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Mehrere Krisen in Belgien„Mysteriöse Drohnen stammen von staatlichem Akteur“

Die belgische Regierung steckt wegen ihres Budgets in der Krise. Drohnenflüge über Flughäfen und Militärstützpunkten verschärfen die Situation zusätzlich.

Premierminister Bart De Wever (Mitte) während einer Plenarsitzung des Bundesparlaments in Brüssel am 6.11.2025 Foto: Benoit Doppagne/picture alliance
Eric Bonse

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Eric Bonse aus Brüssel

Bange Stunden in Belgien: Mitten in einer schweren Regierungskrise wird das Königreich auch noch von mysteriösen Drohnen-Überflügen verunsichert. Premierminister Bart De Wever hatte deshalb am Donnerstag gleich zwei Krisensitzungen: Erst tagte das Sicherheitskabinett in Brüssel, dann begab er sich zu König Philippe – um seinen Rücktritt anzubieten.

De Wever hatte erst im Februar seine Arbeit als Regierungschef aufgenommen. Der flämische Politiker ist Mitglied der separatistischen und ausländerfeindlichen Partei N-VA. Seine sogenannte Arizona-Koalition setzt sich aus mehreren liberalen und konservativen Parteien aus Flandern und der Wallonie zusammen; im Norden Belgiens arbeiten auch Sozialdemokraten mit.

Das fragile Parteienbündnis wäre im Sommer schon einmal fast zerbrochen. Damals drehte sich der Streit um den Krieg in Gaza und die Haltung zu Israel und Palästina. Dass sich die Situation in Belgien nun wieder zuspitzt, hat zwei Gründe: die Drohnen, die zuletzt auch den Flughafen in Brüssel-Zaventem lahmgelegt haben, und der harte Sparkurs der föderalen Regierung.

De Wever will 10 Milliarden Euro einsparen, um das Budgetdefizit zu senken und die EU-Vorgaben einzuhalten. Doch seine Koalitionspartner ziehen nicht mit. Deshalb hatte er ein Ultimatum bis zum 6. November gesetzt.

Mysteriöse Drohnen

Am gestrigen Tag der Entscheidung stand aber zunächst die Drohnen-Krise im Mittelpunkt. Zwei Stunden tagte das belgische Sicherheitskabinett. Wichtige Entscheidungen wurden zunächst nicht bekannt. Es sei vor allem darum gegangen, mit Militärs und Sicherheitsdiensten ein Lagebild zu erstellen, hieß es in Brüssel.

Die Lage ist bedenklich. Die belgischen Dienste gehen davon aus, dass die mysteriösen Drohnen von einem staatlichen Akteur gesteuert werden. Sie tauchen immer nachts auf und fliegen teilweise in Formation. Als Hauptverdächtigter gilt Russland. Zwar ist es nicht gelungen, eine Drohne abzufangen und zu identifizieren. Sogar die belgische Armee, die Drohnen über wichtigen Militäreinrichtungen gesichtet hat, tappt im Dunkeln.

Doch die Sicherheitsexperten glauben, dass vor allem Russland ein Interesse daran haben könnte, Belgien zu verunsichern. Der Grund: die EU-Debatte über die Nutzung von russischen Vermögen, die in Belgien festgesetzt wurden und für die Ukraine genutzt werden könnten.

Diese Debatte hat in Moskau wütende Reaktionen ausgelöst. Von „Diebstahl“ war die Rede, mit Vergeltung wurde gedroht. Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew lieferte sich auf der Plattform X sogar ein Wortgefecht mit dem belgischen Verteidigungsminister Theo Francken, in dem sich beide die Vernichtung androhten. Deshalb hätte Moskau nun ein Motiv, Drohnen zu schicken, mutmaßt die Regierung.

Allerdings war es Premier De Wever, der beim letzten EU-Gipfeltreffen in Brüssel sein Veto gegen die Nutzung des russischen Vermögens eingelegt hat. Indirekt hat er damit die russischen Interessen geschützt – sehr zum Ärger der Ukraine und Deutschlands, das öffentlich Druck gemacht hatte. Russland müsste Belgien also eigentlich dankbar sein, statt es in einen „hybriden Krieg“ zu verwickeln.

Doch nun fühlt sich auch Belgien bedroht. Die Regierung will auf die Schnelle 50 Millionen Euro für die Drohnen-Abwehr ausgeben und sich noch enger als bisher mit der EU und der Nato abstimmen. Beide Organisationen haben ihren Sitz in Brüssel, das erleichtert die Abstimmung. Zugleich macht es die Angelegenheit so heikel, denn bisher sind auch EU und Nato nicht gegen Drohnen geschützt.

All they want for Christmas …

Auch die Budgetkrise schwelt weiter. Kurz nach dem Treffen des Sicherheitskabinetts eilte De Wever zum belgischen König, der als Staatsoberhaupt ein gewichtiges Wörtchen bei der Regierungsbildung mitzureden hat. Der Premier berichtete König Philippe von „anhaltenden Meinungsverschiedenheiten“ in der Budgetpolitik, aber auch vom Willen aller Koalitionspartner, weiterzumachen.

Damit war der angedrohte Rücktritt vorerst vom Tisch. De Wever und seine Regierung geben sich noch fünfzig Tage – also bis Weihnachten –, um die Streitigkeiten auszuräumen und ein Budget für 2026 vorzulegen. Bis dahin muss die Quadratur des Kreises gelingen: 10 Milliarden Euro einzusparen, ohne einen Koalitionspartner zu verprellen oder die Bürger auf die Barrikaden zu bringen.

Das wird nicht leicht: Die Gewerkschaften machen jetzt schon gegen die „Austeritätspolitik“ mobil. Mitte Oktober waren mehr als 100.000 Menschen auf die Straße gegangen. Ende November soll es sogar einen dreitägigen Generalstreik geben. Viele Belgier haben genug vom Sparkurs, der zu Kürzungen beim Arbeitslosengeld und bei der Rente führt, während das Militär im Eiltempo aufgerüstet wird.

Doch De Wever läßt sich nicht beirren. „Wir stehen vor nie da gewesenen Herausforderungen“, sagte er am Donnerstagnachmittag in einer Brandrede im Parlament. „Wir müssen das Land wider flott machen.“ Deshalb habe er den König um 50 Tage Bedenkzeit gegeben. „Ich werde sie nicht verlängern.“ Im Klartext: Bis Weihnachten muss eine Einigung her, sonst platzt die belgische Regierung.

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