Meinungsplattform "Amen": Kollision statt Diskussion

Das Berliner Netzwerk Amen erstellt Ranglisten aus User-Meinungen. Kritiker finden, es fördere nur das Schwarz-Weiß-Denken.

Jetzt wisst ihr Bescheid! Bild: Amen

BERLIN taz | Bestenlisten sind der Renner. Ob es nun um die Filme des Jahres geht oder die besten Platten, die Netzgemeinde klickt sich gern durch Listen. Ein Prinzip, das sich das Berliner //getamen.com/:Start-up Amen zu Nutze macht. Die Homepage geht so weit, ein ganzes soziales Netzwerk um den Gedanken des Rankings herum aufzubauen.

Das System ist einfach: Ein Nutzer trifft eine Aussage wie: "'Fight Club' ist der beste Film des Jahres 1999." Auf derartige "Statements" können andere User auf zwei Weisen reagieren: Zum Bestätigen dieser Aussage klicken sie per Schaltfläche unter der Aussage auf "Amen!", zum Ablehnen auf "Hell No!". Die Homepage zählt alle Zustimmungen und ordnet sie in Ranglisten. Dabei versieht die Website Wortblöcke wie "Fight Club" mit Schlagwörtern. Das bewirkt, dass User auf der Homepage nach dem Film suchen können und alle Äußerungen finden, die zuvor zu ihm gemacht wurden.

"In unserem Netzwerk sollen Meinungen zählbar sein", sagt Felix Petersen. Der Mitgründer des Start-ups will sich vom größten sozialen Netzwerk abgrenzen: "Bei Facebook sind die Diskussionen diffus. Amen will einen Überblick über Ansichten schaffen."

Die drei Gründer von Amen haben Erfahrung mit Start-ups. Petersen hat Anteile am ebenfalls in Berlin beheimateten Soundcloud. Dazu gründete der Mittdreißiger den Lokalisierungsdienst Plazes, den er 2008 an Nokia verkaufte. In dieser Zeit traf Petersen die spätere Amen-Mitgründerin Caitlin Winner, die ihr Start-up Plum ebenfalls an den finnischen Kommunikationsriesen abtrat. Der Dritte im Bunde ist Florian Weber, ein Hamburger Programmierer und Geburtshelfer des Kurznachrichtendienstes Twitter.

Nutzer werden schnell inaktiv

Noch vor dem Launch im Oktober 2011 wurde die Presse durch den US-Schauspieler Ashton Kutcher auf das Start-up aufmerksam. Kutcher war an einer Investition von zwei Millionen Dollar beteiligt. Wie es nach dem großen Zuspruch zum Start des Unternehmens derzeit mit den Nutzerzahlen aussieht, mag Petersen nicht genau beziffern. Es gebe noch nichts Griffiges, deswegen wolle man mit Zahlen warten.

Eine Analyse des Online-Magazins Gründerszene vom November 2011 nährt den Verdacht, dass die Zahlen zurückgehen. Laut der Analyse hat Amen vor allem mit einem Problem zu kämpfen: Nutzer sind in den ersten Stunden begeistert dabei, werden aber schnell inaktiv. Hinzu kommt, dass die Zahlen der Neuanmeldungen pro Tag demnach schon im Oktober 2011 rückläufig waren. Auch die Anzahl der neuen Statements pro Tag ging schon in der ersten Woche seit Launch des Start-ups zurück.

Das System hinter Amen ist problematisch. Die Statements stehen nur für das jeweils Beste und das Schlechteste, also Schwarz oder Weiß – Graustufen existieren nicht. Angenommen, 1.000 Amen-User halten "American History X" nur für den zweitbesten Film des Jahres 1999. Wegen des Abstimmungssystems sind sie gar nicht in der Lage, das auszudrücken. Ein Film, den 1.000 Menschen also durchaus gut finden, fällt so unter den Tisch. Petersen sieht hier kein Problem.

"Plattform für Marktforschung"

"Natürlich ist jedes Meinungsbild bei Amen zu Anfang holzschnittartig", erklärt er. Seinem Start-up ginge es aber vor allem um die Summe der Ergebnisse: "Das ist wie bei einem Mosaikfenster. Der einzelne Stein zeigt nicht viel. Das gesamte Mosaik macht erst das Bild", so Petersen weiter.

In Internetforen polarisiert die Seite. Auf netzwertig.com spricht Nutzer "Marcus" von einem "erfrischenden Ansatz", der sich durch Originalität auszeichne. User "Jimmy" hingegen findet, Amen sei eine "Plattform für Marktforschung", bei der Nutzer bereitwillig Präferenzen preisgeben.

Mit langfristig wachsenden User-Zahlen könnte es schwierig werden. Denn obwohl Amen die Möglichkeit bietet, nach dem Klick auf "Hell No!" einen Alternativvorschlag zu Statements zu machen, ist die Homepage kein Ort für konstruktive Auseinandersetzungen. Meinungen kollidieren hier nur, statt ausgetauscht zu werden. Amen erfasst Daten und hat somit vor allem statistischen Nutzen. Die Diskussionskultur fördert es nicht.

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