Memes und Trolle im Internet: Alltäglicher Konzeptualismus

Zu trollen kann mehr sein als bloß Stänkern, Verhöhnen oder Lügen verbreiten. Denn Trollen ist eine Kommunikationsstrategie.

Internet-Meme „Trollface“ auf einem Straßenschild

Sind Trolle und Street-Artists Hofnarren, die unbequeme Wahrheiten aussprechen? Foto: WIKImaniac (CC BY-SA 3.0)

Das Internet ist bekanntlich gefüllt mit Bildern und Videos, Trollen und Memes, Erheiterndem und Skurrilem, Süßem und Verstörendem. Allesamt frei zugänglich. Ein angeblich demokratischer und barrierefreier Raum. Wie ein Graffitikünstler kann man dort die eigene Wahrheit in die Welt posaunen. Die kann schön sein oder lustig, wirkt mal befreiend, mal verschwörerisch. Das Bild vom Sprayer als analoger Entsprechung des Netzbürgers ist gar nicht so verkehrt. Denn die Aneignung von öffentlichem Raum ist schon immer die Sache von Straßenkünstlern gewesen – gleich, ob es sich dabei um ein naives Graf­fi­to oder eine anspruchsvolle Performance handelt.

Street-Art-KünstlerInnen gelten als geniale Prankster, als Hofnarren, die unbequeme Wahrheiten aussprechen. Das scheint richtig, möchte Street-Art doch unser Denken und unsere Lebensweise spielerisch hinterfragen, mal smart, mal ironisch, und auch mal aggressiv. Häufig lässt sich das gar nicht so genau unterscheiden.

Wer im Netz diese Rolle beansprucht, ist als Troll unterwegs. Jemanden zu trollen heißt, ihn emotional zu provozieren, ohne Rücksicht auf Verluste. UrheberInnen von Hasskommentaren werden gerne als Trolle bezeichnet. So hält man sie sich auf Distanz. Trolling-Aktionen haben in der Vergangenheit Einzelpersonen, aber auch große Organisationen wie Scientology getroffen.

Zu trollen kann mehr sein als bloß Stänkern, Verhöhnen oder Lügen verbreiten. Denn Trollen ist eine Kommunikationsstrategie. Es geht um gezielte Disruption, das Hacken von Diskursen. Durch lustvolle Provokation soll der Status quo erschüttert werden. Nicht zufällig sieht die Anthropologin Gabriella Coleman im Internettroll den Geist von Situationismus und Dada weiterleben.

Netzkunst und Post-Internet-Art

Indes hat der Internet State of Mind (mit seinen drei Kennzeichen: Beschleunigung, Zerstreuung und Referentialität) längst eigene ästhetische Praxen hervorgebracht. Vor einigen Jahren tummelte sich unter dem irreführenden Namen Post-Internet-Art beispielsweise eine seltsam affirmative bildende Kunst auf den Biennalen. Anders als man vielleicht erwarten würde, handelte es sich dabei nicht um eine Kunst nach dem Ende des World Wide Web, sondern vielmehr um eine Kunst, die den Fakt des Internets für voll nimmt. Werke der Post-Internet-Art setzen sich mit unserer digitalen Existenz und Erlebniswelt auseinander. Im Gegensatz zur Netzkunst der 1990er Jahre geschieht dies weniger im Gewand der Gesellschaftskritik, sondern mit Mitteln der ironischen Brechung. Mittlerweile ist aber zu vernehmen, dieser Hype sei auch schon wieder vorbei.

Als langlebiger hat sich etwas anderes erwiesen: das Meme, eine Bild-Text-Komposition, wie sie nur das Internet hat hervorbringen können. Oft besteht es aus einem Foto mit einer Bildunterschrift. Um ein Meme zu lesen, muss man andere Memes kennen, meist bezieht es sich nämlich in mindestens einem Aspekt auf bereits existierende Werke. Memes verbreiten sich über Internetforen wie 4Chan und Reddit; später können sie über Instagram, Twitter oder 9Gag ein riesiges Publikum erreichen. Weil Memes komplexe und hyperreferentielle Systeme bilden, die auf der endlosen Variation bestimmter Codes basieren, bezeichnete der Kulturwissenschaftler Darren Wershler sie als „alltäglichen Konzeptualismus“.

