Meduza-Auswahl 31. Juli – 6. August: Depressiv im „Dorf des militärischen Ruhmes“
Jeder zweite Mann aus Sedanka kämpft in der Ukraine. Statt beschworenen Heldentums beschreiben Journalisten einen Ort, wo es schlicht ums Überleben geht.

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Zeit vom 31. Juli – 6. August 2025 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Warum boomt in Russland der Tourismus?
Trotz Russlands Invasion in die Ukraine reisen weiterhin viele Menschen in das Land: Im Jahr 2024 besuchten laut Daten des nationalen Grenzschutzdienstes mehr als 1,5 Millionen Ausländer zu touristischen Zwecken Russland. Das ist ein Anstieg von 134 Prozent gegenüber dem Vorjahr – allerdings immer noch weniger als ein Drittel der Besucherzahlen von 2019. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2025 verzeichnete Russland über 20.000 Touristen aus EU-Ländern. Meduza berichtet auf Englisch über das Phänomen.
Dabei kommt es auch zu beinahe amüsanten Zwischenfällen: So flog beispielsweise im Juli 2024 ein kasachischer Staatsbürger von Aserbaidschan nach Russland und brachte seiner Frau ein Paar Tiffany-Ohrringe im Wert von 1,5 Millionen Rubel (18.800 US-Dollar) als Geschenk mit. Die Zollbeamten hielten ihn an, als sie den teuren Schmuck bemerkten – und er wurde schließlich wegen Schmuggels „strategisch wichtiger Güter“ gemäß dem Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt. Er kam mit einer Geldstrafe von 300.000 Rubel (3.750 US-Dollar) davon. Die Ohrringe wurden vom Staat beschlagnahmt
Ein Dorf voller Patrioten? Oder doch nicht?
Sedanka auf Kamtschatka wird das erste „Dorf des militärischen Ruhmes“ in Russland für „Verdienste in einer militärischen Spezialoperation“. Die Hälfte der Männer des Dorfes ist in den Krieg gegen die Ukraine gezogen. Journalisten bezeichneten Sedanka als einen „depressiven“ Ort, an dem die Menschen „einfach nur versuchen zu überleben“. Meduza berichtet auf Russisch.
Wie die Pressestelle der Regierung der Region Kamtschatka gegenüber RIA Novosti mitteilte, sind in Sedanka 457 Einwohner registriert, tatsächlich leben dort jedoch nur 258 Menschen. Unter ihnen sind 67 erwachsene Männer. Mehr als die Hälfte der volljährigen Männer aus Sedanka kämpfen in der Ukraine. Mindestens fünf Einwohner des Dorfes sind im Krieg ums Leben gekommen, ein weiterer wird vermisst. Fast alle Einwohner von Sedanka gehören zu den indigenen Völkern der Halbinsel.
Die Badewannen der reichen Russen
Sergei Tschemesow, CEO von Rostec, besitzt eine „Datschakooperative“ in Dubai. Nach Erkenntnissen der investigativen Nachrichtenagentur Sistema befindet sich das Anwesen des hochrangigen russischen Beamten neben zwei weiteren Villen, die anderen Führungskräften der Verteidigungsindustrie gehören: Nikolai Kolessow von Russian Helicopters und Alexander Michejew von Rosoboronexport. Meduza berichtet auf Englisch über die teuren Behausungen.
Die Villen von Tschemesow, Kolessow und Michejew befinden sich in der Villensiedlung „22 Carat“ in einem der teuersten Viertel Dubais – auf der künstlichen Insel Palm Jumeirah, wie zwei mit dem inneren Kreis des Rostec-Chefs vertraute Quellen Sistema mitteilten. Die Publikation beschreibt den Komplex „22 Carat“ als „eine bewachte Wohnanlage mit einem 200 Meter langen Privatstrand, einem Condominium-Hotel und 22 ‚ultra-luxuriösen‘ Villen im Stil italienischer Palazzi“. Laut den Quellen von Sistema besitzen Tschemesow und seine Geschäftspartner die drei teuersten Villen, die direkt am Wasser liegen.
Jede Villa in der Anlage verfügt laut einem Bericht von RBC aus dem Jahr 2018 über sieben Schlafzimmer und einen privaten Pool. Die teuersten Immobilien der Anlage sind mit einem Bonus ausgestattet: einer „Juwelen“-Badewanne. Einige dieser Badewannen sind aus massivem Kristall gefertigt, andere aus rosa oder grünem Quarz. Jede Badewanne hat einen Wert von 1 Million Dollar.
Wie Hacker Aeroflot lahmlegten
Am Montag kam es bei Russlands führender Fluggesellschaft Aeroflot zu einem schwerwiegenden IT-Ausfall, der die Streichung von mehr als 100 Flügen zur Folge hatte. Die ukrainische und belarussische Hacktivisten-Gruppen Silent Crow und Cyber Partisans bekannten sich zu dem Angriff. Bis Dienstag hatte Aeroflot seinen Flugplan wieder stabilisiert, doch es bleiben noch viele Fragen offen. Die Journalistin Maria Kolomytschenko argumentierte in einem Beitrag auf Telegram, dass die Anfälligkeit der Fluggesellschaft auf den langsamen Übergang von ausländischer zu russischer Software zurückzuführen sei. Meduza teilt ihre Analyse auf Englisch.
Vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine stützte sich die Infrastruktur von Aeroflot fast ausschließlich auf Software großer westlicher Unternehmen wie SAP. Laut Kolomytschenko hat die russische Regierung zwar ein Importsubstitutionsprogramm angekündigt, aber weitgehend ein Auge zugedrückt, wenn große Unternehmen weiterhin ausländische Software verwendeten. Diese benötigen sie, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
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