Mediziner und Krankenkassen: Arena frei, die Ärzte kommen

Wie jedes Jahr wird über das Geld der niedergelassenen Ärzte verhandelt. Sie werden streiten, feilschen und betteln. Eine durchinszenierte Show.

Fühlen sich schlecht bezahlt: Ärzte auf einer Demonstration. Bild: dapd

BERLIN taz | Es dräut Gefahr. Und zwar für nichts Geringeres, so warnt die Kassenärztliche Bundesvereinigung, als die „flächendeckende ambulante Versorgung“ der Patienten in Deutschland. Also nicht bloß die medizinische Betreuung derjenigen, die dummerweise auf dem Land wohnen und die es ohnehin schlecht haben mit den Ärzten. Nein, diesmal sind wir alle bedroht, alle Patienten, genauer: alle gesetzlich Versicherten zwischen Flensburg und Füssen. 70 Millionen Menschen.

Sie alle könnten möglicherweise schon im Herbst keinen niedergelassenen Arzt mehr finden, der bereit ist, sie zu behandeln. Wie auch? Die Praxisärzte können ja selbst nicht mehr: Sie machen ihren Job, manche sogar Vollzeit.

Sie haben alle Hände voll zu tun, Pharmavertreter und deren Geschenke zu empfangen, seit der Bundesgerichtshof unlängst festgestellt hat, dass dies bei niedergelassenen Ärzten keine Korruption ist. Sie ertragen ihre Patienten, mitunter auch solche, die statt eines Rezepts erstmal reden – reden! – möchten mit dem Arzt über ihre Krankheit. Und das alles für zuletzt durchschnittlich 165.000 Euro Jahresgehalt.

Streik, Streik, Streik!

Bereinigt – also ohne die Einnahmen von Privatversicherten und privat bezahlten Behandlungen – blieb den niedergelassenen Ärzten im vergangenen Jahr im Schnitt noch 134.000 Euro, die sie von der Kasse bekamen. Und selbst an dieses schmale Salär wollen die gesetzlichen Krankenkassen nun noch einmal ran. Auf 115.000 Euro soll das durchschnittliche Jahreseinkommen sinken, so könnten 2,2 Milliarden Euro gespart werden.

Begründung: Die Vergütung der Ärzte sei seit 2007 schneller gestiegen als ihre Kosten und ihre Leistung – ein Missverhältnis, sagen die Krankenkassen. Eine Unverschämtheit, sagen die Ärzte. Die Kassen ihrerseits horteten doch derzeit Reserven von mehr als 20 Milliarden Euro – und nun solle trotz dieses Polsters den Ärzten nicht zugestanden werden, was diesen doch zustehe: eine moderate Aufstockung um 20.000 Euro auf dann 154.000 Euro. Das existenzsichernde Minimum. Quasi.

Deswegen müssen die Ärzte sich jetzt erst einmal um sich selbst kümmern. Also um ihre Honorare. Heute wie jedes Jahr nach der Sommerpause streiten die Kassenärztliche Bundesvereinigung, also die Interessenvertretung der rund 129.000 niedergelassenen Ärzte in Deutschland, und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen darum, wie viel Geld die Mediziner bekommen. Dieses Ritual ist ohne martialische Streikdrohungen gar nicht mehr denkbar, genießt große öffentliche Aufmerksamkeit, und am Ende, dies vorweg, springt immer ein bisschen mehr für die Ärzte heraus.

Nur dieses Mal – da soll alles anders werden. Sagen die Kassen. Wenn ab Donnerstag das Gefeilsche beginnt, dann soll sich auch die Honorierung ärztlicher Leistung an der deutschen Lebens- und Einkommenswirklichkeit orientieren. Aber mal ehrlich: Seit wann haben Ärztehonorare etwas mit Lebenswirklichkeit zu tun?

Sechsstellig reicht

Eher schon mit Willkür. 2007 beschlossen Ärzte und Krankenkassen, dass der niedergelassene Durchschnittsarzt von den Kassen jährlich 105.000 Euro bekommen sollte. Patientennutzen? Qualitätssicherung? Irgendein anderer Referenzwert? Ach was. 105.000 Euro, das war sechsstellig – und damit aus ärztlicher Sicht gerade noch akzeptabel. Wie aber kommt diese Summe zustande?