Würde gilt wenig

Wie jede populäre Ästhetik verdankt sich der Erfolg von Memes einer gemeinsamen Kultur. Oft beziehen sie sich auf popkulturelle Erzeugnisse wie kultige Fernsehsendungen, witzige Werbungen oder Videospiele; gerne nehmen sie diese auf die Schippe oder bedienen sich eines vermeintlich unsinnigen „Dafuq“-Humors („What the fuck?“). Memes unterstehen keiner Vorstellung von Autorenschaft oder Originalität, sie sind hackbar und gelten als demokratisch, weil frei von Copyright. Gleichzeitig schützt nichts vor der Memefizierung. Vom Slogan einer Dauerwerbesendung bis hin zu Hillary Clintons Lippen kann es alles und jeden treffen. Menschliche Würde oder gegenseitiger Respekt gelten wenig in einer Welt, in der etwas nie vollkommen ernst gemeint scheint.

So weit, so vorpolitisch. Doch Seiten wie 9Gag, Reddit und vor allem die unübersichtliche Weite von 4Chan lassen sich auch zur politischen Mobilisierung nutzen. Der auf diesen Seiten zelebrierte Kult des Nerds, des Außenseiters und Underdogs ähnelt der Anti-Mainstream-Haltung von Subkulturen. Eine Vielzahl älterer Memes bringt dieses Lebensgefühl ironisch zum Ausdruck: „Forever Alone“, der sozial-verklemmte Pinguin oder die bis heute virulenten Gegenüberstellungen – „Musik damals“ (= gut); „Musik heute“ (= schlecht) – zeugen von tief empfundenem Unbehagen an einer optimierungs- und fortschrittswütigen Zeit.

Spätestens seit den US-amerikanischen Vorwahlkämpfen 2016 ist das trolling und Streuen von Fake News via Memes aus der sogenannten Alt-Right, einer losen Ansammlung libertärer bis neofaschistischer NetzaktivistInnen, kaum wegzudenken. Politische Influencer wie der Männerrechtler Mike Cernovich haben längst erkannt, wie leicht sich ihre Zielgruppe aus eigentlich unpolitischen Millennials (häufig sind es Gamer oder Waffenfreaks) affektiv beeinflussen lässt. Da wird eine Kampagne gegen Sexismus in der Videospielindustrie in eine gefährliche Einflussnahme politisch korrekter „Social Justice Warriors“ umgedeutet oder Hillary Clintons „unweibliche“ Professionalität als fremdgesteuerte und entmenschlichte Charakterlosigkeit gegeißelt.

Die irische Journalistin Angela Nagle hat kürzlich in ihrem Buch „Kill All Normies“ darauf hingewiesen, dass der Teil des Internets bisher viel zu wenig beleuchtet wurde, in dem es von Verschwörungstheorien, Fake News und Diskriminierung nur so wimmelt. Dabei spielten Trolling-Strategien und Online-Memes im antiliberalen Kulturkampf eine zunehmend tragende Rolle.

Beatles versus Bieber

Die Mutation vom relativ harmlosen Unterhaltungswert zu aggressiver Agitprop kann man im Internet live mitverfolgen. Da ist zuerst ein Meme zur Gegenwart des Pop: damals = Beatles, heute = Justin Bieber. Daraus entwickelt sich dann ein antimoderner Claim über die „Entartung“ westlicher Kunst (Michelangelo vs. Pollock), der wiederum zu einem wahnhaften Ausbruch, gefunden auf dem Twitter-Account einer deutschen Identitären, mutiert: Flüchtlinge damals = süße schlesische Kinder auf Kofferhäufchen, heute = barbarische Horden.

Ein beliebtes Motiv der Alt-Right ist die „rote Pille“ aus „The Matrix“, welche verborgene Vorgänge sichtbar machen soll. Gemeinsam haben Trolle, Teile der Meme-Kultur und eben auch Street-Art, dass sie Fassaden zum Bröckeln bringen möchten; dass unhinterfragte Gewissheiten endlich hinterfragt werden. Heute halten Anonymous-Hacker Scientology zum Narren, das Institut für Politische Schönheit zelebriert Antifa-Aktionen als Happening, und identitäre Aktivisten karikieren Pro-Flüchtlings-Demos – mit entsprechender Vermarktung über die sozialen Medien. All das zeigt: Eine entgrenzte, antiautoritäre und öffentliche Kunst ist noch lange kein Selbstzweck. „Die Schönheit liegt auf der Straße“, riefen schon die Situationisten und schielten auf die Überwindung des Kapitalismus.

Heute haben sich viele Formen des Straßenaktivismus – auch politische Auseinandersetzungen – ins Digitale verlagert, inklusive analogen Rückkopplungseffekten, die Debatte über #MeToo lässt grüßen. „Echte“ Street-Art mag weiterhin die Städte tapezieren und uns zum Denken animieren. Allerdings wird das Denken längst woanders beeinflusst. Darauf sollten wir gefasst sein.

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