Menschenrechtsverletzungen in Chile: Dignidad-Fall bleibt ungeklärt

Die Staatsanwaltschaft Münster stellt ihre Ermittlungen gegen einen ehemaligen Bewohner der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad ein.

Plakate mit Fotos von Opfern der Pinochet-Diktatur liegen an einem Teich, in dem rote Nelken schwimmen

Gedenken an Opfer der Pinochet-Diktatur, die in der Colonia Digidad ermordet wurden Foto: AFFD Talca

MÜNSTER taz | Eine weitere Enttäuschung für die Hinterbliebenen der Opfer: Nach dem rechtskräftigen Beschluss, dass der ehemalige Arzt der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, eine chilenische Haftstrafe in Deutschland nicht verbüßen muss, folgt nun die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Münster gegen den ehemaligen Bewohner der deutschen Sektensiedlung, Reinhard D..

Die Staatsanwaltschaft begründete dies am Dienstag damit, dass es keinen hinreichenden Tatverdacht gegen den Mann gebe. Anwälte und Menschenrechts-Experten kritisierten diese Entscheidung und den aus ihrer Sicht fehlenden Willen der deutschen Justiz zur Aufklärung.

Reinhard D. war ein Bewohner der 1961 von einer christlichen Sekte in Südchile gegründeten deutschen Siedlung. Jene wurde unter anderem durch während der Pinochet-Diktatur begangene Menschenrechtsverletzungen bekannt.

Die chilenische Polizei erhob 2005 gleich mehrere schwere Vorwürfe ­gegen Reinhard D.: Entführung, Verschwindenlassen von Menschen beziehungsweise Beihilfe zum Mord, Ausgraben von Leichen politischer Gefangener und anschließendes Verbrennen derselben, Verstecken von illegalen Waffen in der Villa Baviera – der Ex-Colonia-Dignidad.

Der 72-jährige Reinhard D. lebt seit 2004 in Deutschland. Seit 2016 ein erneutes Festnahmeersuchen aus Chile folgte, ermittelte die Staatsanwaltschaft Münster gegen ihn: Als Baggerfahrer soll D. in der Colonia Dignidad an Grabungs­arbeiten an Massengräbern beteiligt gewesen sein.

Während der Pinochet-Diktatur ab 1973 kooperierte die Führung der Colonia Dignidad eng mit dem chilenischen Geheimdienst Dina. Auf dem Sektengelände wurden Oppositionelle gefoltert und ermordet.

„Bitterer Tag für die Angehörigen“

„Die Exekution Dutzender Personen ist durch mehrere Zeugenaussagen belegt. Dies gilt ebenso für die Tatsache, dass die Leichen dieser Menschen in Massengräbern vergraben und nach Jahren wieder ausgegraben und verbrannt wurden“, sagte die Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf. Für sie ist es ein Skandal, dass dies in der staatsanwaltschaftlichen Erklärung bezweifelt wird.

Laut Strafanzeige des European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) aus dem Jahr 2018 soll D. in den 70er Jahren auch Gefangene zu dem Ort ihrer Exekution gefahren haben. Die Staatsanwaltschaft Münster räumt zwar ein, dass D. „nach eigenen Angaben Gefangene bewacht“ hat.

Weil für eine Strafverfolgung nötige Daten wie Zeitpunkt, Ort und Umstände des Todes der Verschwundenen nicht feststünden, stellte sie das Ermittlungsverfahren am Dienstag dennoch ein, ohne eigene Zeugenvernehmungen durchgeführt zu haben.

Das sei voreilig, monierte Andreas Schüller vom ECCHR. Erst im Dezember habe das ECCHR eine lange Liste von Zeugen vorgelegt. Diese „hätten wichtige Auskünfte zur Rolle D.s in der Colonia Dignidad geben können“.

Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile Lateinamerika (FDCL) spricht von einem „bitteren Tag für die Angehörigen der ­Verschwundenen“ – und kritisiert, dass die Staatsanwaltschaft Münster keine eigenen Ermittlungen durchgeführt habe. Der Beschuldigte sei nicht einmal vernommen worden: „Wer so handelt, kapituliert vor einer Verbrechensgeschichte, die Hunderten von Menschen immenses Leid zugefügt hat.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.