Es ist nämlich in Deutschland nicht etwa so, dass ein und dieselbe Behandlung nach ein und demselben fixen Preis vergütet würde. Denn dann könnte man die Arbeit der Ärzte und wie sie bezahlt wird, ja hinterfragen oder gar kontrollieren.

Stattdessen bezahlen die Kassen ärztliche Leistung nach dem so genannten Einheitlichen Bewertungsmaßstab, einem komplizierten Katalog, der jeder Einzeluntersuchung zunächst einmal eine bestimmte willkürliche Punktzahl zuschreibt.

Das Röntgen des Brustkorbs etwa ist derzeit mit 270 Punkten beziffert. Die Frage, wie viel ein Punkt wert sein soll, beschäftigt sodann regelmäßig Krankenkassen, Ärztelobby, Politiker und Streitschlichter; und auch bei den aktuellen Verhandlungen geht es hauptsächlich wieder um den Punkt. Derzeit gilt: ein Punkt gleich 3,5048 Cent. Für einmal Brustkorb durchleuchten bekommt ein Arzt also 9,45 Euro.

Es wird noch unlogischer

Aber auch dies ist variabel. Überschreitet der Arzt nämlich eine bestimmte Anzahl von Röntgenverordnungen und damit sein Budget – das sich wiederum nach Größe und Art der Praxis, ihrer Lage in Deutschland und einem Zungenbrecher namens Vorjahresuntersuchungsvolumen richtet –, dann erhält er nur noch einen abgestaffelten Punktwert. Heißt: Ab einer bestimmten Menge werden nur noch die tatsächlichen Untersuchungskosten vergütet (also etwa das Röntgenbild und seine Interpretation durch den Arzt), nicht aber anteilig die Fixkosten (etwa für Praxismiete oder Arzthelferinnengehalt). Bis hierhin unlogisch? Abwarten. Da geht noch mehr.

Verordnet der Arzt in einem Jahr besonders wenige Röntgenuntersuchungen, etwa deswegen, weil sie schlicht nicht notwendig sind, dann beeinflusst das die Höhe seines Budgets im kommenden Jahr empfindlich. Und zwar nach unten. Weswegen nicht bekannt ist, dass die Zahl der radiologischen Untersuchungen in Deutschland irgendwann einmal rückläufig gewesen wäre. Gleiches gilt selbstredend auch für ambulante Kniespiegelungen, Laboruntersuchungen und so weiter und so fort.

Heute feilschen Ärzte und Krankenkassen also zunächst um den Punktwert. Die Kassen möchten ihn von 3,5048 Cent auf 3,2537 Cent absenken. Diesen krummen Wert haben sie eigens und von einem Gutachter bestimmen lassen. Setzt man 3,2537 Cent in die Leistungsberechnungsformeln ein, dann kommen wie von Zauberhand am Ende 115.000 Euro Jahresdurchschnittsgehalt für einen niedergelassenen Arzt heraus.

900 Milliarden Punkte

Nächste Woche geht es dann um die Gesamtpunktzahl, also die Menge an Punkten, die insgesamt und auf alle denkbaren ärztlichen Leistungen zu verteilen ist – im vergangenen Jahr waren es 900 Milliarden. Weil es mehr alte Menschen gibt und diese häufiger krank werden, muss die Punktzahl natürlich steigen. Sagen die Ärzte. Klar: Denn eine höhere Gesamtpunktzahl müssen die Kassen bezahlen.

Da wird es Krach geben, aber der ist nur das Vorspiel für das ganz große Theater. Wenn nämlich verhandelt wird, welche Therapien künftig sehr viel mehr Punkte bekommen sollen, und welche nur ein bisschen mehr, dann gehen auch die Mediziner aufeinander los: Hautärzte gegen Radiologen, Augenärzte gegen Gynäkologen, Allgemeinärzte gegen Spezialisten.

Verstehen? Seit wann sind Rituale verständlich? Wer kann schon erklären, wie aus einem Stück Brot und einem Schluck Wein beim Abendmahl der wahrhaftige Leib Christi wird? Dafür gibt es die Oberpriester öhm… Hauptverhandler, Andreas Köhler (Ärzte) und Johann-Magnus von Stackelberg (Kassen). Aber die erhalten deswegen extra auch eine Aufwandsentschädigung. Stackelberg etwa 235.000 Euro, Köhler um die 300.000 Euro. Jährlich.

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