Meduza-Auswahl 9. – 15. Oktober: Und wenn die Tomahawk-Raketen nun kommen?
Eventuell könnten bald die US-Raketen in der Ukraine stationiert werden. Was das bringt – und warum Moskau schon einmal vorsorglich rhetorisch eskaliert.

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Zeit vom 9. bis 15. Oktober 2025 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Auch in Russland schließen die Geburtenstationen
In ganz Russland werden Entbindungsstationen geschlossen – obwohl die Behörden Frauen dazu auffordern, mehr Kinder zu bekommen. Eine Kombination aus sinkenden Geburtenraten, Sparmaßnahmen und chronischem Personalmangel erschwert den Zugang zu Geburtshilfe zunehmend. In vielen Städten müssen werdende Mütter nun stundenlange Anfahrtswege in Kauf nehmen. Während Ärzte sich überlastet und unterbezahlt fühlen.
Das unabhängige Medium 7×7 hat sich mit der sich verschärfenden Krise in den Entbindungsstationen in den verschiedenen Regionen Russlands befasst. Meduza veröffentlicht eine gekürzte englische Fassung.
Ein Beispiel: Im Jahr 2024 wurde die einzige Entbindungsstation in der abgelegenen Stadt Bodaybo in der russischen Region Irkutsk geschlossen. In Bodaybo leben nur 9.000 Menschen. Die Stadt ist nur mit dem Flugzeug oder mit dem Auto über eine holprige Straße zu erreichen, deren Überquerung mindestens zwei Tage dauert. Die Geburtenrate der Stadt ist stetig zurückgegangen. Im Jahr 2020 brachten dort 80 Frauen ein Kind zur Welt, 2021 waren es 56, 2022 47 und 2023 nur noch 29. Und Frauen mit komplizierten Schwangerschaften werden zur Entbindung nach Irkutsk geschickt – auf eigene Kosten. Pro Jahr gibt es etwa acht bis zwölf solcher Fälle.
Wie der Kreml den „kollektiven Westen“ besiegen will
Als US-Präsident Donald Trump und Russlands Staatschef Wladimir Putin sich vor zwei Monaten in Alaska trafen, signalisierte der US-Präsident: Er sei bereit, viele Positionen seines russischen Amtskollegen zu akzeptieren. Trump hoffte, dies würde Moskau zu Zugeständnissen bewegen und den Krieg in der Ukraine beenden.
In den letzten Wochen hat Russland jedoch seine Angriffe auf die Ukraine verstärkt und seine hybriden Kriegstaktiken in ganz Europa intensiviert. Der Kreml scheint beschlossen zu haben, die internen Spaltungen der NATO auszunutzen – und einen symbolischen Sieg über den „kollektiven Westen“ zu erringen.
Alexander Baunov, Senior Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin, untersucht, warum die Reaktionen auf die russischen Drohnenangriffe in der NATO gemischt ausfielen – und warum der Kreml riskiert, seine Fehler von 2022 zu wiederholen, indem er den Konflikt mit dem Westen erneut eskaliert. Meduza berichtet auf Englisch.
Was bringen die Tomahawk-Raketen?
Es scheint, dass US-Präsident Trump kurz davor steht, doch Tomahawk-Raketen in die Ukraine zu liefern. Inwiefern werden diese Raketen der ukrainischen Armee helfen? Warum sorgen sie im Kreml für solche Irritationen? Und werden die Tomahawks eine Wende im Kriegsverlauf bewirken? Meduza analysiert das auf Russisch.
Russland hat jahrelang die hypothetische Gefahr der Stationierung von Tomahawk-Raketen an seinen Grenzen als Rechtfertigung für seine Aggression gegen die Ukraine genutzt. US-amerikanische Marschflugkörper in Osteuropa, die nukleare Sprengköpfe tragen können, sind ein wichtiger Teil der Erzählung über die „ursprünglichen Ursachen des Konflikts“, die der Kreml angeblich mit seiner Invasion in der Ukraine beseitigen will. Ironischerweise könnten dann im vierten Kriegsjahr sich diese Raketen tatsächlich in der Nähe von Charkiw und Sumy einfinden – nur wenige hundert Kilometer vom Kreml entfernt.
Wladimir Putin erklärte, die Lieferung von „Tomahawks“ sei „eine qualitativ andere Eskalationsstufe“. Es ist aber klar, dass der Kreml in Wirklichkeit keinen präventiven Atomschlag seitens der Ukraine befürchtet und dass der Westen Ukraine nicht genügend Raketen liefern kann, um den Verlauf des Krieges radikal zu verändern. Dennoch kann Putin die Lieferung von Tomahawks als Vorwand für eine radikale Eskalation der Konfrontation mit dem Westen nutzen. Dies ist besonders gefährlich in einer Welt, in der die Mechanismen der „strategischen Abschreckung“ nicht mehr funktionieren.
Wie aus einem Melonen-Paradies eine Wüste werden könnte
Die Region Astrakhan ist in ganz Russland für seine Wassermelonen und landwirtschaftlichen Erzeugnisse bekannt, könnte aber bald stattdessen als leblose Wüste bekannt sein. Die Wüstenbildung schreitet derzeit auf einem Viertel des Territoriums von Astrakhan voran. Es umfasst 1,3 Millionen Hektar (mehr als 5.000 Quadratmeilen), weitere 2 Millionen Hektar (7.720 Quadratmeilen) sind gefährdet. Die Menschen in der Region geben sogar ihre Gärten auf – weil in dem glühend heißen Sand nichts mehr wachsen kann. Meduza berichtet auf Englisch.
Die einst blühende Region wird bereits vom Sand verschluckt. In diesem Sommer reisten Journalisten des unabhängigen Medienunternehmens Kedr in Städte in der Region Astrahkan, die am stärksten unter den Auswirkungen der Wüstenbildung leiden. Sie sprachen mit Einwohnern darüber, was es bedeutet, unter solchen Bedingungen zu überleben. Und fragten Ökologen, welche Faktoren neben dem Klimawandel die Situation im Süden Russlands verschärfen. Und ob es Möglichkeiten gibt, die Auswirkungen des bereits begonnenen Prozesses abzuschwächen.
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