuert. Viele Befragte beschrieben die Nutzung als „Sog“ oder gar „Sucht“. Auf Instagram dagegen steht die soziale Interaktion im Fokus, ebenso wie die visuelle Ästhetik. Gleichzeitig verliert die Plattform an Reiz: Viele junge Nut­ze­r:in­nen empfinden sie als „langweilig“, da Trends oder Reels oft bloß Wiederholungen alter TikTok-Videos sind. YouTube bleibt eine „universelle Wissens- und Unterhaltungsbibliothek“ und wird gezielt genutzt, etwa für Handwerktutorials oder Lerninhalte.

Klassische Medien, so die Studie, sind für die junge Zielgruppe dennoch nicht völlig abgeschrieben. Fernsehen und Radio werden zwar nicht als tägliche Begleiter wahrgenommen, aber zu bestimmten Anlässen oder als Ritual genutzt – etwa beim gemeinsamen Fußballschauen mit Familie oder Freund:innen. Radio läuft häufig nebenbei, etwa beim Autofahren.

Printprodukte spielen dagegen kaum noch eine Rolle, und die Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte ist extrem gering. Bezahlschranken werden als echte Hürde empfunden. Klassische Medien sollten deshalb nicht länger als Hauptquelle des Nachrichtenkonsums gesehen werden, sondern als Ergänzung, die besondere Räume jenseits des Algorithmus schafft: Orte der Orientierung, Verlässlichkeit und regionalen Verankerung.

Redaktionen müssen umdenken

Für Redaktionen ergibt sich daraus ein klarer Handlungsauftrag. Inhalte müssen für Social Media gedacht werden, nicht bloß von Print und TV dorthin wandern. Das bedeutet starke Teaser, klare Einstiege und Formate, die in dreißig Sekunden fesseln – besonders auf TikTok. Entscheidend ist dabei, die Zielgruppe genau zu definieren und Inhalte für spezifische Plattformen und Interessen zu entwickeln.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Vielfalt in den Redaktionen. Junge Menschen sollten nicht nur Zielgruppe sein, sondern selbst erzählen dürfen. Das erfordert Offenheit gegenüber neuen Stimmen und Kompetenzen, nicht nur Ab­sol­ven­t:in­nen klassischer Journalist:innenschulen. Auch Kooperationen mit Crea­to­r:in­nen können helfen, Nähe, Glaubwürdigkeit und Reichweite aufzubauen – denn Authentizität ist die wichtigste Währung.

Klassische Medien können auf Social Media das leisten, was die digitalen Plattformen sonst nicht bieten: Orientierung

Viele Befragte betonen außerdem, wie wichtig ein Dialog auf Augenhöhe ist: Junge Menschen wollen ernst genommen werden, nicht belehrt. Medienangebote sollten an ihre Lebenswelt andocken, ohne gewollt zu wirken. „Relatable“ sein bedeutet, Nähe zu schaffen, aber trotzdem Haltung zu bewahren. Gleichzeitig können klassische Medien auf Social Media das leisten, was viele digitale Plattformen nicht bieten: Orientierung. Indem sie komplexe Themen einordnen und verlässliche Informationen bieten, machen sie die unübersichtliche Contentflut verständlicher.

Auch der Transfer von journalistischen Inhalten ins reale Leben spielt eine wachsende Rolle. Liveevents von Podcasts oder Recherchen schaffen Nähe und Gemeinschaft – wie beim „Zeit Verbrechen“-Podcast oder dem britischen Format „The Rest is Politics“, das mit seiner Liveversion ganze Arenen füllt. So werden Nachrichten wieder physisch erlebbar.

Finanziell gilt: Bindung kommt vor Ertrag. Eine zu frühe Monetarisierung kann abschrecken, Vertrauen muss zuerst entstehen. Offenheit und Mut zu Experimenten sind zentrale Voraussetzungen, um neue Wege zu gehen. Und dabei gilt natürlich: Fehler machen ist in Ordnung, solang man sie transparent kommuniziert. Wer junge Menschen erreichen will, muss ihre Plattformen und Dynamiken verstehen, ohne sich ihnen vollständig anzupassen. Es geht nicht um Tempo oder um Trends, sondern um Haltung.

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